Kapitel 10

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Hi, können wir nach der Schule kurz reden? LG Clarissa

Diese SMS bekomme ich im Englisch Unterricht. Eigentlich ist es überhaupt nicht erlaubt das Handy an zu machen, aber ich konnte nicht anders.

Klar können wir :)

Schreibe ich zurück und schalte mein Handy danach aus. Meine Noten in Englisch sind schon miserabel da muss ich mich wirklich verbessern. Als es endlich zum Schulschluss klingelt packe ich schnell meine Sachen zusammen. Auf dem Flur wartet schon Clarissa auf mich. Lächelnd laufe ich ihr entgegen und will sie umarmen, doch sie tut nichts. Sie sieht mich nur niedergeschlagen an. Was ist nur mit ihr los? Als alle weg sind fängt sie endlich an zu sprechen. "Wieso hast du mir etwas vorgespielt?" fragt sie sauer. Ich bin verwirrt. Ich hab ihr nichts vorgespielt. "Die Luisa aus deiner Klasse hat mir erzählt das du hinter meinem Rücken über mich lästert. Du bist so ein abscheulicher Mensch und ich will nichts mit so jemandem zu tun haben. Du bist so ein Fehler." Ich bin was? Ohne Emotionen schaut sie mir geradewegs in meine Augen. Ich bin ein Fehler. "Gut gemacht Clarissa." Luisa zieht sie mit und sie läuft ihr hinterher. Geht von mir weg. Lässt mich alleine mit ihren Worten zurück. Worte die ich nicht verstehe. Worte die mich dazu bringen das ich einfach nur weinen möchte.

Mit Tränen in meinen Augen knalle ich die Tür von meinem Zimmer zu. Sie hat Luisa geglaubt. Sie hat ihr mehr geglaubt als mir. Frustriert schalte ich mein Handy an und lege mich auf mein Bett. Piep. Was ich habe 20 SMS bekommen? Hoffnung steigt in mir auf. Vielleicht ist es Clarissa die sich entschuldigen will. Ich öffne sie und tatsächlich sie sind von Clarissa.

Schlampe.

Billiges Stück.

Fett.

Hässlich.

Du bist nichts wert.

Dein toter Bruder ist besser ohne dich dran, deine Eltern auch und ich auch. Und weißt du auch warum? Weil du ein Nichts bist. Jemand den Niemand haben will, weil er so erbärmlich, dumm und scheiße ist.

Du bist das schlimmste was einem passieren kann.

Ich fange an zu weinen. Schluchzer fahren durch meinen gesamten Körper. Woher weiß sie das mit Alex? Hat Luisa ihr das auch erzählt? Ja natürlich. Ich kann nicht mehr. Ich renne ins Bad. Dort hört mich wenigstens niemand weinen. Ich dachte sie mag mich. Wie kann sie mir jetzt solche Sachen an den Kopf werfen? Als ich ins Badezimmer stürze bleibe ich an einer Schublade hängen. Sie fällt klirrend auf den Boden und zum Vorschein kommt Livs Schminke, doch darauf achte ich nicht. Ich achte nur auf die glänzende Rasierklinge die nicht weit entfernt liegt. Ich hebe sie auf. Soll ich? Ich wollte es eigentlich nie tun. Bilder ziehen an mir vorbei.

Meine Mutter die mich verlässt.

Alex wie er in seinem Blut liegt und vor meinen Augen seinen letzten Atemzug tut.

Mein Vater der mich schlägt.

Meine Mitschüler die mich beleidigen und jeden Tag auf mich einschlagen.

Jason der ein Mädchen zu sich einlädt.

Clarissa die Luisa mehr glaubt als mir.

Ich setze die Klinge an meinen Unterarm an und lasse sie über meine Haut fahren. Schmerz aber er ist erlösend. Er befreit mich. Endlich. Meine Beine geben nach und ich sinke schluchzend auf den Boden. Ich höre sie.

Schlampe! Fett! Hässlich!

Die Klinge fährt erneut über meine Haut. Der 2. Schnitt. Schmerz durchzuckt mich, aber es ist mir egal solange er befreiend wirkt und das tut er. Sie haben recht. Bestimmt stimmt etwas nicht mit mir. Ich schaue auf den Boden. Alles ist voller Blut. Schnell stehe ich auf, spüle die Klinge ab und tue sie mit den anderen Sachen zurück in die Schublade. Danach wische ich das Blut vom Boden auf und versuche das Blut zu stoppen das aus meinem Arm fließt. "Amalia! Abendessen!" ruft Frau Cameron von unten, doch ich beschließe lieber mich ins Bett zu legen. Ich habe keinen Hunger und mein Arm blutet immer noch.

Schlaf.

Ja du hast Recht. Ich bin einfach fertig.

Mitten in der Nacht wache ich weinend auf. Angst durchfährt mich. Ich will Morgen nicht zurück in diese Hölle. Ich will nicht. Nein, nein, nein! Ich schlage meine Hände vor mein Gesicht. Ich kann es doch sowieso nicht ändern. Obwohl...Nein das geht wirklich nicht. Das ich bereit bin soweit zu gehen macht selbst mir selber Angst. Doch anstatt das zu tun schalte ich mein Licht an und krame einen Zettel hervor. Ich nehme mir einen Stift und fange an zu schreiben.

Liebes Tagebuch, wieso wünsche ich mir einen gebrochenen Arm um nicht zur Schule zu müssen? Ich weiß das das lächerlich klingt, aber was soll ich denn machen ohne Menschen an meiner Seite für das sich das Leben lohnt? Jason hat nur noch Augen für ein anderes Mädchen und Liv ist fast nur noch in der Uni.

Hör auf rum zu jammern!

Nein. Du verstehst das nicht.

Ich weiß mehr als du denkst.

Dann erzähl doch mal.

Vergiss es.

Wütend schlage ich gegen meine Hand an die Wand. Das ist es! Es ist mir egal ob es weh tut ich schmettere meine Hand noch ein paar Mal gegen die harte Wand. Nicht so fest das sie bricht, sondern nur wegen dem Schmerz der meinen eigenen unter sich begräbt.

Am Morgen habe ich eine blaue angelaufene Hand die vor Schmerzen pocht. Na toll. Jetzt habe ich Wunden auf meinen Arm und meine Hand sieht auch furchtbar aus. Das habe ich ja mal wieder super hingekriegt. Die Ritzwunden verstecke ich in dem ich das weiße Armband mit dem Vogel drüber anziehe. Und was mache ich jetzt mit der Hand? Fuck. Schlussendlich ziehe ich ein normales Shirt und hoffe das man dadurch die Hand nicht so sieht. Dadurch das ich solange dafür gebraucht habe vergesse ich mein Frühstück mit zu nehmen, was aber nicht wirklich schlimm ist. Ich habe ja sowieso keinen Hunger.

Leider stehe ich vor einem weiteren Problem in der Schule. Ich bin Rechtshänder und die blaugeschlagene Hand ist die Rechte. Ein Vorteil hat es aber auch. Jason wird sie nicht sofort sehen.

Zum Glück müssen wir nicht viel aufschreiben. Bei jedem Wort was ich hin schreibe zuckt meine Hand vor Schmerz zusammen. Jetzt ist es überhaupt nicht mehr angenehm, geschweige denn befreiend. Also beschließe ich in Deutsch nicht mehr mit zu schreiben und hole stattdessen mein Handy heraus. Nur eine neue SMS. Sie stammt von Jason.

Hey Frau Müller guckt dich schon misstrauisch an.

Vor Schreck lasse ich das Handy los und es fällt auf den Boden. Zum Glück klingelt es zum Stundenschluss und ich bücke mich schnell um es aufzuheben. Als ich wieder aufgestanden bin spüre ich Jasons Augen auf mir die mich entsetzt anstarren. Was hat er denn? Oh Mist. Er sieht meine Hand. "Was ist passiert?" Er sieht mich ernst an. Kann ich wirklich lügen? Er sieht mich so intensiv und ernst an.

"Es ist nichts!" zische ich und packe mein Zeug zusammen. Jason packt mich am Handgelenk. Ich könnte vor Schmerz laut aufschreien. "Es ist nichts? Deine Hand sieht furchtbar aus." sagt er aufgebracht und ich ziehe schnell meinen Arm weg. Meine Ritzwunden braucht er nicht auch noch zu sehen. "Vor dir muss ich mich am allerwenigsten rechtfertigen." sage ich leise und blinzle die Tränen weg die in meinen Augen brennen. Danach drehe ich mich einfach um und verlasse den Raum. Also ich persönlich finde mir stehen dramatische Abgänge.

Heute erledige ich meine Hausaufgaben im Park. Ich habe keine Lust nach Hause zu gehen und dort weiter Jasons prüfenden Augen zu begegnen. Da bleibe ich doch lieber hier. Es ist mittlerweile später Herbst. Meine Lieblingsjahreszeit. Das ist die Zeit wo man sich in Decken einkuscheln kann und wo es selbst verständlich ist mal alleine zu sein.

The fear in your eyes *Pausiert*Where stories live. Discover now