Kapitel 17

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Gilles Sicht

So viel zum Thema, er bringt mir die Salbe mit. Biggie hatte mir mein Abendessen gebracht. Er war noch mürrischer als sonst gewesen - wahrscheinlich auch ein Kater. Aber Sam hatte sich nicht blicken lassen. Was er wohl machte? Vielleicht hatte er eine Freundin, mit der er sich traf. Ob die wusste, dass er kriminell war? War sie hübsch? Bestimmt war sie das, er würde sich sicher nicht unter seinem Niveau vergnügen. Wieso dachte ich darüber nach?!

,,Guten Morgen." Ein vergleichsweise fröhlicher Sam stellte mein Frühstück auf den Tisch. ,,Was verschafft mir die Ehre, dich mal fröhlich zu sehen?", fragte ich misstrauisch. ,,Ich habe einen Freund - einen tatsächlich echten - wieder getroffen, den ich lange nicht gesehen habe. War ganz lustig." Puh, keine Freundin. Nicht, dass mich das jetzt freuen würde oder so.

,,Wieso habt ihr euch lange nicht gesehen?" Er scheuchte mich mit einer Handbewegung ein wenig zur Seite und lies sich dann neben mich auf die Liege fallen. ,,Wir sind zusammen zur Schule gegangen aber ein Jahr vor unserem Abschluss ist er dann nach Miami gezogen. Wir verloren den Kontakt, aber gestern hat er mich dann auf einmal wieder angeschrieben, dass er in der Stadt sei, und wir haben uns spontan getroffen." Ich nickte, merkte mir am Rand, dass wir uns schonmal nicht in Miami befanden, fragte dann gespielt enttäuscht, warum er mich wegen so etwas allein mit meinen Schmerzen kämpfen lies und deutete auf meine immer noch demolierte Hand.

Entsetzen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Oh fuck! Sorry, ich wollte dir echt die Salbe bringen, tut mir leid." ,,Ach ist schon okay, ich dachte mir schon irgendwie, dass du mich betrügst", seufzte ich. Mit einem leichten Grinsen lehnte er sich zu mir herüber, so dass sein Gesicht unmittelbar vor meinem war. ,,Oh Baby, dir würde ich doch niemals fremdgehen", säuselte er.
Mein Atem stockte. Ich wollte etwas Schlagfertiges erwidern, aber er war mir so nah, dass ich so schnell nicht klar denken konnte. Auch sein selbstsicherer Gesichtsausdruck weichte nun einem unsicheren. Noch ein letztes Mal spürte ich seinen Atem in meinem Gesicht, bevor er sich wieder zurück lehnte und sich verlegen räusperte. ,,Äh ja, ich werde dir die Salbe nachher mitbringen."

Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon hier lag und nachdachte. Ich war verwirrt. Immer noch spürte ich Sams Atem auf meiner Haut. Was war bloß los mit mir?
Ich wollte mich ablenken - aber wie? Sport war mit meinen Verletzungen nicht möglich und etwas anderes hatte ich nicht zu tun. Also starrte ich weiter auf die Tür, in der Hoffnung oder Befürchtung, ich wusste es nicht mehr, Sam würde endlich wieder kommen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit tat er das auch. Automatisch musste ich grinsen. Doch sobald ich sein Gesicht sah, gefror mein Lächeln. Ein Auge war blau und über dem anderen war eine getrocknete Platzwunde. „Scheiße! Was hast du gemacht?" „Geht dich nichts an", fuhr er mich gereizt an. Ok, der gutgelaunte Sam war wieder verschwunden. Wirsch stellte er mein Essen ab und setzte sich neben mich. Mit einer Handbewegung forderte er mich auf, ihm meine Hand hinzuhalten. „Du musst das jetzt nicht machen, vielleicht solltest du dich selbst erstmal verarzten", sagte ich vorsichtig. Scheinbar nicht vorsichtig genug. „Ich weiß schon selbst, was für mich gut ist, kapiert? Und jetzt gib schon deine scheiß Hand her!" Himmel, was war er bloß immer so gereizt?

Hastig wickelte er den Verband ab. Die Schwellung war schon wieder etwas zurückgegangen. „Hast du die Schlägerei bego-" Er unterbrach mich direkt wieder: „Was hast du daran nicht verstanden, dass es dich nichts angeht? Wir sind keine Freunde oder so klar?" Genervt seufzte ich: „Ach und wieso tust du das hier dann für mich?" Ich deutete auf meine Hand, die er mittlerweile fast wieder verarztet hatte. Mehr schlecht als recht dieses Mal. „Ich kann's auch lassen, wenn dir das lieber ist", fuhr er mich an. „Ich wollte ja nur wissen..." „Ja, du willst immer alles wissen! Kapier endlich, dass du niemanden mehr hast, der dir etwas aus seinem Leben erzählt. Du bist allein, realisier das!"

Autsch. Ich versuchte tief durchzuatmen, um ihn nicht anzuschreien. Das würde ihn nur weiter provozieren. Auf einmal fiel mir etwas ein und bevor ich richtig drüber nachdachte, sprach ich es aus: „War das dein Vater?" Er sagte nichts, aber der kurze Ausdruck, der über sein Gesicht huschte, verriet ihn. „Mein...mein Vater hat mich auch schon geschlagen, ich versteh-" Wieder wurde ich unterbrochen: „Nein, nein verdammt! Du verstehst gar nichts! Tu nicht immer so, als würden wir uns kennen und verstehen." Er war vom Bett aufgesprungen und lief aufgebracht hin und her.

„Ich denke, so unterschiedlich sind wir uns gar nicht... jedenfalls in ein paar Dingen", fuhr ich unbeirrt fort. „Unsere Väter haben verdammt hohe Erwartungen. Wir sollen in ihre Arbeit einsteigen. Wehe, wir machen auch nur eine Kleinigkeit falsch. Alles muss perfekt nach ihren Vorstellungen laufen. Was wir eigentlich wollen, ist denen egal."

Gleich explodierte er, ich sah es ihm an. Sein Kiefer mahlte angestrengt und sein Atem hatte sich gefährlich beschleunigt. „Hör. Endlich. Auf!", er spukte mir die Worte gerade zu entgegen. „Habe ich denn nicht recht?" Und dann passierte es. Sam explodierte. Unsanft griff er nach meinem Kragen und zog mich hoch.

Vielleicht hatte ich es darauf angelegt. Keine Ahnung wieso und ich wollte mir darüber jetzt auch nicht wieder den Kopf zerbrechen. Er war so zornig, dass ich befürchten sollte, dass er mich umbrachte. Aber ich hatte keine Angst. Selbst wenn er mich wieder schlagen würde, was wäre dann schon? Ich saß eh hier drinnen und verrottete.

„Halt die Klappe! Scheiße, hör einfach auf!" Bedrohlich starrte er mir entgegen. Er war größer als ich und hatte mich auf Augenhöhe hochgezogen, so dass meine Füße beinahe schwebten „Hör endlich auf zu sagen, du würdest mich kennen und lass meine Familie aus dem Spiel!" Ich wollte den Mund aufmachen, aber als Sam das sah, drückte er mich wieder gegen die Wand. Mein Hinterkopf schmerzte leicht von dem Stoß gegen die harte Wand. Mein Gegenüber erhob bereits seine eine Hand zum Schlag. Die andere krallte sich in meine Schulter.

Wann war es hier drinnen so heiß geworden? Sein Blick war so furchteinflößend, dass ich meinen senkte. Er blieb an seinen Lippen hängen. Sie hatten sich schon wieder von meinem Schlag erholt und sein Vater hatte sie verschont. Mein Herz schlug schneller. Bekam ich auf einmal doch Angst? Nachdem er auch nach einer gefühlten Ewigkeit nicht zugeschlagen hatte, sah ich ihm wieder in die Augen. Ein undefinierbarer Ausdruck lag darin. Sams Atem ging immer noch schwer und seine Faust hing weiterhin in der Luft. Gott, was war auf einmal mit meinem Körper los? Ich hatte das Gefühl, gleich zusammenklappen zu müssen.
Dann ließ er seinen Arm langsam sinken, jedoch ohne mich aus den Augen zulassen und auch seine andere Hand war weiterhin in meine Schulter gekrallt. Er starrte mich einfach nur an.

Und dann küsste er mich.
Aus dem Nichts lehnte er sich nach vorne. Presste seine Lippen auf meine. Seine ziemlich weichen Lippen.

Perplex riss ich meine Augen auf. Was bitte tat er da?! Doch dann legte er seine Hand in meinen Nacken und mein Verstand schaltete sich aus. Er drückte mich eng an die Wand, während sein Mund sich unaufhörlich gegen meinen bewegte. Ich hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Vielleicht war ich das aber auch schon, denn alles, was ich wahrnahm, waren Sams Lippen auf meinen und seine Hände.
Der Kuss wurde immer verlangender und ich legte meine Hände auf seinen Oberkörper. Durch den Stoff seines Shirts spürte ich seine Muskeln. Und sein Herz. Es schlug wie wild gegen meine Hand, doch meines schlug mindestens genauso schnell. Mein ganzer Körper stand unter Strom. Ich konnte den Seufzer nicht aufhalten, der sich über meine Lippen schlich.

Und dann war es ganz plötzlich vorbei. Er riss sich von mir los und als ich es endlich schaffte, mein Gehirn wieder in Fahrt zubringen, war er bereits verschwunden. Ich blieb zurück, mit einem viel zu schnell schlagenden Herz und einer Unmenge an Fragen.


Puh...ihr habt ja keine Ahnung wie froh ich bin, endlich diese Szene schreiben zu können. Schon bevor ich überhaupt das erste Kapitel geschrieben hatte, geisterte sie in meinem Kopf herum, doch jetzt ist sie da! Ich war ziemlich unsicher, ob das auch wirklich der richtige Zeitpunkt ist, aber ich konnte nicht mehr warten...Ich hoffe, ihr freut euch genauso sehr wie ich darüber:) Kann man eigentlich bei seiner eigenen Story einen Fangirl-Anfall bekommen...?

Fill me with poisonWhere stories live. Discover now