Im Traum verfolgt

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„Träumst du schon wieder? Nimm gefälligst Haltung an!", warf er genervt ein, packte meinen Arm und drückte mit seiner Hand meinen Rücken in eine Position, die er offenbar als „Haltung" guthieß, entriss mir mit kaltem Blick die Zeitung und überflog rasch die Titelseite. „Der übliche Plunder", meinte er mehr zu sich selbst und schlug sie trotz dessen auf.

Bemüht darauf, den Rücken gestreckt zu halten durchmaß ich den Salon und ließ mich endlich am anderen Kopfende des Tisches nieder. Ich nahm mir ein Toast und begann langsam Butter darauf zu streichen.

Mein Vater hob den Blick von der Zeitung und seine stahlgrauen Augen verfolgten jede meiner Bewegungen.

„Was?", hätte ich am liebsten gerufen, doch ich blieb stumm und wich seinem Blick aus, auch wenn ich wusste, dass er dies nicht leiden konnte.

Nachdem ungefähr zehn Minuten verstrichen waren, in denen mein Vater mich nur angestarrt oder sich stirnrunzelnd über die Zeitung gebeugt hatte und ich mich gerade meinem Spiegelei zuwandte, betrat mein Bruder das Speisezimmer.

Er war diesen Sommer, im Juni, fünfzehn geworden. Seine hochgewachsene Statur wies bereits die ersten männlichen Züge auf und die Ähnlichkeit zu unserem Vater wurde von Tag zu Tag erschreckend größer.

Doch in seinen Augen fand ich mehr Wärme, als in denen meines Vaters, wenngleich sie meist Spott und Häme aufwiesen, war ich mir sicher, dass unter der kalten Fassade der kleine Junge verborgen war, mit dem ich in Kindertagen einst unbeschwert und frei zusammengespielt hatte.
Ich vermisste diese Zeiten derweilen schmerzlich, denn für mich hatte sich das Blatt um hundertachtzig Grad gewendet, was das sorgenfreie Leben anging.

Während mein Bruder die Anerkennung der Eltern und Verwandten genoss, wurde ich zunehmend ausgegrenzt. Wann war wohl das letzte Mal gewesen, an dem ich meinen Vater stolz gemacht hatte?

Meine Mutter wiederholte diese Worte oft, wie stolz sie doch sei, zwei so wunderbare Kinder zu haben und das übliche Geplänkel miteingeschlossen. Doch ihre Worte waren leer, sie bedeuteten mir nichts. Doch die Worte meines Vaters wogen schwer wie Gold für mich. Jede Bemerkung von ihm wurde von mir auf die Goldwaage gelegt.

Innerlich hoffte ich manchmal darauf, dass er merkte, wie sehr ich mich nach seiner Anerkennung und Zuneigung sehnte, doch ich verwarf den Gedanken meist schnell wieder, denn ich war schließlich kein Kind mehr.

Immer wenn ich zu hoffen wagte, waren seine Worte meist hart und kalt, nichts war von der Wärme der Vergangenheit geblieben. Wie sehr wünschte ich mich zurück in die Zeit, in der ich sechs, vielleicht sieben Jahre alt gewesen war, denn damals hatte ich Liebe gespürt.

Ich war meinem Vater stets mit Respekt begegnet, doch im Laufe meines Lebens schwang immer ein Fünkchen Angst mit, welches mittlerweile zu einem großen Funken herangewachsen war, der auszubrechen drohte, wenn er nicht in Zaum gehalten und unter Kontrolle gebracht wurde.

Oft spürte ich Zorn und Enttäuschung in mir. Doch eine Malfoy erhob sich nicht gegen ihren Vater. Und so erlitt ich still die täglichen Schmerzen, die mir mein Vater psychisch zufügte, ohne es zu bemerken.

„Guten Morgen, Draco", sagte mein Vater, deutete ein Lächeln an und faltete die Zeitung zusammen.

„Guten Morgen, Vater", erwiderte dieser, straffte die Schultern und nahm neben ihm Platz.

Der silberne Griff der Gabel, an deren Spitze ein Stück Spiegelei aufgespießt war, drückte sich unbarmherzig in meine warme Hand und hinterließ Abdrücke auf der jungen Haut. Erst als der Schmerz mich nicht mehr einhüllte und ich merkte, dass man das Wort an mich gerichtet hatte, lockerte ich den verkrampften Griff um das Besteck.

Isabella Malfoy Where stories live. Discover now