Kapitel 43

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Gilles Sicht

„Hast du schon nachgefüllt? Gleich wird's sicherlich voll." Lucas warf mir einen fragenden Blick zu, während er ein Bier zapfte. „Ja, ist alles fertig." Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass er Recht hatte, gleich würde die Stoßzeit beginnen.

Wie aufs Kommando betrat ein Trupp grölender Typen den Laden. Sie machten sich an gleich zwei Tischen breit und verlangten lautstark nach Bier. Lucas sah mich gequält an. Jetzt begann der große Spaß.

„Hey du", Lucas stupste mich mit der Seite an, „kennst du die da vielleicht?" Fragend hob ich meinen Blick und sah Shea vor mir stehen, die wild winkte. Sie war mit einer kleineren Gruppe hier, die sich gerade einen Platz in einer Nische nahe der Tanzfläche suchten. „Ja, das ist meine Mitbewohnerin." Ich sah, wie sie kurz mit ihrer Gruppe sprach und dann freudestrahlend auf mich zu kam. „Du wohnst mit ihr zusammen?" Ich hörte Lucas amüsiert lachen.

„Hi Gilles!" Ich ignorierte Lucas stechenden Blick in meinem Rücken, als er den Namen hörte. Zum Glück wurde er gerade jetzt von einem anderen Gast angequatscht, so dass er nicht weiter zuhören konnte. „Hi. Was kann ich euch zu trinken machen?" „Zwei Cola, ein Wasser, ein Bier und drei Piña Colada, bitte". Ich nickte kurz und machte mich sofort an die Arbeit.

„Hier arbeitest du also." Neugierig sah Shea sich in der Bar um. Sie war recht groß, mit mehr als genug Sitzplätzen und auch einer Tanzfläche gegenüber dem Tresen. Alles war in dunklen Tönen gehalten und wirkte sehr rustikal.

„Bisher war ich hier noch nie gewesen, aber meine Freunde haben mir hiervon vorgeschwärmt. Wobei Sara mir hauptsächlich von dem niedlichen Barkeeper vorgeschwärmt hat." Sie nickte in Lucas Richtung. „Da muss ich deine Freundin leider enttäuschen, er ist schon lange in einer Beziehung." „Oh", bedauernd verzog sie das Gesicht, „das ist schade. Aber gut, jetzt weiß ich immerhin, wo du immer so deine Abende verbringst."

Ich nahm ein Tablett, auf das ich ihre Getränke stellen konnte, aber sie ging nicht sofort zu ihrem Platz zurück. „Seit wann arbeitest du hier schon?" „Eine Weile schon." Meine vage Antwort veranlasste sie dazu, das Gesicht zu verziehen. „Ah, ich sehe schon, du bist mal wieder sehr gesprächig. Dann lass ich dich mal lieber wieder in Ruhe arbeiten." Sie legte mir das Geld für die Getränke auf den Tresen und nahm sich das Tablet. Augenblicklich bekam ich ein leichtes schlechtes Gewissen. Sie versuchte immer nur nett zu mir zu sein und ich war einfach nur ein Arsch. „Viel Spaß euch", rief ich hier deswegen schnell noch hinterher.

Eine Stunde später war der Laden rappelvoll und Lucas, ich und Vanessa, die vor einer halben Stunde dazugekommen war, hatten alle Hände voll zu tun.

„Na Süßer." Oh nein. „Ben." Ich nickte ihm kurz zu, ohne mit meiner Arbeit aufzuhören. Ich hasste diesen Typen. Jedes Wochenende versuchte er aufs Neue, mich auf Date einzuladen. „Heute ist ja wieder ordentlich was los hier, was?" Wieder nickte ich nur kurz. „Du bist hier immer so beschäftigt und hast kaum Zeit, dich mit mir zu unterhalten. Lass uns doch mal zusammen ausgehen, dann können wir uns in Ruhe miteinander unterhalten." Wow, heute hatte er es aber echt eilig. Um seine Bitte zu unterstreichen, fuhr er mir mit einem Finger den Arm hinauf. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Shea mich von der Tanzfläche aus interessiert beobachtetet. Na toll, sie würde mich bestimmt später darauf ansprechen.

„Ben, ich habe es dir doch schon mehrmals gesagt, ich bin nicht interessiert." Seine Reaktion war die gleiche, wie die letzten hundert Male als ich ihn abblitzen lassen habe; er zuckte mit einem Lächeln die Schultern und murmelte, dass er nochmal darauf zurückkommen würde, eher er sich auf zur Tanzfläche machte.

„Louis, wann gibst du ihm endlich Hausverbot?" Vanessa war neben mir aufgetaucht, ihr Blick war so bohrend, dass ich beinahe etwas Angst bekam. Aber ich zuckte nur betont gleichgültig die Schultern. „Ach, er macht ja nichts wirklich." Sie sah mich vielsagend an, drehte sich dann jedoch stumm wieder weg. Wir hatten dieses Gespräch schon mehr als einmal geführt und sie schien es langsam leid zu sein.

„Hey Gilles, bekomme ich bitte noch eine Runde?" Shea stand vor mir, mit glühenden Wangen vom Tanzen und einer bereits leicht heiseren Stimme, die darauf deutete, dass sie lautstark mitgesungen hatte.

Während ich ihre Bestellung fertig machte, schlug sie einen leichten Plauderton an: „Also, wer war das gerade?" Aha, da war es ja schon, hatte ich doch richtig geraten. „Niemand." „Oh, wirklich nicht? Ihr sagt so vertraut aus. Sonst hätte ich ihn übermorgen zu unserem Filmabend eingeladen." Ich hielt in der Bewegung inne. „Wir haben also einen Filmabend geplant?" Ihr Lächeln nahm einen schelmischen Zug an. „Jep, das haben wir. Das passt dir doch hoffentlich?" „Natürlich." Ich hätte es wissen sollen, dass mir unser Deal schon nach kürzester Zeit auf die Nerven gehen würde.

Arbeiten am Montag war die Hölle. Das ganze Wochenende rackerte ich mich nachts in der Bar ab und dann konnte ich montags nicht mal mehr Schlaf nachholen, sondern musste an der Kasse sitzen. Mein Leben war ein Traum.

In der Wohnung wollte ich mich einfach nur noch aufs Sofa schmeißen, doch da saß bereits Sam, der Shea dabei zusah, wie sie durch eine Film-Mediathek zappte. Ach ja, der Filmabend. Das passte mir nun wirklich gar nicht.

„Du bist gerade noch pünktlich!", begrüßte mich Shea leicht tadelnd. „Shea hat sich Zurück in die Zukunft ausgesucht. Ist das für dich ok?" „Ja." Sam schien beinahe etwas überrascht, dass ich ihm antwortete, überspielte es aber gleich wieder. Aber darauf konnte ich mich jetzt nicht konzentrieren, denn ich konzentrierte mich gerade darauf, mich so weit wie möglich von ihm weg zu setzen, ohne Sheas Argwohn zu wecken.

Da das Sofa nicht sonderlich riesig war und Sam sich auch nicht die Mühe gemacht hatte, an den Rand zu rutschen, waren letztendlich nur läppische 30cm Platz zwischen uns. Das passte mir gar nicht.

Doch wie sich herausstellte, hatte ich noch ein ganz anders Problem. Meine Müdigkeit mache mir so sehr zu schaffen, dass mir ständig die Augen zufielen und ich nur geringfügig dem Film folgen konnte.

„Gilles." Eine sanfte Stimme kam von irgendwo weither. „Hey, Gilles." Mein Gott, das war wirklich eine wunderschöne Stimme. Warum sagte sie meinen Namen. „Hey, aufwachen." Diese Stimme...kam mir beunruhigend bekannt vor. Ich schlug die Augen auf und sah geradewegs in die dunklen Augen von Sam. Der Fernseher war dunkel und Shea schon gegangen. Bestürzt stellte ich fest, dass ich mit dem Kopf an seiner Schulter lehnte und mein Bein leicht angewinkelt in seinem Schoß lag. Was zum...?

Entschuldigend sah er mich an. „Tut mir leid, ich musste dich wecken, ich kann nicht aufstehen." Ruckartig zuckte ich von ihm ab und rutschte so weit weg, wie es das Sofa eben zuließ. „Warum sagst du denn nicht mal früher was?", fauchte ich ihn an. „Entschuldige", erwiderte er bissig, „du warst so müde. Ich dachte, vielleicht wachst du von selbst auf."

Für einen Moment fixierten wir uns schweigend. Mein Herz klopfte laut in meiner Brust. Weil ich so wütend war. Warum hatte er mich nicht geweckt?

„Was ist jetzt? Darf ich vielleicht schlafen?" Auffordernd wies ich mit meinem Kopf zur Tür. Er blieb noch einen Moment still, bis er resigniert seufzte: „Klar, sorry." An der Tür drehte er sich nochmal zu mir um. „Gute Nacht, Gilles." Aber ich tat, als hätte ich ihn nicht gehört.

Fill me with poisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt