Feuerwhiskey und Butterbier

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Mit einem Mal kam mir alles ziemlich surreal vor, nicht falsch unbedingt, nur irgendwie seltsam... wie ein Traum. Ein sehr absurder Traum. Einen Moment stellte ich mir sogar vor, wie es wohl für einen Außenstehenden aussehen musste. Keine Frage: Seltsam. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich begriff, dass ich so praktisch zum Verräter geworden war. Ich war eine Verräterin. Ich kicherte kurz, bevor ich merkte, dass eben jenes Kichern sich auf unerklärliche Weise auf einmal in ein lautes Lachen verwandelt hatte. Worüber lachte ich überhaupt? Über die Kanarienkremschnitten von Fred und George? Über Michael Corners Hand auf meinem Oberschenkel, die mich noch seltsamerweise gar nicht zu stören schien? Oder lachte ich über mich selbst? Isabella Malfoy, die Verräterin?

Ich registrierte unterbewusst, dass ich gar nicht mehr wusste, warum ich überhaupt zu lachen angefangen hatte und schloss schnell meinen Mund. Angelina Johnson warf mir einen seltsamen Blick zu. Irgendwie war mir plötzlich ziemlich heiß und ich hielt die Butterbierflasche an meine Wange, um mein Gesicht zu kühlen. Ich setzte die Flasche an die Lippen. Sie war leer. Langsam stand ich auf und schwankte zum Tisch mit den Getränken herüber.

„Hups."

Zwei Hände hielten mich fest, als sich die Welt um mich herum plötzlich zu drehen begann. Um mich herum war es weder dunkel noch hell. Die Stimmen und das Gelächter hörte ich schon gar nicht mehr. Die Welt kippte. Ich hielt mich an den Armen der Person fest, um mich nicht ihre auf seine Füße zu übergeben.

„Du bist betrunken", hörte ich jemanden sagen.

„Tss", machte ich nur und probierte mich aufzurichten. Fehlanzeige. Die Welt schien schon wieder Kipp zu stehen und diesmal wusste ich nicht, wie lange ich mich noch auf den Beinen halten konnte.

„Setz dich", wies mich die Stimme an.

„Hey Hermine", sagte eine andere Stimme. „Reich mir mal das Wasser." Ich spürte, wie mir jemand eine Flasche an die Lippen setzte und mich zwang zu trinken. Ich nahm ein paar Schlucke Wasser und bevor ich noch einmal geblinzelt hatte, fand ich mich auch schon auf dem Boden des Klassenzimmers wieder.

„Scheiße, die ist ja sternhagelvoll", lachte jemand.
„Bella?"

Ich hob den Kopf.

„Katie?"

Katies braune Augen schienen vor meinen eigenen zu verschwimmen. Ich schlang die Arme um ihren Hals. „Bei Merlin, Bella, wie viel hast du denn intus?", fragte sie und ich sah, wie ein Grinsen über ihr Gesicht huschte.

„Ich hatte doch nur ein Butterbier", murmelte ich. Naja, oder vielleicht auch zwei... oder drei?

„Wer ist das überhaupt?" Ein rothaariger Junge beugte sich zu mir und Katie herunter, um einen Blick auf mein Gesicht zu erhaschen.

„Verdammt, die sieht Fleur Delacour aber ziemlich ähnlich, was Ron?"

„Halt die Klappe, Ginny."

„Ist doch so, oder Harry?"

Ich hörte ein Lachen. „So wies aussieht muss ich deiner Schwester wohl leider recht geben, Kumpel."

„Tja, Ronnie muss sich ranhalten. Aber gegen Bill hat er wohl keine Chance."

„Halt die Klappe, Ginny", hörte Ron Weasley zum zweiten Mal sagen, ehe er sich verdrückte um die Kanarienkremschnitten unter die Lupe zu nehmen.

Eine Pause folgte.

„Seit wann gehst du eigentlich mit Dean, Ginny?", hörte ich nun Katie fragen.

„Ich gehe doch nicht mit Dean." Ein Kichern. „Jedenfalls noch nicht."

„Hey, gib mir mal den Feuerwhiskey", vernahm ich die Stimme eines Weasley-Zwillings.

„Wo warst du überhaupt so lange, Fred?" Das war wieder Ginny.

Ich starrte das Teppichmuster unter mir an.

„Was macht Isabella denn auf dem Boden?" Fred lachte. „Hey Harry, nimm mal ihren Arm."

Ich wurde auf die Beine gezogen und wieder auf der Couch platziert. „Sorry", murmelte ich und lachte nervös. Dann hob ich den Kopf und blickte in ein paar leuchtend hellgrüne Augen.

Es traf mich wie der Blitz. Warum ging mir der Blick von Harry Potters Augen so durch und durch? Mein vernebeltes Gehirn schien auf Hochtouren zu arbeiten, doch es schien sich nicht entsinnen zu wollen, warum mich sein Blick so aus dem Konzept gebracht hatte.

Fred drückte mir ein Butterbier in die Hand. „Hey Fred, die ist doch schon total neben der Spur. Lass den Schwachsinn." Das Butterbier wurde durch ein Glas Wasser ersetzt. Ich kuschelte mich in die Kissen des Sofas. Plötzlich war mir wieder kalt. Fred legte mir einen Gryffindorschal um die Schultern, dann verdrückte er sich wieder. Nach einiger Zeit merkte ich, wie sich das Rauschgefühl langsam verflüchtigte, wenn auch nicht gänzlich.

Irgendwann beschloss ich, dass es ratsam wäre, die Toilette aufzusuchen. Ich stand auf und schwankte noch immer leicht, als ich die Tür hinter mir schloss und ich mich auf dem dunklen, ausgestorbenen Korridor von McGonagalls Klassenzimmer wiederfand. Das nächtliche Schloss war vollkommen ruhig und nach dem Lärm der Party kam es mir noch stiller vor. Die Strahlen des Mondes fielen durch die hohen Fenster und tauchten den Gang in weiches silbernes Licht. Langsam und ganz in Gedanken versunken schlenderte ich den Gang entlang bis ich zur Mädchentoilette kam. Ich hielt meine Hände unter den eisigen Strahl des Wasserspeiers und starrte in den Spiegel über dem Waschbecken.

Ich erwiderte den Blick meines Spiegelbildes und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich. Mein vernebeltes Gehirn schien wohl doch noch zu funktionieren, jedenfalls halbwegs. Es war das Mädchen auf dem Foto aus Snapes Buch mit den dunkelroten Haaren und den leuchtend grünen Augen – Harry Potters Augen. Harry Potter und das Mädchen hatten exakt dieselben Augen. Hellgrün und mandelförmig, mit dichten dunklen Wimpern. Ich hielt den Atem an. Und wieder einmal stellte ich mir eine Frage über meinen Zaubertrankprofessor, die nur auf ein Rätsel mit Sackgasse stoßen konnte. Warum bewahrte Snape solch ein Foto zwischen den Zeilen eines Buches auf?

Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. Die Welt schien zwar nicht mehr Kopf zu stehen, aber nüchtern war ich auch jeden Fall auch noch nicht. Ich stieß die Badezimmertür auf und schlenderte auf den Korridor hinaus und zurück zur Party der Gryffindors. Durch die Ritzen des Schlosses hörte ich draußen auf den Ländereinen das Schneegetümmel und den Wind heulen. Ich fröstelte und zog den Gryffindorschal, der noch immer um meine Schultern hing, enger um meinen Hals.

Die Musik und das Stimmengewirr drangen bis nach hier draußen auf den Korridor. Ich hatte mir bis jetzt auch noch keine Gedanken darüber gemacht, was wohl passieren würde, wenn man uns erwischte. Ich kicherte. Und wenn schon... Ich prallte gegen etwas Festes und das Herz sank mir schneller in die Hose, als ein Schockzauber, der aus einem Zauberstab schießt. Ich traute mich gar nicht erst den Blick zu heben, denn ich wusste auch so, wem die schwarzen Stiefel vor mir gehörten und wessen Gesicht dort über mir mit Sicherheit wutentbrannt auf mich herabstarrte.

Isabella Malfoy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt