7.

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Ich nickte mit leicht geröteten Wangen und sah die Dame sofort breit und ehrlich lächeln. "Es verirren sich nicht sehr viele Fremde zu uns. Willst du vielleicht noch ein wenig bleiben und mir Gesellschaft leisten? Besuch kriegen wir hier selten!", erzählte sie mir sehnsuchtsvoll. Nett wirkte sie ja und ich suchte ja eh eine Bleibe für mich. Also nickte ich erneut und wurde auch schon unter vielen Dankesbekundungen eingelassen.

Von innen sah das Haus weniger rustikal aus, als es äußerlich anmuten ließ. Zwar gab es einen noch recht altmodischen Kamin, doch die restlichen Möbel sahen nicht aus, wie selbst zusammengenagelt oder geleimt; Außer natürlich, wenn ein Profi sie gefertigt hatte. Doch so viel Respekt ich vor der Unbekannten auch hatte, ihr mutete ich diese Arbeit kaum zu. Nicht einmal, sich in dieser Abgeschiedenheit um die Hühnerherde und noch weitere Tiere zu kümmern. Dafür wirkte sie zu gemütlich und auch schon ein wenig zu betagt. Ob ihr jemand half?

"Setz dich sich doch bitte, kann ich dir einen Tee anbieten? Oder Gebäck, ich hätte noch selbstgemachte Plätzchen übrig", erkundigte sie sich, vom Kern aus aufrichtig und sorgend, und dankbar nahm ich ihre Angebote an. "Das ist sehr nett von Ihnen", fügte ich noch leise murmelnd hinzu, die Plätzchen klangen sehr verlockend. "Du brauchst mich nicht zu siezen, junger Mann. Mein Name ist übrigens Molly, verrätst du mir auch deinen?"

Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe. Verdammt, das hatte ich total vergessen! Meinen echten Namen konnte ich Molly schlecht nennen. Zu groß war die Chance, dass mich meine Eltern suchen ließen und jemand auch hier vorbeikam und die Frau über mich ausfragte! Ich überlegte angestrengt und entschied mich, etwas zu wagen. Sie stand mit dem Rücken zu mir am Herd und hörte vielleicht schon ein wenig schwer, also murmelte ich etwas undeutliches und wartete auf ihre Reaktion.

„Wie? Sagtest du Stegi?", versicherte sie sich und ich bejahte einfach. Keine Ahnung wie sie da Stegi herausgehört hatte und ob das überhaupt ein Name war, aber warum nicht? Es war so weit von Marcus entfernt wie durch mein Genuschel möglich und ich würde es mir hoffentlich für den Moment merken können. Mit freundlich strahlenden Augen drehte die Frau sich von der Teekanne zu mir um. "Interessant, habe ich zwar noch nie gehört, aber klingt nett! Und was bringt dich hierher? Doch nicht etwa unsere Milch, oder? Gab es ein Problem?"

"Ähm, nein. Welche Milch?", fragte ich verwirrt.

Die Kanne auf dem Herd begann zu zischen, eilig goss Molly mit einem geschickten Schlenker das heiße Wasser in eine bauchige Tasse und stellte sie vor mir auf meinen Platz. Die Kräuterblätter schwammen frei darin umher, nicht wie ich es sonst kannte in einem Teebeutel. In dem Augenblick als ich mich fragte, ob ich sie so mittrinken sollte, bekam ich noch einen kleinen Löffel samt Untertasse dazu. Dann setzte die Dame sich mir gegenüber.

"Wir halten hier auf dem Hof Kühe und haben nach dem Melken immer viele Flaschen übrig. Also verkaufen wir den Überschuss in den umliegenden Städten und Dörfern."

"Dann habe ich dich schonmal gesehen!", rief ich lächelnd, ehe ich mich erinnerte, dass diese Bemerkung dumm von mir gewesen war. Molly kannte diese Gegend offenbar sehr gut und ihr würde auffallen, wenn man in einer Nachbarstadt nach einem verloren gegangenen Jungen suchte. Hätte ich nur den Mund gehalten! Um meinen Fehler zu überspielen, griff ich hastig zu meiner Tasse, bemerkte, dass der Inhalt noch viel zu heiß zum Trinken war und schweifte stattdessen hastig zu den Keksen auf dem Teller zwischen uns. Ich nahm mir einen und gab Acht darauf, ihn möglichst langsam zu essen, anstatt ihn sofort in mich hineinzuschlingen, wie ich es gerne getan hätte. Mein Magen fühlte sich wie ein leerer Sack an. Seit gestern Vormittag hatte ich rein gar nichts mehr gegessen. Und das Gebäck schmeckte köstlich!

Molly sagte zum Glück nichts weiter zu meinem Beinahe-Ausrutscher, sondern beobachtete mich nur, während sie vor sich hinlächelte.

"Hast du dich vielleicht verlaufen, wenn du schon nicht wegen der Milch hier bist?", brach sie schließlich doch das Schweigen. Wahrheitsgetreu nickte ich. "Aber das ist nicht schlimm. Ich weiß momentan sowieso nicht, wohin ich gehen sollte", fügte ich noch schnell hinzu, bevor die unausweichliche Frage nach meinen Eltern folgen konnte. Auch hier ließ sich die Frau ohne weitere Nachfragen besänftigen, nur ein leiser Schimmer in ihren Augen zeigte mir ihre unausgesprochene Neugier. Ob sie es merkte, wenn ich ihr direkt ins Gesicht log? Beinahe fühlte es sich so an.

Unsinn, darüber durfte ich nicht nachdenken. Außerdem hatte ich sie bisher noch gar nicht wirklich angelogen. Nur ausgewählte Sachen verschwiegen. Ich räusperte mich leise: "Weißt du vielleicht einen Ort, wo ich in Zukunft leben könnte? Ich hab leider nichts außer das, was ich bei mir trage. Aber ich wäre bereit dafür zu arbeiten, ich kann kochen und mich im Garten um alles kümmern! Du hast doch bestimmt beim Milch austeilen mal jemanden kennengelernt, der Hilfe bei etwas braucht!"

Molly überlegte kurz. Gespannt wartete ich auf irgendeine Reaktion in ihrem Gesicht, dass ihr tatsächlich ein Kunde einfiel, der einen streunenden aber arbeitswilligen Jungen bei sich aufnehmen konnte. Und bald schon hatte sie einen Einfall. "Im Moment könnte ich selber ein wenig Hilfe gebrauchen. Wir haben so viele Tiere hier auf dem Hof, Kühe, Hühner, Pferde, Schweine... es ist schwer, das alles mit ein paar wenigen Händen zu stemmen. Willst du mir vielleicht im Garten und rund ums Haus helfen?" Heftig und aufgeregt nickte ich. Sie lächelte: "Das wäre echt ein großartiger Beistand!"

Auch Molly wirkte sehr erleichtert. Doch bei mir kamen leise Zweifel hoch. Konnte die Frau eigentlich genug für einen weiteren hungrigen Esser entbehren und nahm ich ihr nicht mit meiner Anwesenheit auch zu viel Wohnraum weg? Vielleicht sollte ich...?

Zögernd begann ich an einer Hosentasche zu nesteln. Eigentlich war es für den absoluten Notfall gedacht gewesen, aber wenn meine Flucht hier schon glücklich enden konnte, wollte ich nicht geizig sein. Also zog ich das Portemonnaie hervor, das meiner Mutter gehört hatte, und legte den Inhalt auf den Tisch vor mir.

Mollys Augen schienen praktisch überzugehen bei dem Anblick der vielen bunten Geldscheine. "Was ist das?", wollte sie erstaunt wissen. Ich senkte schüchtern den Blick: "Als Dankeschön, dass ich hierbleiben darf und wenn ich auch Essen bekomme. Ist das zu wenig?"

"Wo hast du das her?"

Gute Frage. Die Brieftasche sah nicht grade so aus, als würde sie mir gehören. Und ein heimatloser Junge mit viel Geld in den Taschen weckte natürlich Misstrauen, wie hatte ich nur so blöd sein können!? Ich spürte, wie mein Kopf blutrot anlief vor Scham.

"Weißt du, von wem das Geld ist?" Kopfschütteln. "Ich habe es gefunden!", behauptete ich. Das war nicht die Wahrheit, aber strenggenommen auch keine Lüge. Es hatte ganz offensichtlich auf dem Abstelltisch im Flur gelegen, jeder Besucher oder auch Einbrecher hätte es sich theoretisch schnappen können. Nach einiger Zeit nickte Molly dann, aber ihr Blick blieb scharf auf mich gerichtet und nicht mehr ganz so freundlich wie zuvor. "Das ist jede Menge, mehr Geld als ich in meinem Leben je gesehen habe. Kannst du es denn wieder an den Ort zurückbringen, an dem du es gefunden hast? Sicherlich vermisst es schon jemand."

Konnte ich natürlich nicht. Und auch wenn es für Molly viel war, für meine Eltern war es fast nichts. Sie waren so reich, dass sie den Verlust kaum spüren würden. Trotzdem erwiderte ich reumütig: "Ich kann es versuchen. Tut mir leid."

Ihr Blick klärte sich. Jetzt sah sie wieder so nett aus wie zuvor. "Du brauchst mir nichts zu geben oder zu schenken dafür, dass ich dich aufnehme. Solange ich weiß, dass es dir bei uns gut geht und dass du mir und meinem Sohn Tim auf dem Hof zur Hand gehst, ist alles in Ordnung."

"Deinem Sohn?", fragte ich ein wenig verwirrt. Zwar hatte Molly immer wieder von "wir" gesprochen, "wir" liefern die Milch, "wir" können uns nicht alleine um so viele Tiere kümmern und so weiter, doch ich hatte gedacht, dass sie damit niemand bestimmten meinte, oder dass sie wieder mit sich selber sprach wie in dem Moment, als ich bei ihr geklopft hatte. Aber gut zu wissen, dass es mindestens eine weitere Person gab, die hier mit wohnte.

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