Die Drohung

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Der April kam und der April ging. Noch hatte ich nichts von der Freiheit schnuppern dürfen, deren Tore sich augenscheinlich mit meinem siebzehnten Geburtstag für mich geöffnet hatten. Das Maiwetter war wechselmäßig, genau wie meine Stimmung. Missmutig starrte ich aus dem riesigen Bibliotheksfenster und sah die gewaltige, graue Wolkendecke, die unheilvoll über dem Quidditchfeld schwebte immer näher auf das Schloss zuziehen. Es dauerte nicht lange, bis aus dem feinen Nieselregen ein echtes Unwetter geworden war und der Regen sich wie aus Kübeln auf das verdunkelte Schlossgelände ergoss. In einem einschläfernden Takt prasselten die Tropfen mit gezielter Wucht gegen das beschlagene Fenster, sodass meine Sicht auf die Ländereien bald ganz verschleiert war. Genervt wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Diptam-Aufsatz vor mir zu, doch die Zeilen verschwammen vor meinen Augen.

Mein Schädel dröhnte und meine Augen brannten vor Erschöpfung. Ob ich wohl den Aufsatz nachreichen konnte, wenn ich mit Severus redete? Doch tief in meinem Inneren wusste ich bereits bei der einfachen Überlegung, dass seine Antwort ein unanfechtbares „Nein, Isabella, ich mache keine Ausnahmen, auch nicht bei dir", sein würde. Zynisch und dennoch bestimmt. Es war viel zu lange her, dass in mit Severus alleine gewesen war. Ich seufzte leise. Ich vermisste seine Nähe so schrecklich, dass ich nachts manchmal nicht einschlafen konnte, sondern dalag, bis meine Tränen mich in einen unruhigen Traum schickten.

Denn aufgrund der bald anstehenden UTZ- und ZAG-Prüfungen hatte er kaum noch Zeit, weil er oft bis tief in die Nacht hinein seine Unterrichtsstunden vorbereitete oder Aufsätze und Klassenarbeiten korrigieren musste. Hinzu kam für ihn noch seine übliche Arbeit als Lehrer der anderen Klassen. Aber auch für mich ging es stark auf die Abschlussprüfungen zu und ich hockte, zu meinem eigenen Missmut, immer öfter bis spät in die Nacht hinein an irgendwelchen Arbeitsaufträgen und Ausätzen, deren Abgabedatum ich des Öfteren immer fast um ein Haar verpasste, es aber irgendwie doch immer noch rechtzeitig zu schaffen schien. Ich fragte mich, wie Schüler mit weniger Ehrgeiz und weniger guten Noten, als ich, dem ganzen Druck standhielten...

Im Gemeinschaftsraum war es derzeit so laut, dass ich nun doch gezwungen war, mich in die Stille der Bibliothek zurückzuziehen, die ich eigentlich seit geraumer Zeit entschieden mied, weil das Risiko, Yaxley zu begegnen viel zu groß war. Aber heute Abend hatte ich es in dem überfüllten Gemeinschaftsraum einfach nicht mehr ausgehalten. Bei meinem siebten, verkorksten Versuch des Zaubertrankaufsatzes, war ich frustriert aufgesprungen, hatte mir meine Tasche geschnappt und war in die Bibliothek geflüchtet.

Langsam stand ich auf und steuerte die Regalreihe mit der Aufschrift „Zaubertränke und Zauberbräue" an. Die dunklen, hohen Regalreihen warfen schwarze Schatten auf den hölzernen, glattpolierten Bibliotheksboden. Vor der Abteilung für Heiltränke machte ich halt. Die Bibliothek war heute wie ausgestorben. Vielleicht, weil es Freitagabend war und die anderen Schüler besseres zu tun hatten, als sich an einem solchen Abend mit der Wirkung von Diptam herumzuschlagen. Ich seufzte und begann meine pochenden Schläfen mit Zeige-und Mittelfinger zu massieren. Ich hielt inne und schloss die Augen. Und mit einem Mal erfüllte mich verzweifelte Sehnsucht. Oh, Severus. Zaghaft fuhr ich mir mit dem Zeigefinger über meine Lippen und hielt die Augen weiterhin geschlossen...

Das Gefühl in mir war immer noch präsent.
Seine Lippen auf meinen.
Die Hitze.
Das Feuer.

Draußen prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben und ich hörte nun Donner den grauen Himmel erfüllen.

Ich sehnte mich so sehr nach ihm.
Obwohl er manchmal so kalt zu mir war.
Doch wie hätte ich mich wehren können?
Ich war gegen ihn völlig machtlos. Schon seit mehr als einem Jahr.
Ich liebte ihn.
Mit jedem Schlag meines jungen Herzens.
Mit jeder einzelnen Sekunde. Mit jedem Atemzug mehr.

Isabella Malfoy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt