Sackgasse Hoffnung

Beginne am Anfang
                                    

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Es war alles wie an einem ganz normalen Schulnachmittag im Januar und ich rieb meine blassen Handflächen immer wieder aneinander und blies meinen heißen Atmen in den kleinen Hohlraum zwischen meinen Händen, in der Hoffnung, dass meine eiskalten und starren Finger ein wenig auftauten. Vorsichtig rückte ich etwas näher an den wärmenden Kessel heran, von dem aus ein feiner rosafarbener Dampf spiralförmig zur Kerkerdecke emporstieg. Ich sog den Duft, der von dem Kessel vor ihr ausging, begierig ein. Ein vertrauter Geruch stieg mir in die Nase, doch ich vermochte es nicht recht, ihn einzuordnen. Ob das an der zerhackten Schafgabe lag?

Zaghaft hob ich den Blick und beobachtete Snape dabei, wie er unheilverkündend durch die Bankreihen rauschte und hier und da einen missbilligenden, scharfen Blick in einen der Kessel warf. Er verhielt sich wie immer, war der typische Lehrer: Dynamisch, streng und kontrolliert. Doch plötzlich –und ich hielt instinktiv den Atem an- stand er hinter mir, er war nicht einmal besonders nahe zu mir herangetreten und trotzdem war ich unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, missachtend der Tatsache, dass er eigentlich den Kessel meines Nachbarn mit stechendem Blick inspizierte und nicht meinen. Ob er den Kontakt wohl mit Absicht mied?

Aber als mir sein Duft in diesem Moment –an diesem grauen, kalten, hoffnungslosen Wintertag- in die Nase stieg, war es, als wenn das alles nie passiert wäre. Als wenn das Gespräch bloß eine meiner eitlen Einbildungen gewesen wäre und seine Worte nur ein verblassender Gedanke. Als wenn meine Rippen nicht bei jedem Schritt schmerzen würden und ich nicht jede Sekunde mit der Angst lebte, dass jemand entdeckte, wie tief ich am Boden lag und wie tief ich immer noch fiel, jeden verdammten Tag. Und als wenn Yaxley nie mit seinen kalten, scheußlichen Lippen die meinen besudelt hätte und sein unbezahlbar kostbarer Saphirring nicht oben in meinem Koffer zwischen den Seiten meines Kräuterkundebuches klemmte.

Aber dann wandte er dem blonden Ravenclaw-Jungen neben mir den Rücken zu, machte einen Schritt auf mich zu und starrte von hinten über meine Schulter mit prüfendem Blick in meinen dampfenden Kessel und immer noch hielt ich die Luft an. Seine Stimme war wie flüssige Seide. „Miss Malfoy", schnurrte die dunkle Stimme dicht an meinem Ohr. Ich meinte fast zu spüren, wie seine Nasenspitze federleicht mein Haar streifte. Seine Nähe setzte mich gänzlich außer Gefecht.

Und mit einem Mal fühlte ich mich furchtbar dumm und schrecklich jung, doch so sehr am Leben, so sehr, wie seit den vergangenen Wochen nicht. Ich war sechzehn, naiv und beeinflussbar. Ich zuckte leicht zusammen, als er meinen Tisch umrundete und vor mir stehen blieb. Atemlos stand ich da, in dem plumen grauen Pullover der Schuluniform, die vollen Lippen zusammengepresst und die schlanken Beine schüchtern und beinahe verlegen gekreuzt. Und als sich unsere Blicke streiften, nur für den winzigen Bruchteil einer Sekunde –sturmgewittergrau und tintenschwarz- war es, als ob ich in eine andere Welt abtauchte...

Doch der Moment war so schnell vergangen, wie er passiert war und rasch senkte ich den Blick wieder auf meine halbzerhackte Schafgabe.

„Haben Sie was an den Ohren?" Jetzt war seine Stimme gar nicht mehr sanft, sondern einfach nur harsch und kalt.

Schnell hob ich den Kopf und blickte an Snape vorbei geradeaus. „Wie bitte?"

„Warum beantworten Sie meine Frage nicht, Malfoy?", blaffte er.

Ich schreckte zusammen. „Ihre Frage... Sir?"

„Ja, meine Frage, die Sie offensichtlich durch ihre Tagträumereien nicht mitbekommen haben."

„Könnten Sie sie dann vielleicht bitte wiederholen?", fragte ich matt.

Er überging meine Frage und lugte wieder in meinen Kessel. „Sie waren mit dem Kopf wohl ganz woanders, Malfoy, das heißt, das was sie hier zusammengebraut haben ist vollkommen wertlos." Er zog den Zauberstab. „Dieses Gemisch ist unbrauchbar. Evanesco." Das was ich mühevoll zusammengebraut hatte, verschwand. Mit einem Klirren fiel das Silbermesser, das ich zum Zerhacken der Scharfgabe benutzt hatte, auf die Arbeitsfläche und ich starrte meinen Zaubertranklehrer mit völliger Entgeisterung an.

„Das wäre dann wohl ein T." Seine Lippen verzogenen sich zu dem hämischsten, gehässigsten Grinsen, dem ich je begegnet war. „Beginnen Sie von vorn", befahl er, wirbelte auf dem Absatz herum und rauschte mit verdrießlicher Miene eine Bankreihe weiter nach vorn, um das Gemisch von Marietta Edgecombe unter die Lupe zu nehmen.

Ich hatte nicht einmal die Kraft, ihm etwas hinterherzuschleudern. Regungslos stand ich da, während einige meiner Mitschüler Snape entgeisterte und zuweilen ungläubige Blicke zuwarfen, denn keiner schien den Sinn dessen verstanden zu haben, was sich Augenblicke zuvor vor ihren Augen ereignet hatte. Ich war nicht minder fassungslos. Das konnte nicht sein Ernst sein... Wie, bei Salazar, sollte ich es fertigbringen, einen annehmbaren Furunkel-Heiltrank zu brauen, dessen Zubereitungszeit genau eine Doppelstunde betrug, wovon schon mehr als die Hälfte verstrichen war?

Das schlechte Gewissen, das mich zuvor noch geplagt hatte, weil ich Snape bestohlen hatte, war mit einem Wink wie weggeblasen. Mein Trank war vielleicht nicht perfekt gewesen, aber auf jeden Fall um einiges besser als das von einigen anderen. Ausgelaugt ließ ich mich auf meinen Stuhl zurücksinken. Womit hatte ich all das hier nur verdient? Was hatte ich getan, dass mich Snape mit einem Mal so abgrundtief hasste?

Wie ein Geist saß ich den Rest der Stunde vor meinem leeren Kessel, während ich die mitleidigen, aber auch gehässigen Blicke der anderen Schüler auf mir spürte. Jedes Licht der Welt war erloschen. Das hellste hatte mich geradewegs geblendet und war nun auch dunkel und still. Alles hatte einfach keinen Sinn mehr, nichts von allem hier. Die letzten heilen Teile meines Inneren gingen zu Bruch. Insgeheim hatte ich immer gehofft, ja darauf gesetzt, dass Severus eines Tages zur mir kommen würde, um mir zu sagen, dass alles ein schrecklicher Fehler gewesen war und dass es ihm leid tat. Aber jetzt konnte ich darüber nur den Kopf schütteln. Das war Severus Snape, nicht irgendein dahergelaufener Zauberer. Er war viel zu stolz dafür.

Es klingelte. Mit mechanischen Bewegungen, fing ich an, meine Sache zusammenzusuchen und ich meine Schultasche zu stopfen. Das schwere Zaubertrankbuch glitt aus meinen schwachen, dünnen Händen und klatschte auf die groben Steinfliesen des Klassenzimmers. Mit zitternden Beinen sank ich zu Boden, um unter den Tisch zu kriechen und es aufzuheben. Ich streckte meine müden Finger nach dem Buch aus, die weiße Bluse und der pumpe, graue Pullover, der mir viel zu groß geworden war, rutschte nach vorn und entblößte blasse, mit dunkelblauen und grüngelblichen Flecken übersäte Haut.

Ich keuchte auf, als ich meinen Kopf unter dem Tisch hervorzog und Zaubertränke für Fortgeschrittene mit fahrigen Fingern in den Tiefen meiner viel zu schweren Schultasche verschwinden ließ. Hastig stopfte ich die englittene Bluse zurück in den Rock, der mir um die Taille herum längst zu weit geworden war und zog den Pullover so weit nach unten, dass er beinahe auf einer Länge mit dem schwarzen Schulrock war.

Doch als ich mein langes Haar zurückstrich und mich, mit einer Hand am Pult hochziehend, stöhnend aufrichtete sah ich über mir einen dunklen, langen Schatten, spürte den heftigen Windzug eines vorbeirauschenden Umhangs und blickte keine Sekunde später in Snapes blasses, wutverzerrtes Gesicht, die dunklen Augenbrauen so dicht zusammengezogenen wie nur irgend möglich und die rabenschwarzen Augen funkelnd vor eiskalten Zorn, gemischt mit jähe entflammtem, unerbittlichem Hass, der dieses Mal jedoch nicht mir zu gelten schien...


Wie fandet ihr das Kapitel? :) Zu Snapes Verhalten sage ich jetzt mal nichts... Hehe :D

Isabella Malfoy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt