Das Collier

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Hastig stopfte ich die unfertige Sternkarte in meine bereits prall gefüllte Schultasche und hechtete dann zu meinem Koffer herüber. Es musste sein, es würde ihm andernfalls auffallen. Und mit Abscheu im Gesicht zog ich den verhassten Ring, diese unsichtbaren Handschellen, hervor und streifte ihn mir über den Finger. Er sah so falsch aus an meiner Hand. Wie lange Yaxley wohl noch brauchen würde, für den Weg von der Bibliothek zum Gemeinschaftsraum? Eine Minute, vielleicht zwei? Unschlüssig stand ich in dem leeren Schlafsaal, während mein Puls sich zunehmend beschleunigte. Und dann –und ich hasste mich selbst ein wenig für diesen Akt der Eitelkeit- trat ich nach vorn, um mein Spiegelbild in der Innenseite meiner Schranktür zu begutachten.

Mein Gesicht war blass, aber nicht jene edle Malfoy-Blässe, wie ich sie gewohnt war, lag auf meinen Zügen, sondern fahle, ungesunde Blässe. Die Wangen waren hohl und spitz und die hohen Wangenknochen stachen noch immer einen Hauch zu stark hervor, trotz dass ich meine Tagesportion an Essen verdoppelt hatte, was auch nicht unbedingt viel war, aber um einiges mehr, als noch vor einer Woche. Mein Haar hing mir matt und glanzlos wie ein hellblonder Vorhang um das schmale Gesicht und hätte mal wieder die Begegnung mit einer Schere vertragen können. Die Enden waren spröde und schnell wandte ich den Kopf wieder ab, schlug die Schranktür zu und mied dabei den Blick meiner eigenen, hellgrauen Augen, die voller Zweifel und Sorgen waren.

Plötzlich steckte Mary Selwyn, eine meiner Schlafsaalmitbewohnerinnen, ihren Kopf durch die Tür. Ausdruckslos starrte ich sie an. Sie hatte ein hübsches, sonnengebräuntes Gesicht, blaue Augen und dichtes, braunes Haar, war von der Statur her rank und schlank, ähnlich wie ich, nur nicht ganz so schmächtig. „Ähm, Isabella." Ihre Stimme klang unsicher. Ich sah sie an. Bang, beinahe verängstigt. Sie räusperte sich. „Ähm, Jonathan Yaxley wartet im Gemeinschaftsraum... Er sucht dich." Verlegen wich sie meinem Blick aus. „Der Hüter, du weißt schon."

Ich nickte. „Ja, ich weiß", sagte ich kühler, als beabsichtigt. „Sag ihm, ich komme sofort." Mit in der Brust hämmerndem Herzen, ob der Situation, mit der ich mich in wenigen Sekunden wohl oder übel auseinandersetzen musste –was immer es war- wandte ich den Kopf und blickte Mary an, deren azurblaue Augen mich einen Moment misstrauisch fixierten.

„Er hat nach dir verlangt", verdeutlichte sie mit Nachdruck ihre Worte. „Jetzt." Ich warf ihr einen harschen Malfoy-Blick zu, der Vaters arrogantester, strengster Miene ernsthaft Konkurrenz gemacht hätte und keine Widerworte duldete. Sie wich zurück. Mit so einem Blick hatte ich sie noch nie betitelt. Sie wirbelte auf dem Absatz herum. „Ich sag's ihm dann", sagte sie rasch und war auch schon davongeeilt.

Einen Moment tat sie mir fast leid, aber auch nur einen Moment, dann sah ich der unausweichlichen Wahrheit ins Auge. Nämlich, dass ich unter den Blicken sämtlicher Mitschüler, Yaxley unter die Augen treten musste. Ob er das beabsichtigt hatte, den vollen Gemeinschaftsraum als Ort unseres Treffens auszusuchen? Mein Magen schlug einen Salto rückwärts, als sich meine Finger um das schmale Treppengeländer schlossen und ich die Sicherheit des Mädchenschlafsaals hinter mir zurückließ. Der Weg war mit einem Mal viel zu kurz. Es war kaum ein Wimpernschlag vergangen, da stand ich auch schon vor der Tür, die den Gang des Mädchentrakts von dem Gemeinschaftsraum trennte.

Ich musste all meinen nicht vorhandenen Mut zusammennehmen, um endlich die Messingklinke herunterzudrücken und in den nun nicht mehr ganz so lärmigen Gemeinschaftsraum zu treten. Der Ring wog mit einem Mal Zentner an meinem blassen Finger und ich spürte, wie ich meine Hand, ganz von selbst, unbemerkt hinter dem Rücken verbarg, während ich mir auf die Lippe biss, um ja nichts von dem nach außen treten zu lassen, was in meinem Inneren brodelte. Angst. Dann sah ich ihn. Er stand in der Nähe des dunkelgrüngekachelten Kamins, die kalten, grünen Augen in die Flammen gerichtet, während sich seine viel zu attraktiven, wie abscheulichen Lippen, für mich tonlos öffneten und schlossen, etwas zu murmeln schienen, bis mir auffiel, dass seine Worte an den drahtigen Freund mit Hornbrille neben ihm gerichtet waren.
Yaxleys Haar war genauso schwarz wie das von Severus, nur war es kurzgeschnitten, akkurat, jede Strähne saß da, wo sie hingehörte. Genau zwei Meter von ihm entfernt blieb ich stehen. Sein Kopf ruckte plötzlich schlagartig in meine Richtung. Es vergingen gefühlte Stunden, zwei Augenaufschläge, bis mein Mund ein zaghaftes „Hallo" formte. Viel zu schüchtern, viel zu leise, viel zu verängstigt für eine Malfoy. Nichts von der kühlen, stolzen Aura, mit der ich Mary Augenblicke zuvor begegnet war, war mehr geblieben. Aber es schien ihn nicht zu stören. Nicht heute. Nicht jetzt. Er hob eine Hand, sachte. Ich wich automatisch zurück. Bilder flammten vor meinen Augen auf, in denen diese schlanken, schönen Finger mich zu Boden schlugen, sich in mein Haar gruben, mein Kinn nach oben zwangen, um kalten Lippen Platz zu machen, die sich besitzergreifend auf die meinen legten.

Isabella Malfoy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt