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Liebe Autorin, lieber Autor,

danke für deine Geschichte. Es war mir eine Freude, sie lesen zu dürfen.

Ab Kapitel II hat mir das Lesen richtig Spaß gemacht. Von da an lebt sie von den Dialogen zwischen Nele und Annika. Sie treiben die Geschichte voran, du entwickelst sie daran und sie wirken authentisch. An ihrem Sprachgebrauch sind sie gut voneinander zu unterscheiden. Annika immer ein bisschen flapsig, locker und mit englischen Worten im Gepäck. Nele wirkt gefestigter und glaubhaft in ihrer Rolle als Buchhändlerin. Jeder Charakter hat seine Rolle, wird so weit differenziert, dass ich immer wusste, um wen es gerade geht. und ich habe zu jeder Zeit Bilder im Kopf gehabt. Die Figuren wirken authentisch und ich mochte, wie sie alle einzeln agieren, aber auch miteinander interagieren. Die Brüder Jack und John reihen sich gut ein. Der eine kautzig, verknittert und mit einem von Motten zerfressenen Mantel, der andere jung, dynamisch und der Zeit angepasst. Auch hier passten jeweils Sprache und Bild gut für mich zusammen.

Die Geschichte an sich passt. Mit der Zeitreise, dem Grund und den Ortswechseln gelingt es dir ab einem gewissen Punkt, Spannung in der Hinsicht aufzubauen, als dass ich immer weiterlesen wollte. Sie ist witzig, spritzig und unterhaltsam, für mich zu lesen gewesen, nachdem ich über das erste Kapitel hinaus war.

Meistens ließ sie sich leicht und locker lesen. Nicht ganz abgeholt gefühlt habe ich mich bei den Zeit und Ortwechseln von Kapitel I zur Hauptgeschichte ab Kapitel II. Der Konflikt ist gut aufbereitet und gestaltet. Die Lösung war mir nicht ganz klar. Leider muss ich hier spoilern. John und Jack sind verbunden durch den Blitz, der durch die Schreibmaschine fuhr. Sie können nur gemeinsam durch die Zeit reisen. Jack will zurück, John will bleiben und hat einen geheimen Zahlencode eingegeben. Am Ende erfahren sie den Grund, warum sie nur noch gemeinsam reisen können und John erzählt Jack den Code. Was mir nicht einleuchte ist, warum sie nur um das Wissen, warum sie nur gemeinsam reisen können nun plötzlich getrennt voneinander reisen könenn sollen. An der Ursache hat sich ja nichts geändert. Durch den Blitz sind sie miteinander verbunden. Nur, weil Jack jetzt den Code kennt ändert sich ja an dem Dilemma des gemeinsamen Reisen nichts. Das wird in der Geschichte anders dargestellt und ich verstehe nicht warum.

Zwiegespalten bin ich hinsichtlich der guten Lesbarkeit und dem Lesefluss insgesamt. Ab Kapitel II merkt man der Geschichte an, dass du dich in dieser Sprache wohler fühlst. Sie ist gebräuchlicher und flutscht dir nur so aus der Feder. Der Einstieg der Geschichte liest sich für mich nicht so rund. Hier hast du der Zeit des 19. Jahrhunderts entsprechend, versucht einen Sprachgebrauch zu finden, der passender ist. Das halte ich auch für richtig und wichtig. Aber, die Beschreibungen wirken oft nicht passend im Sprachbild und insgesamt etwas konstruiert, weswegen mir hier der Lesefluss fehlte. Auch gibt es ein Wort in der Geschichte, was sich stets und ständig wiederholt. Das Wort “hatte”. Grammatikalisch immer korrekt, aber für den Lesefluss in der Vielzahl hinderlich.

Kapitel I

Mit dem ersten Absatz hast du mich am Haken. Ich bin sofort in einer spannungsgeladenen Szene. Der Donner grollt, die Überraschung über die Geschwindigkeit, mit der das Unwetter den Ort des Geschehens erreicht ist glaubhaft. Ich spüre die Atmosphäre und bin neugierig, was hier passiert. Und dann flacht die Stimmung augenblicklich ab, weil aus dem schönen aktiven Schreibstiel des ersten Absatzes ein durch und durch passiver Schreibstiel wird. Wo gerade noch der Donner grollt, hatten jetzt Sterne dem Halbmond beim Erhellen der finsteren Nacht unterstütz. … Zeit und Raum schienen still zu stehen, als Hitze durch sie jagte …

Mit weiteren, zum Teil auch überbordenden Beschreibungen veränderst du den Tempus so abrupt, als wenn aus einem prall gefüllten Luftballon die Luft enweicht. Peng, puff und aus. Zum Teil liegt es glaube ich daran, dass der Einstieg im 19 Jahrundert spielt. Hier wurde für mein Empfinden bewusst versucht, der Sprache und dem Inhalt einen anderen Ton zu geben, als der Hauptgeschichte. Das finde ich prinzipell richtig. Durch die Art der Beschreibungen von Ort- und Stimmungszenen und den Wechsel in den Erzählstiel, wird aber dem Drama, die Spannung entzogen. Die Szenen ziehen sich und die Dynamik die du mit aktiven Handlungen hättest hochhalten können, verpufft hier wirkungslos. Als Lesende möchte ich mittendrin bleiben, ich möchte das Drama, das hier gerade entsteht spüren, ich möchte Teil davon sein. So wird es mir erzählt und ich stehe ein bisschen interessiert am Rand des Geschehens und schaue mal, was noch so passiert.

Ideenzauber 2023 - KritikbüchleinWhere stories live. Discover now