Kapitel 29

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Gilles Sicht

Gerade würde ich unglaublich gerne seine Hand nehmen und unsere Finger miteinander verschränken, aber ich kannte ja Sam und das würde sicherlich nicht gut bei ihm ankommen. Außerdem hatte er sich mit einem demonstrativen Abstand zu mir hingesetzt.

„Dass du nicht gerne über Gefühle sprichst, ist, denke ich, eine Tatsache, über die man nicht diskutieren muss." Weswegen es mich gerade maßlos irritierte, dass er hier war. Ich hatte gar keine Ahnung, was ich davon halten sollte. „Aber deswegen würde ich dich doch niemals feige nennen." Eindringlich sah ich ihn an, aber ich hätte auch genauso gut irgendwo anders hinsehen können, denn er starrte mal wieder nur auf die Wand.

„Wenn dir das unangenehm ist, dann ist das vollkommen in Ordnung und ich respektiere deine Grenzen." Ehrlicherweise musste ich etwas zurückrudern: „Nun gut, ich respektiere sie meistens. Ich habe einfach zu viel Spaß daran, dich zu nerven." Ein kurzes Grinsen huschte über sein Gesicht. So kurz, dass ich es fast übersehen hätte. Aber auch eben nur fast. „Es ist nur so...", fing er zögerlich an. „Es ist nur so, dass es mir mit dir gar nicht unangenehm ist."

Mit größter Mühe musste ich mir meinen triumphierenden Kommentar verkneifen, das wäre jetzt absolut nicht hilfreich. „Aber Sam, das ist doch etwas gutes!" Sein gequälter Gesichtsausdruck sagte mir, dass er das ganz anders sah.

Er atmete tief ein, ehe er sich zu mir drehte. „Was wolltest du vorhin sagen?" So. Das interessierte ihn also doch. Und zwar so sehr, dass er sich sogar dazu überwand, mich danach zu fragen. Aber ganz so leicht würde ich es ihm nicht machen: „Oh nein, die Chance hast du verpasst!" Vernichtend sah er mich an. „Aber vielleicht bin ich zu einem Handel bereit. Erzähl mir etwas Persönliches über dich und dann verrate ich es dir." „Hast du nicht gerade noch gesagt, du würdest mich nicht dazu zwingen, über persönliche Sachen zu reden?" Obwohl ich ihm so einiges an Munition geliefert hatte, wirkte er erstaunlicherweise gar nicht verärgert.

„Ich zwinge dich ja auch nicht", erwiderte ich leicht heraus. „Du könntest ja auch einfach ablehnen. Nur erfährst du dann eben nicht, was ich sagen wollte." Natürlich antwortete er wieder nicht sofort, sondern ließ sich einige Zeit. Jetzt war ich echt gespannt, was er als Nächstes sagen würde.

„Seit wann weißt...weißt du, dass du äh...bi oder was auch immer bist?" „Du solltest mir aber doch etwas persönliches über dich-" Genervt verdrehte er die Augen. „Antworte einfach auf die Frage." Na gut. „Ich weiß seit ein paar Jahren schon, dass ich bisexuell bin." Er nickte. „Und wie war das für dich?" Ich verstand nicht so ganz, worauf er hinauswollte. Für mich klang das alles stark danach, als würde er von sich ablenken wollen. „Hhm. Ich weiß nicht, es hat sich einfach normal angefühlt, es herauszufinden."

„Ich frage nur, weil...Das geht alles so schnell. Und irgendwie hätte ich das Gefühl, ich müsste eigentlich ausrasten. Doch das tue ich nicht. Also gut, am Anfang bin ich vielleicht einmal kurz ausgerastet, dass ich einen Jungen geküsst habe, aber das war's dann schon gewesen. Danach war es, wie du es gerade beschrieben hast, einfach normal.

Und jetzt frage ich mich halt, warum mich das so kalt lässt. Ich habe nie irgendwie darüber nachgedacht, was meine Sexualität ist und ehrlich gesagt, weiß ich es jetzt auch nicht. Vielleicht bin ich schwul, keine Ahnung, vielleicht ja auch nicht. Und das Ding ist halt, dass es mir gar nicht wichtig ist, das herauszufinden."

Als er endete, musste ich einmal tief Luft holen. Ich glaubte, ihn noch nie vorher so viel reden gehört zu haben - das war definitiv neu. Gleichzeitig war ich auch unglaublich froh darüber, dass er gerade über seinen Schatten gesprungen war und mir etwas so Intimes erzählt hatte.

„Du musst gar nichts. Wenn du deine Sexualität herausfinden willst, dann ist das gut. Aber wenn du das nicht willst, ist das genauso gut. Das ist etwas, das du ganz allein für dich selbst beschließen musst." Daraufhin boxte er mir grinsend in die Seite. „Warum bist du bloß so weise?" Ich konnte nicht anders, als sein Grinsen zu erwidern. „Du hast mich doch nicht anders kennengelernt."

Mit einem Mal nahm sein Grinsen etwas verschmitztes an. „Vielleicht würde ein Kuss mir ja bei meiner Verwirrung helfen." Oh, das konnte er haben. Begierig drückte ich meine Lippen auf seine. Automatisch fuhren meine Hände durch seine Haare - wie ich das liebte. Sam verlor keine Zeit und wollte mich gleich wieder auf seinen Schoß ziehen, doch ich wich zurück. Ein fragender Ausdruck trat auf sein Gesicht. „Vielleicht fällt mir noch etwas anderes ein, das dir helfen könnte." Meine Hand fuhr nach unten an den Bund seiner Hose.

Seine Augen wurden groß, als ihm klar wurde, was ich vorhatte, aber er hielt mich nicht auf. Also machte ich mich daran, seine Hose zu öffnen. „Ist das okay?" Seine Antwort kam atemlos: „Mehr als okay."

Schwer atmend lehnte Sam seinen Kopf gegen die Wand. Ich setzte mich wieder neben ihn und er sah mich mit einem zufriedenen Lächeln an. „Das war-" „Absolut unglaublich? Klar, hast du von mir etwas anderes erwartet?" Er verdrehte die Augen und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als das Knurren meines Magens ihm zuvorkam. Belustigung spiegelte sich in seinem Blick wider. „Ich denke, ich weiß genau, wie ich mich bei dir revanchieren kann." Mit diesen Orten stand er auf, zog sich seine Hose wieder an und ging zur Tür.

„Ähh also nichts für Ungut, aber deine Kochkünste haben mich bisher alles andere als überzeugt." „Vertrau mir." Diese Worte klangen von jemandem wie ihm etwas absurd. Er war schon fast durch die Tür verschwunden, als er sich nochmals umdrehte. „Ach und Gilles? Wenn ich wiederkomme, schuldest du mir noch deinen Teil der Abmachung."

Sam ließ sich ganz schön Zeit. Das war nicht gerade hilfreich bei meinem Hunger. Als sich dann endlich die Tür öffnete, war ich bereits ganz kurz vor einem Hungertod.

Und dann stand ich kurz vor einem Schock. Denn statt wie sonst üblich einen Teller, hatte Sam nichts geringeres als Pizzakartons in der Hand. Halluzinierte ich etwa? Waren das die Folgen des Hungers?

„Überraschung", trällerte Sam - seit wann trällerte Sam - und hielt mir diese Köstlichkeit direkt unter die Nase. „Oh mein Gott." „Ich wusste nicht, was du magst, also habe ich zwei gemischte bestellt, da sollte wohl was dabei sein." Fassungslos starrte ich auf die Kartons in seiner Hand. Ich musste eindeutig träumen.

Etwas ungeduldig wedelte Sam mit dem Karton, der für mich bestimmt war. „Willst du sie jetzt oder nicht? Ich kann sie auch wieder-" „Nein! Ich will sie!" Schnell riss ich ihm den Karton aus der Hand, bevor er sie mir wieder wegnahm. „Hätte ich gewusst, dass ich dir nur einen blasen muss, um an gutes Essen zu kommen, hätte ich das ja wohl viel früher schon gemacht." Und wieder sah ich, wie Sam sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte. „Halt einfach den Mund und iss!"

Ich schwöre euch, ich habe dieses „Vielleicht würde ein Kuss helfen" geschrieben, bevor ich Heartstopper gesehen habe! Nicht, dass hier jemand denkt, ich würde von anderen kopieren👀

Fill me with poisonWhere stories live. Discover now