Kapitel 37

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Gilles Sicht

„Gilles? Bitte wach auf." Sanft rüttelte meine Mutter an meiner Schulter. Verwirrt schlug ich die Augen auf. Die letzten Wochen hatte ich jeden einzelnen Tag ausschlafen können - was so ziemlich das einzig Gute an diesem ganzen Zirkus war. „Was ist denn?", grummelte ich unverständlich.

„Wir müssen zur Polizei." Grmph. Nicht das schon wieder. „Sie haben einen deiner Entführer verhaftet."

Auf einmal saß ich kerzengerade im Bett. Meine Müdigkeit war auf einen Schlag verschwunden. „Was?", kreischte ich fast. In einer Geste, die vermutlich beruhigend sein sollte, tätschelte meine Mutter meinen Arm. „Schon gut, mein Schatz. Du musst nichts tun, was du nicht willst. Es wäre nur gut, wenn du den Verdacht bestätigst."

Mein Herz raste. Das konnte unmöglich sein. Doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Kenneth. Er hatte sein Versprechen gebrochen. Vermutlich mussten sie mich auch bald wegsperren, denn sollte er mir das nächste Mal begegnen, würde ich ihn umbringen.

Ich sprang so hastig aus dem Bett, das meine Mutter erschrocken ein paar Schritte zurückwich. „Gilles!" In Windeseile streifte ich mir die ersten brauchbaren Kleidungsstücke, die ich zu fassen bekam, über. Ich musste so schnell wie möglich zur Polizei und denen erklären, dass das alles ein großer Fehler war.

„Guten Tag. Schön, dass sie so schnell kommen konnten." Die Worte des Polizisten, der meine Eltern und mich begrüßte, konnten mir nicht egaler sein. Angespannt reckte ich meinen Hals, um einen Blick in das Revier zu werfen, aber ich sah niemanden, den ich kannte.

Auf einmal merkte ich fragende Blicke auf mir. Der Polizist schien mich etwas gefragt zu haben. „Schatz, der Mann möchte wissen, ob du bereit bist, dem Täter gegenüberzutreten. Selbstverständlich wird er sich in einem anderen Raum befinden, du musst dir also gar keine Sorgen machen!", kam mir meine Mutter zur Hilfe. In diesem Moment tauchte auch noch plötzlich Pam bei uns auf. „Entschuldigen Sie die Verspätung, ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Keine Sorge Gilles, ich werde die ganze Zeit für dich da sein." Na super, was konnte da noch schief gehen?

„Ich bin bereit."

Der Polizist führte mich durch das Revier, bis wir vor einer Tür stehen blieben. Mein Herz schlug so unglaublich laut, dass ich nichts anderes wahrnehmen konnte. Bitte lass es nicht Sam sein, bitte!

Meine Mutter, die zusammen mit Pam mich begleiten würde, drückte noch einmal bekräftigend meinen Arm, als der Polizist mir ein letztes Mal einen fragenden Blick zuwarf, ehe er die Tür öffnete. Wir betraten einen kleinen grauen Raum und mein Blick schoss automatisch zu der großen Glasscheibe.

Nein

Nein

Nein, nein, nein.

Sam saß mit ausdruckslosem Blick und verschränkten Armen auf dem Verhörstuhl. An seinem einem Arm war ein Verband - ein Glück ein professionell wirkender. Ich konnte nicht aufhören ihn anzustarren. Ich dachte doch, ihn nie wieder sehen zu können und jetzt sah ich ihn ausgerechnet hier wieder. „Ich kenne den nicht", brachte ich heraus, als mir einfiel, wo wir uns befanden.

„Nicht?", eine Polizistin, die mir zuvor gar nicht aufgefallen war, trat aus der Ecke. „Bist du dir da auch ganz sicher? Denn er hat bereits gestanden." Ich wirbelte zu ihr herum. „Was?!" Das hatte er nicht getan. Auf keinen Fall. Das war sicherlich nur ein Trick, damit ich die Wahrheit sagte.

„Es ist in Ordnung, Gilles", versuchte meine Mutter mir gut zuzureden, „du kannst es ruhig sagen, er kann dir jetzt nichts mehr antun." Aber ich blieb stumm. Verzweifelt fiel mein Blick wieder aus Sam, während mir einfach keine Lösung für diese Situation einfallen wollte.

Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie die Polizistin einen wissenden Blick mit dem Polizisten, der mich hergebracht hatte, austauschte. Schließlich räusperte sie sich: „Hören Sie, es ist vollkommen natürlich, dass Sie Angst haben, ihn zu beschuldigen. Aber die Beweislage ist so eindeutig, dass wir ihn sehr wahrscheinlich auch ohne ihre Aussage verhaften können. Ihre Mutter hat also recht, Sie brauchen sich keine Sorgen machen."

Als ich auch weiterhin nichts sagte, ergriff Pam das Wort: „Ich glaube, das reicht erstmal. Es ist wahrscheinlich besser, wenn er erstmal wieder nach Hause fährt und sich etwas beruhigen kann." Da war ich doch tatsächlich einmal im Leben dankbar für Pam.

Die Polizisten widersprachen nicht und so begleiteten Pam und meine Mutter mich, nachdem ich einen letzten Blick auf Sam geworfen hatte, wieder hinaus.

Wir gingen zu meinem Vater, der am Ende des Flurs gewartet hatte. „Alles in Ordnung?", fragte er mich, wobei er nicht so danach klang, als würde er sich um mein Wohlergehen sorgen, sondern vielmehr, als wollte er wissen, ob der Täter gefunden wurde. Ich nickte und er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er von etwas hinter mir abgelenkt wurde. Sein Blick verdunkelte sich. „Ist er das?" Ich drehte mich um und sah, wie ein Polizist Sam in Handschellen aus dem Verhörraum führte.

Jetzt oder nie. Es war eine Kurzschlussreaktion, als ich seinen Namen rief. Ruckartig drehte er den Kopf zu mir und starrte mich mit aufgerissenen Augen an. Ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, rannte ich auf ihn zu. Die erstaunten Rufe meiner Eltern konnten mich nicht aufhalten, denn im nächsten Moment hatte ich bereits die Arme um Sams Hals geschlossen. Tränen liefen über meine Wangen: „Was machst du denn? Was machst du?!" Er sagte nichts und vergrub sein Gesicht nur an meinem Hals.

„Es tut mir so leid, das ist alles meine Schuld! Hätte ich nur nicht Kenneth von uns erzählt." Er löste sich von mir und schüttelte den Kopf. „Gilles, ich bin selbst hierhergekommen." Fassungslos starrte ich ihn an. „Es war das einzig richtige." Mechanisch schüttelte ich den Kopf. „Doch. Ich habe eine Straftat begangen und dafür muss ich ins Gefängnis." Das konnte doch nicht sein Ernst sein.

„Aber wir..." „Nein. Es gibt kein wir, Gilles. Du musst dein Leben leben. Und mich vergessen. Guck mich nicht so an, du weißt, dass es das einzig richtige ist." Warum musste dieser Idiot ausgerechnet jetzt damit anfangen, das richtige zu tun?

Schluchzend zog ich ihn in einen Kuss, den er so heftig erwiderte, dass ich noch mehr weinen musste. Am Rand nahm ich das Keuchen der Umstehenden und einen erschrockenen Aufschrei - vermutlich von meiner Mutter - wahr, aber die waren mir gerade alle so egal.

Zumindest bis mein Vater mich unsanft von Sam losriss. „Ich liebe dich." Sams eindringlicher Blick brannte sich direkt in meine Seele. „Jetzt führen sie ihn endlich mal ab!", brüllte mein Vater komplett außer sich. Der verdatterte Polizist blinzelte einige Male, bis ihm wieder einfiel, dass das ja seine Aufgabe war.

Mein Vater war bereits dabei, mich hinter sich her zuschleifen, doch ich drehte mich noch ein letztes Mal zu Sam um, dessen Blick immer noch auf mir lag.

„Und ich liebe dich."


The End


...nein Spaß, so lasse ich das doch nicht stehen;) Gilles und Sam sind definitiv noch nicht fertig damit, ihre Geschichte zu erzählen!

Fill me with poisonTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang