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Die Geschichte hat mir gut gefallen, ich denke aber, das vom strategischen Aufbau und der Struktur mehr dringewesen wäre. Eingerahmt ist die Erzählung von einem O-Ton zu Beginn (der ist kurz und knackig und macht neugierig) und einer Zeitungsanzeige am Ende, die das Geschehene erklärt. Für mich hat die Geschichte bis zum Zeitungsteil gut funktioniert, danach fielen für mich Spannung und Leselust etwas in sich zusammen.

Das hat zwei Gründe. Zum einen ist der Artikel einem tatsächlichen Artikel, zwar ähnlich, aber inhaltlich würde das niemals so einer Zeitung stehen - gerade Namen von Tätern und Hinweise auf psychologische Probleme nebst O-Tönen von Bewohnern aus der Nähe über diese Person. Das ist schlicht unrealistisch. Das ist aber gar nicht mal sooo dramatisch. Erzähltechnisch finde ich diesen Wunsch, das Vergangene durch Fakten erklären zu wollen, schade, denn damit traust Du den Leser*innen glaube ich zu wenig zu. Klar, die Erzählung der Geschehnisse aus der Innenperspektive sind sehr bildgewaltig, teils verstörend (auf eine gute Weise!) und lassen uns sehr nah an die Protagonistin ran - so nah, dass er schon richtig unangenehm wird. Klar, Du arbeitest viel mit Symbolen, sprachlichen Versatzstücken und Elementen, die sich nicht gleich erschließen. Aber sind sind nicht sooo unverständlich, dass man sich da ohne die Erklärung keinen Reim drauf machen könnte - vor allem gibt der O-Ton am Anfang schon Hinweise, wie das Kommende zu verstehen sein könnte.

Taktisch hätte ich einen anderen, weniger faktischen Weg gewählt. Die “Frage der Perspektive” könnte man nicht nur als Stichwortgeber für die Geschichte nutzen sondern sich auch fragen, welche Perspektive Leser*innen benötigen, um in die Geschichte eintauchen zu können. Der harte Kontrast extreme Innensicht und maximal nüchterne Beschreibung passt hier für mich nicht.

Anbieten könnte sich zum Beispiel der Fund einer Tagebuchseite, in der die Prota niederschreibt, wie sie tickt. Das dürfte verständlicher und klarer sein (sie wird klare Momente haben, ab und an) und könnte das Geschehen beleuchten, ohne gleich die Bilder mit Fakten zu überdecken. Das Beunruhigungspotenzial der Geschichte schöpftst Du leider nicht aus - wobei ich gestehen muss, dass es alleine eine Herkulesaufgabe ist, so jemanden aus der Innenperspektive zu beschreiben. Tendenziell trifft man nie den Kern, aber das hast Du wirklich gut gemacht. Allerdings lebt das Bild von der Prota vornehmlich von den Handlungen, die sie mit macht und in die sie involviert ist - ihre Figur und ihre Gedanken geraten durch das Ende etwas aus dem Blick - als ob ihre Bildwelt durch die Faktenwelt der Nachricht ausradiert würde. Das ist ein interessanter Gedanke, den man vielleicht weiter verfolgen könnte.

Sprachlich hast Du das gut gelöst, vor allem hast Du die Vorgabe der Wortlimitierung wirklich gut genutzt, um eine schnelle, gut lesbare und teils atemberaubende Geschichte zu schreiben. Klar, die Beschreibungen können da nicht episch sein, an Stellen spürt man, dass Du da stark verkürzen musstest, aber trotz allem: gut gelöst!

Vieles bleibt Andeutung, vieles bleibt im Textkern unklar.. das mag ich, sofern das nicht zuviel wird. Hier ist das nicht zuviel, aber es wird zu zu Wenigem... der Artikel schafft da Eindeutiges, wo weniger Faktisches sinnvoll gewesen wäre. Ich spekuliere mal: Vielleicht hat Dich die Intensität des Mittelteils selbst überwältigt und Du hast versucht, mit dem Ende Dich selbst zu beruhigen.

Egal. Mein Fazit: emotional, bildgewaltig, stellenweise verstörend, aber etwas mutiger darfst Du gern sein. :D

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