Beschlossene Tatsachen

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Als mich meine Mutter eine Stunde später erneut zum Abendessen rufen ließ, zog sich mein Magen wie auf Kommando  unangenehm zusammen, denn die Angst, meinem Vater wieder unter die Augen treten zu müssen, hatte mich die ganze Zeit lang begleitet. Oben in meinem Zimmer warf ich noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Ich wusste, dass es sich nicht schickte, die Eltern warten zu lassen, doch sträubte sich heute Abend jede Faser meines Körper gegen den Gang nach unten ins Esszimmer. Ich zwang mich, tief durchzuatmen.

Mein dichtes, hellblondes Haar schien heute besonders spröde zu sein und die mandelförmigen, sturmgrauen Augen, die mich aus dem Spiegel heraus anstarrten, waren noch immer leicht gerötet. Ich strich mir mit den Fingern über meine helle zarte Haut und versuchte vergebens einen Makel in ihr zu erkennen. Ich rümpfte kurz die Nase, denn ich wünschte, ich wäre anders gewesen. Ich sah meinem Vater für meinen Geschmack viel zu ähnlich. Die selben kalten, grauen Augen, dasselbe helle Haar, die selben aristokratischen Malfoy-Gesichtszüge... Als ich Schritte auf der Treppe hörte, eilte ich aus meinem Zimmer und schritt, elegant und ohne Eile, wie es mir von Kind auf beigebracht worden war, die endlosen Stufen hinab.

Einer der Dutzend Hauselfen hielt mir die Tür zu Salon auf. Erneut zog sich meine zierliche Nase nach oben, als ich das elende Geschöpf voll Abscheu musterte. Ich konnte es nicht leiden, wie sie sich unterwürfig und kriecherisch vor einen warfen und es zuließen, dass man sie herumkommandierte und umherstieß. Und doch war ich ihnen in gewisser Weise so ähnlich. Ich ließ es zu, dass man mir befahl, was ich zu tun und zu lassen hatte, wie ich mich kleidete, wie ich sprach, ging und aß.

Im Esszimmer angekommen umrundete ich den ausladenden Eichentisch, welcher beinahe die Hälfe des gesamten Raumes füllte, obwohl wir nur zu viert zu essen pflegten. „Du kommst spät, Isabella", herrschte mich meine Mutter an. „Du weißt doch, dass es sich nicht schickt, uns warten zu lassen." Sie tat so, als wären die Ereignisse von vorhin nie vorgefallen. Eine besonders prägende Eiegenschaft meiner Mutter war es, unschöne Dinge zu ignorieren und so zu tun, als ob alles ganz normal wäre.

„Verzeihung, Mutter", sagte ich sanft, obwohl ich wusste, dass kaum eine Minute verstrichen war, seit sie mich hatte rufen lassen und ließ mich erneut zur Rechten meines Vaters und gegenüber meines Bruders am Tisch nieder. Diese erzwunge Tradition, dass wir beim Dinner immer zusammen speisten verursachte mir an diesem Abend ein besonders flaues Gefühl im Magen. Draco feixte über das ganze bleiche, spitze Gesicht. Er schien es zu genießen, wenn ich in der Missgunst der Eltern stand, auch wenn er nicht alles mitbekommen hatte, das vorgefallen war.

Wir aßen schweigend, doch die gesamte Zeit über ließ mich mein Vater nicht aus den Augen, doch ich ignorierte die Kälte seines Blickes so gut ich es vermochte und die Minuten flossen nur zäh wie Sirup dahin. Als der Tisch endlich abgedeckt war, und der Vater uns zunickte, was als Zeichen galt, dass wir uns erheben durften machte sich Erleichterung in mir breit. Doch gerade, als ich aufstehen wollte, hielt mich sein strenger Blick aus stahlgrauen Augen zurück. Mein Käfig hatte mich wieder eingeholt.

Draco verließ den Raum und ich schaute ihm beinahe sehnsüchtig hinterher. Die Angst umschloss mein Herz wie blankes Eis, während das Blut jedoch warm und lebendig durch meine Sinne rauschte und mir fast die Luft zum Atmen nahm. Mein Vater trat nun zur Stirnseite des Salons herüber. „Setzen!", sagte er lediglich ohne mich anzuschauen. Ich bemühte mich, seinen Worten Folge zu leisten und ließ mich ihm gegenüber auf einer der Chintz-Couches nieder. Eine ganze Zeit lang, sagte mein Vater nichts, und ich wusste, dass es auch mir nicht gestattet war, zu sprechen, ehe ich aufgefordert wurde. Er saß da, den Tagespropheten lesend, ein Glas Elfenwein in der Hand und beachtete mich nicht.

„Du wirst nach Hogwarts gehen", teilte er mir nach einer Weile sachlich und nüchtern mit, als würden wir nur über das Wetter und nicht über meine Zukunft sprechen. "Schließlich musst du ja irgendwo unterrichtet werden." Er faltete die Zeitung zusammen.

Ich öffnete schon den Mund, um etwas zu erwidern, doch jeglicher Widerstand bröckelte, als mein Vater die Hand hob und mir somit das Wort abschnitt, ehe ich zu sprechen begonnen hatte. „Tu mir einen Gefallen, und sag einfach mal nichts, sondern vertrau auf das, was dein Vater dir sagt", sagte er kühl „Es wird Zeit, dass jemand diesem Kind zeigt, was es heißt sich zu benehmen", sprach er mehr zu sich selbst, als zu irgendjemandem in diesem Raum

„Aber ich-", begann ich, doch verstummte jähe, als mein Vater aufstand, sich Wein nachschenkte und zum Kamin trat.

„Du kannst gehen", erwiderte er, mir den Rücken zugewandt und machte eine Handbewegung in Richtung der Tür.

Ich starrte seinen Rücken an, und ein Gefühl von Abscheu stieg in mir auf und drohte, meine Sinne zu überwältigen, doch ich wagte es nicht, erneut die Stimme gegen ihn zu erheben. Ich schaute Hilfe suchend zu meiner Mutter, aber sie saß nur da, die Beine übereinander geschlagen und ein Buch auf den Knien.Doch ihre Augen bewegten sich einen Hauch zu schnell über die Zeilen, als dass ich ihr abnahm, dass sie tatsächlich las. Ich verließ den Salon ohne mich noch einmal umzudrehen und schloss die Tür hinter mir. Auf dem sündhaft teuren, smaragdgrünen Flur-Läufer breiteten sich in rascher Folge Blutstropfen aus.

Ich hatte meine Fingernägel während des Monologs meines Vaters so tief in meine Handfläche gekrallt, dass sich tiefe Wunden gebildet hatten. Doch der Schmerz war mir so willkommen, wie nichts anderes in diesem Augenblick. Er half mir dabei, mich zu kontrollieren. Er erinnerte mich daran, wer ich war.

Isabella Malfoy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt