Kapitel 8

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Sams Sicht

Verschlafen stapfte ich nach meiner Morgenkippe zurück ins Gebäude. Die frische Morgenluft hatte mir meine Müdigkeit nicht nehmen können. Momentan schlief ich schlecht. Der Stress, den dieses Unterfangen mit sich brachte, machte sich wohl bemerkbar.
Ergebnislos fuhr ich mir durch die Haare. Vielleicht sollte ich sie mir abrasieren, überlegte ich nicht zum ersten Mal, dann würden sie mir nicht mehr so auf die Nerven gehen.


Ich schlürfte langsam an das Ende des Flurs. Ich war nicht besonders scharf darauf, auf die Göre zu treffen, der brachte mich an die äußerste Grenze meiner Geduld. Gestern hatte ich einfach etwas sagen müssen, er hatte mich so aufgeregt. Aber heute würde ich garantiert nicht wieder nachgeben. Von so jemandem ließ ich mich schließlich nicht beeindrucken - nicht erneut. Vor seiner Tür atmete ich noch einmal tief durch und drückte dann meinen Finger auf den Scanner.

Als ich den Raum betrat, wäre mir beinahe das Essen aus der Hand gefallen. Geschockt sah ich auf das leblose Bündel auf dem Boden. An der Wand und auf dem Boden klebte längst getrocknetes Blut. Er hatte doch wohl nicht seinen Schädel gegen die Wand gerammt?

Fuck!" Ich riss mich aus meiner Trance und bückte mich schnell zu ihm hinunter, um ihn mir genauer anzusehen. Meine Müdigkeit war sofort verflogen. Wenn er tot war, dann würde es mächtig Probleme geben. Vor allem für mich, wenn ich derjenige war, der es meinem Vater mitteilen musste. Ich hockte mich neben ihn und musterte ihn skeptisch. Vorsichtig hob ich seinen Kopf an. Kein Blut. Ich fühlte seinen Puls. Er lebte noch. Gott sei Dank!

Plötzlich gab er ein leises Geräusch von sich, es klang nach einer Mischung aus Stöhnen und Seufzen. Er drehte sich auf den Rücken und schlug die Hände vors Gesicht. Autsch. Ich zuckte unmittelbar zusammen, als ich seine rechte Hand sah. Sie war blutverschmiert. „Siehst ganz schön scheiße aus", informierte ich ihn.
„Fick dich, geh einfach", grummelte er. Oder zumindest glaubte ich, dass er das sagte, denn es war schwierig, ihn zu verstehen. Er wollte sich aufsetzen, doch als er sich auf seine Hand stütze, verzog er schmerzhaft das Gesicht und biss sich auf die Lippen. Ich wollte ihm aufhelfen, doch er schlug mich mit seiner anderen Hand weg. „Fass mich bloß nicht an!" Gleichgültig zog ich die Schultern hoch: „Tja, wenn du meinst. Dann kann ich ja gehen."

Ich nahm Teller und Flasche, welche ich neben ihn abgelegt hatte, und stellte sie auf den Tisch, bevor ich nochmal auf ihn herabsah. Er trug mein Shirt. Und meine Jogginghose, die trug er eigentlich fast immer. Ich wette, wenn er wüsste, dass das meine Klamotten sind, hätte er sie sich direkt vom Leib gerissen.
Mit zusammengebissenen Zähnen zwang er sich auf die Beine. Entweder hatte er echt bestialische Schmerzen oder er war einfach eine Memme. Ich würde ja eigentlich eher letzteres vermuten, aber seine Hand sah wirklich kaputt aus. Hatte er die etwa freiwillig gegen die Wand geschlagen? Und wieso lag er auf dem Boden, war er bewusstlos geworden?

Langsam versuchte er mit angestrengtem Gesicht seine Finger zu bewegen, hielt dann aber inne und sah zu mir. „Bist ja immer noch da..." Auch wenn er es wirklich zu überspielen versuchte, gelang es ihm nicht, den Schmerz zu ignorieren. Mir war klar, dass er mich auf keinen Fall nach einem Verband oder ähnlichem fragen würde, dafür war er zu stolz. Also gab ich mir einen Ruck, schließlich würde Dad ausrasten, wenn er sah, dass seine Ware verunstaltet war: „Ich bring nachher 'nen Verband mit. Du solltest besser aufhören, die Wände zu verprügeln."
Ich sah ihn noch einen Moment prüfend an und überlegte, ob es sicher war, ihn allein zu lasen. Andererseits hatte ich aber auch kein Bock, mehr Zeit als nötig mit ihm zu verbringen.

Ich durchkramte sämtliche Schränke in der Küche, bis ich tatsächlich eine einzelne Verbandsrolle und eine fast leere Wundsalbe fand. Glücklicherweise war der Verband unbenutzt.
„Bitte sag mir, dass du nicht wieder vorhast, dich zu prügeln." Dan hatte die Küche betreten und sah mich forsch an. Ich schüttelte den Kopf. „Ist nicht für mich." „Du hast dem Kleinen aber nix getan, oder? Du weißt, wie dein Dad reagieren würde." Ich zog hämisch einen Mundwinkel hoch. „War gar nicht nötig gewesen, der hat sich selbst verprügelt. Muss seine Hand wohl gegen die Wand geschlagen haben oder so, jedenfalls ist daran Blut und seine Hand ist demoliert." Ich legte den Verband und die Salbe neben der Kiste mit den Wasserflaschen ab und öffnete den Kühlschrank auf der Suche nach etwas Essbarem. „Ehrlich gesagt, hatte ich schon befürchtet, er hätt' sich umgebracht. Ich wär' ungern die Person gewesen, die das meinem Vater mitteilen müsste."

Dan schwieg einen Moment, während ich mir zwei Würstchen aus einem Glas fischte und ihm auch eins anbot. Kein 5-Sterne-Menü, aber bei meinem Hunger gab ich mich mit allem zufrieden.

„Freunde dich mit ihm an", platzte Dan auf einmal heraus. Fast hätte ich mich an dem Würstchen verschlugt. „Wie bitte?! Anfreunden?" Nickend bestätigte er es: „Kann ganz schön krass für einen werden, wenn man sozial so isoliert is'. Versetz dich mal in seine Lage, wie panisch der sein muss. Wir haben keine Ahnung, wie lang's dauert, bis sein Dad zahlt. Was machen wir, wenn er sich wirklich selbst abmurkst? Dann hätten wir eine Leiche, die entsorgt werden muss, kein Geld und die letzten Monat Arbeit wären für're Katz' gewesen. Red' mit ihm, gib ihm...keine Ahnung, mach ihm vielleicht Hoffnung oder was weiß ich. Er bringt uns nix, wenn er nicht lebt und in der kleinen Zelle, da würden selbst mir irgendwann komische Gedanken kommen."


Das war jetzt nicht sein Ernst. Mal ganz davon abgesehen, dass ich so wie so keine Freunde hatte - und haben wollte - sollte ich mich jetzt ausgerechnet mit dem anfreunden?
Anscheinend erahnte er meine Gedanken: „Mann, ich mein' doch nicht so richtig. Du sollst ihm das nur vorgaukeln! So schwer ist das doch wohl nicht, oder?" ,,Oh doch!", protestierte ich heftig, „Der ist so anstrengend, das kannst du mir doch nicht antun!" Grunzend ließ er sich auf einen Stuhl plumpsen. ,,Wem sagst du das. Ich musste auch schon mit ihm vorliebnehmen. Aber bitte Mann, mach's doch einfach."

Fill me with poisonWhere stories live. Discover now