T W E N T Y S I X

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T W E N T Y S I X

Meine angetriebenen Beine waren fixer und schneller als meine noch überlegenden Gedanken und somit sprang ich mit solch einer Motiviation und einem erfassenden Enthusiasmus auf, sodass ich nicht einmal mehr hinterherkam und der älteren Frau etwas zum Abschied zuflüstern konnte. Ich sprintete mit einer durchtriebenen Wucht nach vorne, schnurstracks an wildfremden Personen vorbei, die mir die verwirrendsten Blicke zu warfen. Und dabei brannte auch einer in meinem Rücken, der so heiß war, dass er, wenn ich keine Metapher verwenden würde, mit Sicherheit eine fleischige Brandwunde auf meiner Haut hinterlassen würde. Der Blick von Aira.

Kurz bevor der mir fast schon surreal vorkommende Loki endgültig aus meinem Blickfeld zu verschwinden schien, kriegte ich noch in der letzten rettenden Sekunde seine Aufmerksamkeit und ich wusste, dass die Situation genauso verwunderlich auch für ihn sein musste. Mit mir hat er wohl in diesem Moment am allerwenigsten gerechnet. "Alice? Was zum... was machst du hier?", raunte der Lügengott mir mit einem plötzlich hell werdendem Ton entgegen und wirkte dabei schon fast kleinlaut. "Das gleiche könnte ich dich eigentlich fragen. Solltest du nicht in deinem Loch da unten verrotten?", gab ich zurück, bevor ich merkte, dass in dieser Sekunde es wohl kein besonders guter Moment für schlechte Neckereien war. Loki musterte mich noch einmal von oben bis unten, bevor er mir schließlich eine Antwort leistete. "Dies hatte ich auch eigentlich vor. Aber ich hab mir die Erlaubnis von Frigga geholt, dass ich bei solchen Angriffen Hilfe leisten durfte, solang ich nur als Illusion erscheine." "Illusion? Das heißt, du bist gar nicht wirklich hier?" Nun war ich diejenige, die jeden einzelnen Zentimeter seines Körpers begutachtete, nur um mir sicher zu sein, dass der wahrhaftige Loki nicht gerade wirklich vor mir stand und er sich hier gerade einen albernen Spaß mit mir erlaubte. Aber wenn seine ungläubige Aussage wirklich der Wahrheit entsprach, dann musste ich zugeben, dass seine Kräfte wirklich ordentliche Arbeit leisteten. "Nein, natürlich nicht. Denkst du allen Ernstes, man würde mich hier ohne Fesseln oder Wachen einfach so herumlaufen lassen? Vor  Allem bei so einer Chance, wo ich jeden Moment verschwinden könnte? Nein, Odin ist klug genug, das zu durchschauen. Ob man es glaubt oder nicht. Außerdem würde ich dir genau das Selbe raten. Du solltest auch nicht dort sein, wo der Kampf ausgehandelt wird. Glaub mir, ich erkenne, wie sehr du das willst. Schließlich hast du ja einen gewissen Avengers Instinkt." Es war fast schon gruslig, wie sehr Loki mich doch zu kennen schien. Doch immerhin lebte ich zwei bis drei Wochen auf engstem Raum mit dem Adoptivsohn Odins zusammen und da kann es auch schon einmal vorkommen, dass man Details aus seinem Leben erzählt, die man so jemandem wie ihm eigentlich nie anvertrauen wollte.

Dementsprechend wütend über seine Aussage, dass es anscheinend keine Anzeichen darauf gab, dass er meine Flucht aus dem Krankenflügel ermöglichen wollte, musste ich wohl auch aussehen. Grantig klammerte ich mich an dem Gitter fest, was in meinen Händen hoffentlich bald zerfließen sollte. Oder ich es wenigstens zertrümmern durfte. Aber nichts dergleichen geschah, und somit musste ich mich mit weiter mit meiner miserablen Situation auseinandersetzen, die nicht viele hilfreiche Optionen beinhaltenden. Entweder ich würde die ganze Zeit hierbleiben und den anderen Patienten helfen sich zu beruhigen, danach aber in Unmengen an Schuldgefühlen baden müssen, oder ich müsste Loki noch dazu überreden mich doch hier irgendwie rauszubekommen, aber wahrscheinliche schwere Wunden tragen müssen. Die Antwort war also klar; Option Zwei.

"Loki, du weißt, dass ich etwas bewirken kann. Das ist dir doch klar, oder?" Der Ase verdrehte seine großen, hellen Augen und schien von mir nicht mehr so angetan. "Natürlich weiß ich das. Aber du hast keinerlei Ahnung, wie ein richtiger Kampf in Asgard aussieht." Seine Mimik noch einmal wiederholend stieß ich mit entnervtem Ton meine Antwort aus: "Weißt du was? Das hat mir jeder gesagt. Jeder meint ständig, ich sei zu jung, zu schwach, zu unerfahren um etwas zu bewirken. Man weiß, dass ich die Kraft dazu habe, aber man traut es mir einfach nicht zu. Ich habe doch schon Schlachten ausgetragen! Ich habe auch schon einen Sieg errungen! Und das, obwohl ich nur noch das Minimalste meiner Kräfte hatte, aber die Geschichte kennst du ja auch schon. Ich war bis jetzt immer bereit und habe immer bis zum letzten Bisschen gekämpft und egal, ob wir heute gewinnen oder verlieren, ich werde damit nicht fertig, dass du mich hier hast verrotten lassen, während ich andere Menschen das Leben hätte retten können. Stell dir vor, was es für einen Unterschied macht, wenn eine Elementbändigerin antritt. Und wie viele werden damit rechnen? Kein Einziger. Also sind wir mit mir doch genau noch im Vorteil, hab ich Recht?" Meine Stimme, die voller Elan und Lebhaftigkeit fast schon Funken sprühte, war stark und konsequent und würde sich so schnell nicht mit einem einfachen Nein abtun. Mein viel größeres Gegenüber wirkte ziemlich zerknirscht und ich konnte erkennen, dass er sein Unterkiefer fest anspannte. Er schloss seine Lider und bis er sie wieder öffnete, dauerte es bestimmt ganze drei Sekunden. Voller Hoffnung lugte ich ihn mit großen Augen an und ich dachte schon, er würde tatsächlich nachgeben. Aber in diesem Moment herrschte wohl mehr Vernunft als Wahnsinn in Lokis Körper, was mich zugegebener Maßen ein klein wenig überraschte. "Nein, Alice. Ich kann dich unmöglich dort raus befreien. Ich habe nicht einmal das richtige Werk dafür." Meine Stimmung ist an einen neuen Tiefpunkt bereits angelangt, bis ich realisierte, dass der Bruder Thors das Wort ich ganz komisch betonte. Und bevor ich überhaupt auf des Rätsels Lösung kommen konnte, verwandelte sich Lokis kerzengerader, schlanker Körper zu einem etwas buckligem, korpulenten Bau eines in Gold gekleideten Wachen, der etwas kleiner als der richtige Loki war. Ich war so verblüfft und erstaunt von seiner Gabe, dass ich mich sogar ein bisschen fürchtete vor dem Wachmann. "Loki, du gerissener Mistkerl.", murmelte ich, während eine kleines Lächeln meine Lippen umspielte.

F I R E E M P R E S SWhere stories live. Discover now