Kapitel 33

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Gilles Sicht

Sechs Tage waren vergangen, seit ich Sam das letzte Mal gesehen hatte und ich stand davor, durchzudrehen. Einmal vermisste ich ihn. Plötzlich war ich mir wieder schmerzlichst meiner Gefangenschaft bewusst. Und meiner Einsamkeit.

Und dann machte ich mir Sorgen um ihn, denn wenn ich daran dachte, wie Biggie mich nach dem Kuss behandelt hatte, war ich mir sicher, dass er Sam auch nicht einfach unbestraft davonkommen ließ.

Als Biggie ein paar Stunden nachdem er Sam und mich erwischt hatte, zu mir kam, um mir mein Essen zu bringen, hatte er mich mit einem Todesblick angestarrt. „Jetzt darfst du wieder mit mir Vorlieb nehmen, was?", versuchte ich, die Atmosphäre etwas aufzulockern, aber das ging nach hinten los. Grimmig stapfte er auf mich zu. „So, was machen wir jetzt bloß mit dir? Bist wohl doch etwas gerissener, als ich dachte. Ziemlich cleverer Gedanke. Ich wickel ihn um den Finger, dann lässt er mich bestimmt hier raus. Und, hat er dir schon Versprechungen gemacht?"

Wenn er sich so vor mir aufbaute, bekam ich es ehrlich gesagt etwas mit der Angst zu tun. „Nein,", ich schüttelte heftig den Kopf, „ich hatte nicht solche Absichten. Das kannst du mir glauben!"

Mir war klar, dass er mir das nicht glaubte - ich wusste doch selbst, wie das klang. „Ja klar und als Nächstes erzählst du mir dann noch, du hättest echte Gefühle für ihn, hmm?" „Ja! Ich hatte wirklich keine Absichten, ich-" Plötzlich verpasste er mir eine Ohrfeige. Geschockt legte ich meine Hand an meine Wange. Es brannte höllisch. Jetzt setzte er ein Grinsen auf, das meine Angst noch etwas größer werden ließ: „Halt jetzt besser ma' die Klappe und benimm dich artig, sonst bleib ich nicht mehr so nett."

Wenn ich jetzt daran zurückdachte, fiel mir auf, dass das, von Sams Wutausbrüchen abgesehen, das einzige Mal war, dass sie mir hier gegenüber handgreiflich geworden sind. Vermutlich war es deswegen nochmal überraschender gewesen, da ich mittlerweile nicht mehr damit gerechnet hatte.

Seitdem vermied ich es, irgendetwas zu tun, das Biggie aufregen könnte - was Reden einschloss. Also blieb ich auch jetzt wieder stumm, als ich hörte, wie sich die Tür öffnete. Unverwandt starrte ich an die Decke und wartete, dass er wieder gegangen war.

„Hmm. Ich hätte mir meine Begrüßung etwas netter vorgestellt." Ich schoss hoch. War das eine Halluzination? Aber nein, der Sam, der da vor mir stand und mich verschmitzt angrinste, wirkte ziemlich echt.

Ich sprang hoch und rannte direkt in seine Arme. Etwas zu spät realisierte ich, dass das vielleicht eine Spur zu dramatisch war, schließlich waren es gerade einmal sechs Tage gewesen, die wir uns nicht gesehen hatten. Aber sechs Tage hier drinnen fühlten sich nun mal an wie die Ewigkeit.

Und außerdem hatte Sam seine Arme eh schon um mich geschlossen, ehe ich zurückzucken konnte. Er klammerte sich mindestens genau so sehr an mich, wie ich mich an ihn und vergrub sein Gesicht in meiner Halsgrube, was mich bald noch mehr überraschte, als die Tatsache, dass er hier war.

Immer noch verwirrt löste ich mich von ihm. „Was machst du hier?" Er schüttelte die Dose in seiner Hand. „Dir etwas zu essen bringen?" Ich verdrehte die Augen. „Ich meine, warum darfst du hier sein?"

Er nahm meine Hand und zog mich hinter sich her, als er sich auf die Liege setzte. „Ich fürchte, keines deiner Geheimnisse ist so stark, dass ich es in einem Deal gegen diese Information einlösen würde." Verwirrt sah ich ihn an, doch er zuckte nur lachend die Schultern. Na gut, dann würde ich das eben nicht erfahren. Oder zumindest noch nicht.

„Ich habe dich vermisst.", gab ich zu, wohlwissend, dass ihm das jetzt vermutlich zu weit gehen würde. Aber er sagte nichts, sondern drückte nur stumm seine Lippen auf meine. „Ich dich auch", murmelte er leise zwischen zwei Küssen, so dass ich es beinahe überhört hätte. Geschockt wich ich zurück. „Was?! Sam, hast du gerade etwa so etwas wie Gefühle gezeigt?" Augenrollend wich auch er zurück. „Halt die Klappe." „Das klingt schon eher nach dir."

Für einen Moment saßen wir schweigend da und sahen uns einfach nur an. Eine Geisel und ein Entführer. Das hier war so abnormal. Gleichzeitig fühlte es sich wie das normalste der Welt an, bei ihm zu sein.

Während ich so darüber nachdachte, kam mir ein Gedanke. Ich lachte kurz sarkastisch. ,,Mein Name bedeutet übersetzt Geisel, welch Ironie." Sam teilte mein Lachen nicht. Ganz im Gegenteil, er schaute weg und sein Gesicht spiegelte Schmerz wider. „Tja, mein Name bedeutet irgendetwas mit allein sein", antwortete er leise.

Ich drehte seinen Kopf mit meiner Hand so, dass er mich doch wieder ansehen musste. ,,Das bist du aber nicht", ich nahm seine Hand, ,,nicht mehr."

Dankbar drückte er meine Hand, doch sein schmerzerfüllter Blick verschwand nicht. „Scheinbar hat meine Mutter schon bei meiner Geburt daran gedacht, mich später allein zu lassen." „Sam...", bestürzt fixierte ich seinen Blick, aber er winkte ab. „Nein, schon gut. Ich hätte das nicht sagen sollen. Ich will nicht schon wieder über meine Mutter reden." Ich wollte noch etwas sagen, aber sein warnender Blick hielt mich davon ab. Also gut.

„Ich hätte dich nicht für jemanden gehalten, der die Bedeutung seines Namens kennt", versuchte ich, das Gesprächsthema weniger verfänglicher zu machen. Es schien zu funktionieren, denn nun lachte Sam. „Tja, vielleicht kennst du mich einfach nicht gut genug."

Kaum, dass ich sein Lachen hörte, fuhr ein Ruck durch mich. Eine Erkenntnis tauchte, wie aus dem Nichts, in meinem Kopf auf und mir wurde auf einmal ganz heiß. Sam bemerkte meinen Zustand nicht, er blickte nur versonnen auf unsere Hände, die er soeben miteinander verschränkt hatte.

Leichte Panik machte sich in mir breit, so war das nicht geplant gewesen. Ach ja? Du hast ja viel unternommen, um es aufzuhalten, verspottete mich die Stimme in meinem Kopf.

„Bist du dir sicher, dass ich kein Geheimnis habe, das stark genug ist, um einen Deal einzugehen?" Meine Stimme klang schrecklich zittrig, also unterbrach ich mich kurz, um einmal durchzuatmen, bevor ich weitersprach: „Ich glaube nämlich, ich wüsste da etwas." Was tat ich denn da? Warum hielt ich nicht einfach meine Klappe? Das war ganz klar eine Kurzschlusshandlung, die meiner Panik geschuldet war.

Belustigung spiegelte sich in Sams Gesichtszügen, als er mich ansah. „Das denke ich nicht, aber du kannst es ja mal versuchen. Aber denk ja nicht, dass ich es dir verrate, wenn mich dein Geheimnis nicht umhaut."

Kurz darauf verschwand der belustigte Gesichtsausdruck und wich einem besorgten. „ Geht's dir gut? Du sieht's...nicht gut aus." Ich war in Gedanken gewesen und brauchte einen Moment, seinen Worten folgen zu können: „Was? Achso, ja ne. Es geht mir gut. Mir ist nur gerade etwas klar geworden." Abwartend zog er die Augenbrauen hoch. Also gut. Sag es einfach, was sollte schon schief gehen?

„Flipp jetzt bitte nicht aus." Er sah zunehmend irritierter aus. „Gilles, langsam machst du mir echt etwas Angst, was..." „Ich liebe dich."

Sam blinzelte. Einmal. Zweimal. Dreimal.


Fill me with poisonTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon