Kapitel 50

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Gilles Sicht

„Als wir von der Polizeistation zurückgefahren sind - du weißt schon, an dem Tag - da hat mein Vater mich geschlagen. Er hat mich angeschrien, was denn bloß nicht mit mir stimmte, mich Schwuchtel und ... andere Dinge genannt." Ein verstehender Ausdruck huschte über Sams Gesicht und ich spürte, wie er sich anspannte, aber er blieb still. „Er redete danach nicht mehr mit mir, wobei das eigentlich kaum eine Änderung zu vorher war. Meine Mutter...ich denke, sie stand ziemlich lange unter Schock. Mit Kenneth sprach ich so wie so nicht mehr, weil er dich angezeigt hat." Ich bemerkte, wie Sam Einspruch erheben wollte, hielt ihn aber umgehend ab: „Ich weiß, dass du dich schon vorher gestellt hattest, aber das macht keinen Unterschied. Ich habe ihm im Vertrauen von dir erzählt und er hat dieses Vertrauen gebrochen.

Danach blieb mir nur noch Maggie." Trauer breitete sich in mir aus, als die Erinnerungen hochkamen. „Sie hat wohl auch ziemlich schnell eins und eins zusammengezählt und verstanden, wen sie da verarztet hatte. Und doch hat sie nie ein Wort gesagt. Als einzige hat sie mich normal behandelt." Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. „Der Name Louis stammt übrigens von ihr, so hat sie mich früher als Kind immer genannt. Es bedeutet Kämpfer.

Aber kurz darauf hat sie einen Herzinfarkt erlitten, den sie nicht überlebt hat." Sam zog scharf die Luft ein und drückte mitfühlend meine Hand. „Es lag wohl am Stress, ich habe sie mit meinem ganzen Drama umgebracht." „Gilles!" Sam wollte noch mehr sagen, doch ich ließ ihn nicht, er konnte die Tatsachen eh nicht ändern. „Bitte, lass mich einfach weitererzählen, ja?" Also ließ er mich weiterreden.

Beim Erzählen fühlte es sich an, als wäre ich wieder in die Vergangenheit zurückversetzte. Ich erinnerte mich noch genauestens an die Stille, die sich bei uns zuhause ausgebreitet hatte, so weit, bis ich es nicht mehr ausgehalten hatte und abgehauen war. Miami war mehr oder weniger eine willkürliche Entscheidung gewesen. Ich wusste, dass meinem Vater die Stadt nicht gefiel, das hatte sie attraktiv gemacht. Und dann stand ich da, in einer fremden Stadt, kannte niemandem und hatte kein Geld. Sofort nachdem ich gegangen war, hatte mein Vater meine Kreditkarte gesperrt. „Du hattest also doch recht behalten, ich war ein verwöhntes Gör, das ohne das Geld seiner Eltern aufgeschmissen war." Denn das war ich gewesen. Ohne das Geld meiner Eltern war ich aufgeschmissen gewesen, so sehr, dass ich eine Zeit lang auf der Straße schlafen musste. Und das machte echt etwas mit einem. Hätte ich nicht durch ganz viel Glück einen Job gefunden und nette Arbeitskollegen, die mir sofort ihre Coach anboten...ich wusste nicht, was dann aus mir geworden wäre.

„Tja und dann, als ich mein Leben gerade wieder im Griff hatte, finanziell recht stabil war und mir dachte, ich könnte mir ja mal einen überteuerten Kaffee gönnen, stehst ausgerechnet du vor mir. Den Rest kennst du ja."

Als ich geendet hatte, zog er mich unvermittelt in eine Umarmung. Eine Welle der Vertrautheit überkam mich und spülte die dunklen Gedanken fort. „Gilles...ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das tut mir so leid." Er löste sich von mir und schüttelte voller Unglauben den Kopf. „Eine Sache weiß ich allerdings mit großer Sicherheit, nämlich dass du nicht für Margies Tod verantwortlich warst. Herzinfarkte bei alten Menschen sind keine Seltenheit. Dafür darfst du dir einfach nicht die Schuld geben, hörst du? Das hätte sie auch nicht gewollt." In seinen Augen lag eine Aufrichtigkeit, die es mir schwer machte, ihm nicht zu glauben.

„Und was ist mit dir? Deine letzten Jahre waren doch sicherlich auch nicht unbedingt schön?" Wir hatten genug über mich geredet. Es tat gut, ihm das alles erzählt zu haben, aber jetzt wollte ich das Thema hinter mir lassen.

„Das Gefängnis war...nun, es war kein fünf Sterne Hotel. Vor Allem als sich rumgesprochen hatte, dass ich wegen der Entführung eines Minderjährigen einsaß, wurde es unangenehmer. Ich war schon dankbar, dass ich nur fünf Jahre statt der vollen Strafe sitzen musste." Er erzählte mir, wie er der Polizei geholfen hatte, seinen Vater zu schnappen, wofür seine Strafe verkürzt wurde. Und dass er Dan gedeckt hatte und dieser deswegen noch immer auf freiem Fuß war. Danach warf er mir einen prüfenden Blick hab, aber ich zuckte gleichgültig die Schultern. Wenn Sam ihn deckte, schien von ihm keine Gefahr auszugehen, also hatte ich damit kein Problem.

Fill me with poisonOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz