Kapitel 4

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Sams Sicht

Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich ein Scheppern hörte. Doch es war nur Dan, der seinen breiten Körper durch die kleine Tür hinaus ins Freie zwängte. „Hast' noch 'ne Kippe für mich?" Ich nickte und zog ihm eine aus der Tasche.
Meine Eigene war bereits fast abgebrannt. Gedankenverloren drehte ich sie in meiner Hand.
„Man sieht dir förmlich an, wie du die paar Gehirnzellen, die du noch hast, anstrengst", lachte Dan.
Jedem anderen hätte ich mit so einer Aussage nicht so einfach davonkommen lassen, aber bei Dan ließ ich es durchgehen, wenn er mich aufzog. Er war schließlich fast wie ein größer Bruder für mich.
„Ich überlege, ob das hier alles so schlau ist." Ich machte eine Andeutung mit der Hand auf das Gebäude hinter uns.
Dan zuckte darauf mit den Schultern. „Wieso beschäftigst du dich mit Sachen, auf die du eh keinen Einfluss hast? Dein Dad hat die Zügel in der Hand, du hast nichts zu melden."

Natürlich hatte er Recht. So lange schon hatte mein Vater hieran gearbeitet, hatte sich von nichts abhalten lassen. Die erste Hürde hatten wir ohne Probleme geschafft. War auch nicht schwer gewesen. So dicht wie der Typ gewesen war, hätten wir ihm wahrscheinlich nicht mal Schlafmittel verabreichen müssen.
Jetzt mussten wir uns noch um die Lösegeldforderung kümmern und-
„Ey Junge echt mal, lass das Grübeln." Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und drückte sie dann auf dem Boden aus.

„Ab morgen bist übrigens du dran mit Füttern", eröffnete er mir beiläufig. Ich warf ihm einen verwirrten Blick zu, bis ich realisierte, dass er mir gerade die Drecksarbeit zugeschoben hatte. „Oh ne, echt jetzt? Das ist deine Aufgabe!" Zufrieden grinste er vor sich hin. „Hab mit deinem Dad geredet. Er war der Meinung, du hättest viel zu viel Freizeit." ,,Ach, und du jetzt nicht oder was? Was macht er überhaupt die ganze Zeit?" Das war mal wieder typisch für meinen Vater, dass er mit solch tollen Ideen um die Ecke kam.
Dan zuckte mit den Schultern: „Was weiß ich. Aber dann habe ich wieder mehr Zeit, um mit Jane und Emilia zu telefonieren." Bei der Erwähnung von seiner Frau und seiner kleinen Tochter setzte er einen überdramatischen Hundeblick auf. Dieser berechnete Idiot wusste ganz genau, dass mich das weich machen würde.

Er war ziemlich begabt im Umgang mit Technik und hatte eine sichere Verbindung aufgebaut, die dafür sorgen würde, dass wenn die Polizei diese Telefonate irgendwann zurückverfolgte, würden sie nur bei einer alten Dame in Ohio landen.

Trotzdem hatte ich keine Ahnung, warum er überhaupt hier war und für meinen Vater arbeitete, statt bei seiner Familie zu sein. Schließlich war er nicht wie ich, der da einfach reingeboren war und so von klein auf in die Machenschaften meines Vaters eingewickelt war. Seit meinem Schulabschluss vor einem Jahr arbeitete ich nun wie Dan Vollzeit für meinen Vater. Mir war klar, dass wenn ich aussteigen sollte, mein Vater mich hochkant rausschmeißen würde und nichts mehr von mir wissen wollte. Aber das war wohl kaum der Grund, der Dan hier hielt. Ein einziges Mal hatte ich ihn darauf angesprochen und mir war sofort klar geworden, dass das ein Fehler gewesen war. Er war ziemlich ausgetickt und seitdem vermieden wir das Thema.

Es fing draußen an zu dämmern, als ich mich auf den Weg zur Zelle machte. Vor der Tür hielt ich an und bugsierte die Wasserflasche und den Teller auf einem Arm, um mit dem anderen die Tür zu öffnen. Alles in diesem Gebäude war alt und verfallen, nur diese Tür war nagelneu. Auf den ersten Blick wirkte sie vielleicht wie eine normale Tür, aber an der Klinke befand sich ein Fingerabdrucksensor, der nur Dad, mich und Dan rein oder raus ließ. Daran hatte Dan eine halbe Ewigkeit gearbeitet.

Noch bevor ich überhaupt einen Fuß in den Raum gesetzt hatte, fing er bereits an zu reden: „Ok Biggie, ich weiß, du willst mir keine Fragen beantworten, hab' ich ja verstand-" Er brach ab, als er mich sah. Ich würdigte ihn keines Blickes, stellte nur die Sachen ab, griff nach den leeren und machte mich ganz schnell wieder aus dem Staub. Anscheinend war er immer noch zu überrascht gewesen, um seine Sprache wiederzufinden.

Erleichtert lief den schmalen Gang wieder zurück, das war überraschend einfach gewesen. Nachdem ich die Treppe hinuntergegangen war, umfing mich Dunkelheit und ich brauchte einen Moment, um den Lichtschalter zu ertasten, da ich mit dem Gebäude noch nicht so vertraut war.

Damit die Polizei uns nicht irgendwann an den Fersen klebte, wechselten wir regelmäßig unsere Bleibe. Als viel mehr konnte man es nicht beschreiben, denn ein Zuhause waren diese Orte nie. Auch wenn wir zum Teil schon wirklich schöne Wohnungen bewohnt hatten. Momentan lebten wir allerdings in einer verlassenen kleinen Fabrik. Nicht gerade ein Traum, aber mit einer Geisel im Schlepptau standen einem nun mal nicht alle Tore offen. Außerdem war das Gebäude praktisch; es besaß Badezimmer, diese Küche und aus irgendeinem glücklichen Zufall auch eine intakte Wasser- und Stromversorgung. Dad wusste aus sicherer Quelle, dass in den nächsten Monaten kein Verkauf, aber auch keine Renovierung anstand und so waren wir hier erstmal sicher.

Nachdem ich endlich den Lichtschalter gefunden hatte, erhellte ein schwacher Lichtschein die Küche.
Mehr oder weniger ordentlich wusch ich den Teller ab und stellte ihn in eines der kleinen Regale. Dabei fiel mein Blick in den Spiegel an der Wand. Er war stark verdreckt und schon fast blind. Nichtsdestotrotz konnte auch er nicht verbergen, wie scheiße ich aussah. Seit Monaten konnte ich nicht mehr richtig schlafen, was die dunklen Ringe unter meinen Augen zufolge hatte. Mein dunkles Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab - einen Friseurbesuch sollte ich vielleicht auch mal wieder in Betracht ziehen.

Ich fuhr mir noch einmal durchs Haar, in dem lächerlichen Versuch dieses zu richten, bevor ich das Licht wieder löschte und zurück nach oben ging.

Fill me with poisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt