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Das nächste, was ich wahrnahm, war eine weiche Unterlage unter meinem Rücken und etwas, das sich eng um meinen gesamten Oberkörper schlang. Ich schnappte nach Luft und musste umgehend husten. Urgh, alles in meinem Brustkorb fühlte sich an, als wäre es nach außen gekrempelt worden. Mir gelang es nach mehreren Versuchen zu blinzeln und das erste, was ich über mir entdeckte, war Mollys erleichtertes Gesicht. Sie hatte es auch geschafft, so ein Glück! Sie sah nicht einmal verletzt aus.

Durch meine Unterlage ging plötzlich ein Ruck, der meine Welt für den Bruchteil einer Sekunde nach links warf. Verwirrt versuchte ich mich umzuschauen, doch Molly schüttelte schnell ihren Kopf: „Alles ist gut. Wir sind auf dem Weg ins Krankenhaus. Ihr habt eine Rauchvergiftung, aber ihr seid erstmal außer Gefahr!" Ihr Blick schweifte ab und als ich ihm unter einiger Anstrengung folgte, entdeckte ich Tim auf einer rollbaren Trage neben mir. Eine durchsichtige Maske bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts, bei jedem Atemzug glaubte ich ein leises Rasseln zu hören, und seine Augen waren geschlossen. Aber auch er lebte noch. Das war das wichtigste.

Die Erschöpfung griff wieder nach mir und ich schlief innerhalb einer Minute wieder ein.


Als ich wieder wach wurde, konnte ich in in meiner Nähe leise Stimmen hören. Die eine war ziemlich sicher Molly, ich erkannte sie obwohl sie versuchte zu flüstern, doch die andere war so stark verzerrt, dass ich mehrmals hinhören musste, um sie einordnen zu können.

"A-aber-, Charon", hustete Tim in diesem Moment trocken, "i-ich hab ihn nicht retten k-können. Er w-war alles, dass du noch v-von ihm hattest Mol-ly, ich habe es ni-icht geschafft!" Tim klang, als wäre er um dreißig Jahre gealtert, in denen er Zigaretten auf Kette geraucht hatte. Dünn und zerbrechlich, rauer als Sandstein, doch gleichzeitig stotternd und erstickt von Tränen.

"Shhht, es ist okay.", tröstete Molly ihn. „Charon und Misty geht es gut, ich hatte sie auf die Weide gebracht, nachdem du Hals über Kopf weggeritten warst. Außerdem sind deine und Stegis Gesundheit viel wichtiger!"

Tim musste wieder langanhaltend husten, es klang furchtbar, als würde er seine Lungen gleich mit raushusten. „St-stegi?", fragte er dann schwach. Etwas raschelte leise. „Ja, er kam plötzlich aus dem Wald und ist ohne zu zögern in den Stall gerannt! Ich weiß nicht, was da drin passiert ist, aber als die Feuerwehr endlich da war, haben sie euch beide bewusstlos auf dem Reitplatz gefunden."

Vorsichtig versuchte ich mich zu bewegen und stellte fest, dass es mir dieses Mal leichter fiel als vorhin im Krankenwagen. Ich konnte meinen Oberkörper aufrichten, meine Arme bewegen und mich umschauen. Wieder lag Tim neben mir, diesmal in einem Bett und Molly kniete in der Lücke zwischen uns, mit dem Rücken zu mir und ihrer ganzen Aufmerksamkeit auf ihren Ziehsohn gerichtet. Tim klang nicht nur schrecklich, er sah auch schlimm aus. Seine Haare waren zu großen Teilen verbrannt und ungleichmäßig lang, seine weit aufgerissenen Augen wirkten eingefallen und Teile seiner Lippen waren schwarz angesengt. Trotzdem schreckte ich nicht vor ihm zurück. Er war immer noch er selbst, Haare konnten nachwachsen und seine Stimme würde sich sicher auch wieder erholen.

„Das war mein Bruder", brachte ich als meine ersten Worte hervor und war erstaunt, wie ähnlich ich Tim klang. Der Drang, mich durch einen unterdrückten Hustenanfall zusammenzukrümmen, war übermächtig, aber was auch immer um meinen Körper geschlungen war, machte mir das unmöglich. „Er hat das Feuer gelegt. Er-, er ist ein-!"

„Stegi, nicht! Du musst dich ausruhen", rief Molly erschrocken und rutschte auf ihren Knien zu mir hinüber, um mich sanft zurück auf mein Bett drücken zu können. Aber ich wehrte ihre Hände ab. Mir ging es gut genug, um mitzureden! „Sie haben mir versprochen, euch in-, in Ruhe zu lassen, wenn ich mit ihnen komme. Aber sie haben gelogen! Und sie haben mir das angetan!"

Während ich mich im Sitzen so drehte, dass die beiden meinen Rücken sehen konnten, begriff ich erst, was man mir da umgewickelt hatte: Mehrere dicke Schichten aus Verbandsstoff, so straff, dass sie mich dauerhaft in eine aufrechte Position zwangen. Trotzdem schnappte Molly hörbar nach Luft, als sie begriff. Sie musste die Wunde gesehen haben, bevor jemand sich um sie gekümmert hatte. „D-die wollen mich nicht, nicht wirklich. Ich bin Dreck für die, aber-", mein ganzer Körper wurde durch mein Husten erschüttert, „aber sie haben mich trotzdem gesucht. Ich musste euch anlügen, damit sie mich nicht finden! Egal was passiert, bitte schickt mich nicht zurück zu denen! Bitte!"

Nach den paar Sätzen spürte ich doch die Erschöpfung zurückkehren und mit einem dumpfen Geräusch plumpste ich zurück auf die Matratze. Mein Rücken jaulte auf, aber ich schaffte es die Zähne zusammenzubeißen und nicht zu schreien oder zu stöhnen. Wenn das keine Narbe wurde, wusste ich auch nicht weiter. Groß und tief genug war die Verletzung dafür auf jeden Fall. Ich atmete ein paar Mal möglichst tief ein und aus und erwiderte dann den Blick, den Tim mir vom Nachbarbett zuwarf. Der unsägliche Horror in seinen Augen war nach Mollys gutem Zureden ein wenig verebbt. Aber dafür waren Vorwürfe dazugekommen, die ich nur allzu gut verstand. Ich war ein furchtbarer Lügner gewesen und verdiente es nicht, dass mein Freund mir sofort wieder vertraute.


Molly hatte wenige Stunden später leider gehen müssen, um uns zu schonen und die Möglichkeit zu geben, zu Schlafen und Energie zu tanken. Die Ärzte vermuteten, dass Tim vielleicht schon morgen entlassen werden konnte, aber mir brummten sie wegen der Rückenverletzung mindestens einen weiteren Tag unter strenger Beobachtung im Krankenbett auf. Mir war das recht, nach dem Aufwachen hatte ich mich kraftloser gefühlt als am Vortag. Jede Bewegung hatte mir alles abverlangt, aber dafür ging es Tim besser und er konnte sogar schon wieder aufstehen und sich bewegen. Meine kurzzeitige Angst, er könnte durch den gestürzten Balken vielleicht gelähmt sein, hatte sich als unnötig herausgestellt. Und er erinnerte sich wieder bruchstückhaft an das, was während des Feuers im Stall passiert war.

„Weißt du, ich glaube, ich war nicht wirklich bewusstlos, als ich unter den Trümmern gelegen habe", erklärte er mir mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte. „Ich habe etwas gehört. Jemand der mir gesagt hat, dass das noch nicht das Ende ist. Und ich dachte, das wärst du gewesen."

Daran konnte ich mich aber nicht erinnern. Ich wusste nur noch, dass ich seinen Namen gebrüllt hatte im Glauben, er wäre tot. „Du hast mich gerettet, nicht wahr? Du hast mich ausgebuddelt und nach draußen geschleppt", fragte Tim mich und ich nickte. Wenn er das sagte, klang es viel heroischer, als es in meinem Kopf aussah. Tim lächelte. „Danke Marcus. Jetzt sind wir wieder quitt. Und-" Seine Hand griff nach meiner und er verschränkte unsere Finger miteinander. „-ich glaube, ich kann dir verzeihen. Wir alle machen Fehler und du hast mir auch eine zweite Chance gegeben."

Zu hören, wie Tim mich bei meinem richtigen Namen nannte, war merkwürdig. Ich hatte mich so sehr an meinen Decknamen gewöhnt, dass der echte jetzt eher fehl am Platze klang. „Mein Name ist Stegi, Tim. Markus ist ein Schweinchen und das kann er gerne bleiben!"

Mein Gegenüber erwiderte mein Grinsen kurz, dann wurde sein Blick plötzlich finster und er starrte zum Fenster hinaus. „Glaubst du, alle Tiere haben es überlebt? Und dass Molly sie wiederfindet? Im Wald gibt es Füchse und Jäger. Der Stall ist futsch und wir kriegen kein Geld, um ihn wieder aufzubauen. Es ist vorbei. Was machen wir jetzt?"

Seine Hoffnungslosigkeit entmutigte auch mich. Der Hof war alles, was Tim kannte. Ohne ihn mussten Molly und er sich einen neuen Weg suchen, um ihr Leben zu gestalten. Aber... gab es vielleicht doch noch eine Möglichkeit, um alles zu retten?

Ich räusperte mich: „Tim? Ich bin mir ganz sicher, dass mein Bruder das Feuer gelegt hat. Ich habe ihn belauscht. Mir müssen nur einen Beweis dafür finden, den das Feuer nicht zerstört hat!"

Zeig mir was Leben ist! (#Stexpert)Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon