Die Kunst, aufzubegehren

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Meine Brust hob und senkte sich in raschen Abständen und das Adrenalin pumpte durch meinen Körper.

Der Ausdruck in seinem Gesicht machte mir Angst und ließ meinen Herzschlag für einige Augenblicke aussetzen, doch ich wich nicht zurück. Er glich einem Wahnsinnigen. Die dunkelgrauen Augen weiteten sich gefährlich, aus seinem Gesicht war jede Farbe gewichen und er wirkte zornentbrannt. So wütend hatte ich ihn noch nie erlebt.

„Es tut mir leid", sagte ich schnell und wusste doch, dass diese Worte nichts an dem eben Gesagten änderten.

Sein Gesichtsausdruck war nach wie vor versteinert, der Blick seiner kalten Augen war auf mich gerichtet. Nun wich ich doch erschrocken zurück. Doch er trat einen Schritt auf mich zu.

Ich taumelte, als mich seine Ohrfeige traf. Einmal, zweimal, dreimal schlug er zu. Mir wurde schwarz vor Augen und meine Hände suchten verzweifelt nach Halt. Ich strauchelte, doch fand nur die harte Tischplatte hinter mir. Der vierte Schlag nahm mir die Luft zu atmen. Der fünfte zwang mich in die Knie. Der sechste schmerzte schon nicht mehr. Den siebten nahm ich kaum mehr wahr. Der achte nahm mir kurzzeitig die Besinnung.


Ich fand mich auf dem Boden des Studierzimmers wieder. Es mussten nur einige Augenblicke, wenn nicht Sekunden, vergangen sein, denn mein Vater lehnte mit dem Rücken am Schreibtisch, nippte an seinem Weinglas und starrte mich mit Hass in den Augen an.

Stöhnend richtete ich mich auf und strich mir das hellblonde Haar aus dem Gesicht. Mein Vater stellte sich wieder in eine aufrechte Position und sah zu mir herab, wie er es immer getan hatte. Dort saß ich zu seinen Füßen, zwang die Tränen zurück. Er grub die Hand in mein dichtes, blondes Haar und zog es in den Nacken, sodass ich zu ihm aufschauen musste.

„Tu das nie wieder, hörst du", zischte er.

Ich nickte mechanisch.

„Hast du jetzt verstanden, was es heißt, wenn man seinem Vater nicht gehorcht?", fragte er mit kalter, abfälliger Stimme.

Ich hatte Mühe, meine Stimme wiederzufinden. Meine Wange brannte, mein Körper schmerzte.

„Ja, Sir."

„Und wirst du tun, worum ich dich gebeten habe?"

„Ich kann nicht, Vater", wisperte ich. „Bitte, zwing mich nicht..."

Er zog mich in die Höhe und seine kalte Hand zerquetschte meinen Oberarm, als sich seine langen Finger darum schlossen.

„Du wirst", zischte er. „Wenn nicht, dann schwöre ich dir, wirst du dieses Haus nicht mehr verlassen, bis ich tot oder du verheiratet bist."

Mir wurde schon wieder schwarz vor Augen.

„Also?" Sein Griff wurde noch fester. „Gehorchst du mir nun?"

„Nein, diesmal nicht, Vater", flüsterte ich.

„Wie bitte?"

„NEIN", schrie ich, sprang auf, riss die Tür des Studierzimmers auf und stürmte auf den Flur hinaus.

„ISABELLA! KOMM SOFORT ZURÜCK!"

„NEIN", rief ich erneut und rote Zornesflecken breiteten sich auf meinen Wangen aus. Ich stieß meine Mutter aus dem Weg, die offenbar an der Tür gelauscht hatte und mich nun mit blankem Entsetzen in den himmelblauen Augen ansah und lief mit schnellen Schritten durch den endlos langen Korridor, der zur Eingangshalle des Anwesens führte.

„Isabella, bleib stehen!", schrie mein Vater mir hinterher. Er war außer sich. „Wag es ja nicht, jetzt davonzulaufen."

Doch ich dachte gar nicht daran, stehen zu bleiben. Nun hörte ich die dumpfen Schritte meines Vaters auf der Treppe, die in den ersten Stock führte. Er war keine fünfzehn Meter hinter mir. Er verfolgte mich, hatte nun sogar den Zauberstab gezogen. Jähe packte mich die Angst.

Die Steintreppe kam in Sicht und ich ließ meine hohen Schuhe achtlos auf dem dunkelgrünen Läufer zurück, der sich durch den Flur zog. Auf nackten Füßen eilte ich die ausladende Zufahrtstreppe hinab, die hinunter zu den Parkanlagen von Malfoy Manor führte. Mein Kleid riss am Saum, als ich den Treppenabsatz erreichte, doch ich achtete nicht darauf. Ich wusste nur eines: Wenn mein Vater mich jetzt zu fassen kriegte, konnte ich für nichts garantieren.

Der Kies knirschte unter meinen Füßen und die Steine bohrten sich schmerzhaft in meine Haut, als ich den breiten Einfahrtsweg entlang rannte. Vorbei an perfekt gepflegten und zurechtgestutzten Hecken. Vorbei an den weißen Pfauen, die majestätisch durch das gemähte Gras staksten. Ich warf einen Blick zurück über die Schulter. Mein blondes Haar peitschte mir ins Gesicht und der Wind zerzauste die einst perfekt frisierten Strähnen.

Mein Vater stand nun im Portal. Groß und furchteinflößend hob sich seine dunkle Gestalt vom Schein der Lampen, die das Anwesen erleuchteten, ab. Der Himmel wurde immer dunkler. Sekundenlanges Donnergrollen erfüllte die schwüle Luft und ein Blitz durchzuckte den indigoblauen Nachthimmel. Ich drehte mich nicht mehr um, blickte nicht zurück, ignorierte die zornerfüllten Rufe meines Vaters.

Dann war der Kies verschwunden und ich rannte durch kurzgemähtes, feuchtes Gras. Meine Füße flogen fast über den harten Boden, denn ich lief so schnell, wie ich nie zuvor gerannt war. Das Blut pochte in meinen Ohren mit dem Trommeln meiner nackten Fußsohlen um die Wette. Hinter mir lag nur das gewaltige Manor und hob sich impulsiv und immens vom dunklen Himmel ab. Es wirkte beinahe gespenstisch mit seinen in der Dunkelheit schimmernden Fenstern und den hohen Hecken. Mein Atmen ging mit einem Mal noch schwerer und das Blut rauschte noch immer in meinem Kopf und benebelte meine wirren Gedanken.

Die ersten Tropfen klatschten mir mit solcher Wucht ins Gesicht, sodass ich die Arme schützend vors Gesicht hielt. Erst als ich das schmiedeeiserne Doppeltor, das von hohen Hecken umsäumt wurde, hinter mir gelassen hatte, verlangsamte ich meine Schritte und hielt mir die stechenden Hüften. Mein Atem ging rasselnd. Schlamm und Grashalme klebten an meinen nackten Füßen. Es war eine sternenklare Nacht. Weit und endlos eröffnete sich mir der Blick auf die Grafschaften von Wiltshire. Breite Felder und endlos erscheinende Wiesen, wohin das Auge reichte. Und hinter mir lag mein Zuhause, das ich nun mehr fürchtete, als je zuvor.

Und zum ersten Mal in meinem Leben merkte ich, dass die Frage, die ich mir seit Monaten stellte, nun bildlich vor mir sah. Es war eine Allegorie. Freiheit und Selbstentfaltung konnten vor mir liegen, wenn ich Malfoy Manor nun für immer zurückließ, wenn ich floh und nie wieder einen Fuß über die Schwelle meines Elternhauses setzte. Wie die Schwester meiner Mutter, Andromeda, die aus Liebe zu einem Muggel enterbt und verstoßen worden war und von der niemals gesprochen wurde. Ich konnte fliehen... Aber wohin? Die langen Grashalme der Felder vor mir bogen sich sachte im Wind und der Regen schien nachgelassen zu haben. Doch mein blondes langes Haar klebte mir feucht im Gesicht und der Saum meines einst rosafarbenen Kleides war nass und voller Dreck. Ja, ich konnte meine Familie verlassen und davonlaufen. Doch die Menschen sind für vieles geschaffen, aber nicht für die Einsamkeit.

Und dann warf ich einen Blick zurück auf die verhasste Fassade von Malfoy Manor und fasste einen folgenschweren Entschluss...


AN: Ahh, das Kapitel war ein wenig nervenaufreibend... War das Ganze zu brutal? :/

Isabella Malfoy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt