Kapitel 35

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Sams Sicht

Zuerst verstand ich gar nicht, was gerade passiert war. Ich rannte einfach weiter und zog Gilles mit mir mit. Auf keinen Fall dürften wir jetzt stehenbleiben. Doch dann schoss ein unsäglicher Schmerz durch meinen Arm.
Ich wollte aufschreien, doch aus meinem Mund kam nur ein ersticktes Keuchen. Ich fühlte mich, als hätte jemand meinen Arm abgeschlagen.
„Scheiße, Sam!" Hysterisch riss Gilles an meiner Hand und brachte mich zum Anhalten, aber das ging nicht, wir mussten weiter und so viel Abstand wie möglich zwischen uns und unsere Verfolger bringen.

Der Schmerz in meinem Arm wurde stärker und endlich traute ich mich, einen Blick darauf zu werden. Ich war getroffen worden. Das Blut floss fast schon in Strömen aus meinem Arm, aber nach kurzem Überprüfen stellte ich erleichtert fest, dass die Kugel nicht stecken geblieben war. „Ich wurde nur gestreift, da-" „Nur?!" Gilles neben mir war ganz außer sich und hüpfte nervös hin und her. Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen, den Schmerz zu unterdrücken forderte meine ganze Konzentration.

Während Gilles weiterredete, griff ich nach seinem Shirt, das er unter dem Pullover trug, und riss ein großes Stück ab. „Binde mir das um. Los!" Er war sofort verstummt und tat, wie ihm geheißen.
Ich konnte ein Wimmern nicht unterdrücken, als er den Fetzen fest zuband. „Das wird nicht lange halten Sam. Du musst das professionell verarzten." „Vor allem müssen wir jetzt weiter", wies ich ihn unwirsch an. Ich sah, wie ihm das missfiel, aber was blieb ihm schon anderes übrig, als wieder nach meiner Hand zu greifen und loszulaufen.

„Folgen sie uns nicht mehr?" Es fiel mir schwer, Gilles Worten zu folgen, denn der Schmerz in meinem Arm wurde immer brutaler und sein erschöpftes Keuchen machte es auch nicht leichter.

Tatsächlich hörte ich nur noch uns und niemand anderen. Ein Risiko wollte ich trotzdem nicht eingehen und riss Gilles noch weiter mit mir mit. Ich merkte, dass er am Ende seiner Kräfte war, ich zog ihn mehr, als dass er selbst lief und auch ich musste gegen die lästigen schwarzen Punkte ankämpfen, die immer wieder in meinem Sichtfeld erschienen.

„Stopp Sam!", krächzte Gilles „Ich schaff' das nicht mehr." Ich drosselte unser Tempo und lauschte misstrauisch in den Wald. „Kennst...kennst du irgendwen hier...hier in der Nähe? Dein Arm muss ver-versorgt werden." „Atmen Gilles, atmen."
„Du hast gut reden", antworte er jetzt schon etwas weniger prustend, „Ich habe seit Wochen keinen Fuß vor die Tür gesetzt und dann soll ich direkt einen Marathon rennen."

Fieberhaft dachte ich nach, wo wir nun hingehen sollten, wo uns erstens niemand vermutete und wir zweitens mich verarzten konnten. Bis mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoss. Es war absolut verrückt. Aber es war vermutlich auch unsere einzige Option. Einen kurzen Moment haderte ich mit mir, bis ich Gilles etwas verlegen ansah. Fragend schüttelte er den Kopf. „Ich kenne hier tatsächlich jemanden, zu dem wir könnten." Ich war mir nicht ganz sicher, ob er mir dafür danken oder mich ermorden würde. Vermutlich beides in der Reihenfolge.

Margie. Das musste sie sein. Als ihr Blick auf Gilles fiel, riss sie erschrocken ihren Mund auf, doch er legte sofort einen Finger auf die Lippen und deutete auf meinen Arm. Das Stück Stoff war schon komplett durchtränkt und das Blut lief bis zu meiner Hand hinunter. Zu meiner Überraschung zog sie uns ohne ein Wort ins Haus.

Sie musterte zuerst Gilles und als sie sich versichert hatte, dass er unversehrt war, wandte sie sich mir zu. Behutsam griff sie noch meinem Arm. ,,Ich werde die Wunde reinigen müssen, das wird wehtun. Dann werde ich einen Verband anlegen und dir Schmerzmittel holen, die wirst du brauchen. Genäht werden, muss die Wunde nicht, denke ich." Ihre Aussprache war klar und deutlich, trotzdem hörte ich einen leichten französischen Akzent raus.

Während sie alles, was sie benötigte, zusammensuchte, sah ich zu Gilles hinüber. Stumme Tränen liefen seine Wangen hinunter, während er seinen Blick keine Sekunde von Margie abwandte. Ich glaubte, dass er noch gar nicht realisiert hatte, wieder zuhause zu sein.

Ehe ich mich versah, stand Margie wieder neben mir und warnte mich erneut vor den Schmerzen, die jetzt kommen würden. Ohne zu zögern, griff Gilles nach meiner Hand und drückte sie fest. Das brauchte ich auch, denn der Schmerz war unerträglich, obwohl Margie sich sehr bemühte, so schnell wie möglich vorzugehen.

Ich dachte schon, gleich in Ohnmacht fallen zu müssen, als sie endlich aufhörte und nach dem Verband griff. Das war weniger schmerzhaft und nur wenige Augenblicke später hatte ich es überstanden und bekam ein Glas Wasser sowie eine Tablette zugeschoben.

Meinen Dank hörte sie wahrscheinlich nicht mehr, denn sie war Gilles um den Hals gefallen und weinte nun bitterlich. ,,Mon chéri, mon chéri! C'est vraiment toi? Merci mon Dieu, merci de m'avoir ramené mon petit garçon!" ,,Tout va bien Margie, c'est moi. Je suis de retour. Mon Dieu, tu m'as tellement manqué!"

Ich war mir ziemlich sicher, noch nie in meinem Leben glücklicher gewesen zu sein. Obwohl ich angeschossen war und absolut keine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte; zu sehen, wie Gilles endlich wieder zuhause war, ließ mir das Herz aufgehen.

Als sie sich voneinander lösten sah Margie mich mit tränenverquollenem Gesicht an. ,,Du hast mir meinen Jungen zurückgebracht, wie kann ich dir bloß jemals dafür danken?" Beschämt sah ich auf den Boden. Sie hatte keine Ahnung. Wenn sie wüsste, wer ich war, dass ich es war, der ihr ihn überhaupt erst weggenommen hatte...Ich musste hier raus, ganz schnell. Mein Blick fand den von Gilles. ,,Ich muss gehen. Sofort." Entsetzen machte sich in seinem Gesicht breit. ,,Nein. Du kannst doch nicht-" ,,Du weißt genauso sehr wie ich, dass ich muss - aus so vielen Gründen. Ich muss gehen."

Schnell spülte ich die Tablette herunter, bedankte mich bei Margie und ging auf die Tür zu. ,,Wo gehst du hin? Brauchst du irgendetwas? Wie soll ich dir helfen? Ich...ich...scheiße!" Aufgebracht fuhr er sich durch die Haare. ,,Ganz ruhig. Ich werde schon klarkommen, ich habe einen groben Plan." Meine Worte dienten einzig seiner Beruhigung, denn ich hatte absolut keinen Plan, wo ich hingehen sollte. Aber jede weitere Sekunde in diesem Haus war zu gefährlich für mich.

Ein letztes Mal kam er auf mich zu und legte mir die Hände um meinen Nacken. Ich würde ihn nie wiedersehen können. Die Erkenntnis traf mich wie der Blitz und trieb mir die Tränen in die Augen. ,,Ich liebe dich, vergiss das nicht", raunte er mir zu, bevor er mich küsste, ein letztes mal. Jedes Detail dieses Kusses brannte sich wie von selbst in mein Gehirn, ich wollte es auf keinen Fall vergessen. Gilles warme Hände, seine weichen Lippen, die sich so perfekt gegen meine bewegten, das alles würde ich niemals vergessen. ,,Ich liebe dich auch. Pass auf dich auf."

So, jetzt hatte ich es gesagt. Der Schock darüber war Gilles deutlich anzusehen. „Du..." Er brach ab, als wüsste er selbst nicht so recht, was er sagen sollte, stattdessen entrann ihm nun ein Glucksen. ,,Was soll schon schief gehen, wenn du jetzt weggehst, hmm?" ,,Idiot", mit diesem letzten Wort löste ich mich schmerzhaft von ihm.

Mein Körper wollte mir nicht gehorchen, er wollte hierbleiben, bei Gilles, wo er hingehörte. Aber ich zwang ihn, rückwärtszugehen. Ein letztes Mal prägte ich mir sein Aussehen ein. Sein verdammtes Gesicht sah sogar noch tränenüberströmt göttlich aus.

Dann drehte ich mich um und rannte los. Bereits nacheinem Meter wollte ich wieder auf den Absatz kehrt machen, aber das ging nichtmehr. Gilles musste sein normales Leben wieder bekommen. Sein Leben ohne mich.

Ich spreche kein Wort Französich, weswegen es mir sehr leid tut, falls ihr es tut und Kopfschmerzen von der Google-Übersetzung bekommen habt:)

Fill me with poisonDonde viven las historias. Descúbrelo ahora