38. Saoirse und die Melodie der Freiheit

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Die Wegwarte streckte ihre ersten zarten Glieder empor.

Janek kniete vor der Pflanze seiner Mutter. Die blassblauen Blüten konnte er ihr immer noch nicht zeigen, aber sie hatte ihm versprochen, im botanischen Garten von Xandria ein blühendes Exemplar zu suchen.

»Mama wartet immer noch. Sie wartet, dass Papa nach Hause kommt – oder zumindest seine Asche.«

Sera hockte neben Janek in der regennassen Erde. »Alles kehrt eines Tages heim. Auch ich habe meine Mutter verloren« – sie sah zur Silhouette des Mondes – »aber sie wacht selbst jetzt noch über mich.«

Wie das Kind der Nacht, das seinen Elfenfreund verloren hatte und später von Wind und Falken begleitet wurde.

»Aus ihrem Leben entsteht neues Leben. Aus ihrer Asche entsteht ein neuer Körper und aus ihrer Seele entsteht eine neue Seele. Und manchmal – wenn die Gefühle der Verstorbenen stark genug waren – bleiben sie bis ins nächste Leben.« Janek richtete sich auf. Nur noch Taubheit lag in seiner Stimme. »Das hat Alistair gesagt.«

Sie verzog den Mund zu einem Lächeln. Ob der Druide das inzwischen sogar bestätigen konnte? »Wollen wir zur Stadt gehen und Ctirad verabschieden?«

Er trottete voraus. »Er geht sowieso nicht, wenn ich nicht komme.«

War Alistair wirklich der Richtige, auf Janek Acht zu geben? Doch sie folgte dem jungen Lehrling.

Auf dem kleinen Hafenplatz sprach Ctirad bereits seine letzten Abschiede aus, während der Herzog zweier Landesteile Mervailles Stadtgraf Nolann viel Glück in seiner zukünftigen Position wünschte. Reflexartig setzte dieser zum Salut an, hielt aber inne, ehe er sich mit der Faust auf die Brust klopfte. Hinter ihm standen in weiß-rotem Waffenrock und mit Kommandantenplaketten Arnault und in Pelzmantel gewickelt Bastien – beide stramm oder stocksteif.

Sera und Janek drängten sich zwischen den Moragi nach vorn zu Ctirad. In einer klammernden Umarmung und einem geflüsterten ›Leb wohl‹ verabschiedete Janek einen weiteren Menschen aus seinem Leben.

Seraphina knickste nach mervaillscher Manier und zwinkerte dem irritierten Moragi zu »Das ist der Moment, an dem du dich verbeugst, bevor der Standeshöhere von uns beiden – in unserem Fall du, weil ich neutral bin – zu einer Umarmung einlädt, die der andere – also ich – annimmt.« Sie führte die Verbeugung aus, die Ctirad ungeniert nachahmte.

Er öffnete seine Arme und Seraphina nahm an, dass ihre Kleidung wie Federn über die seine strich und seine Minznote sogleich wieder verblasste.

»Ein paar Tage bei Hofe und die Routine ist deine«, sagte sie. »Möge der Silbermond dir den Weg erhellen und dich in der Not weise leiten, Ctirad.«

Er zog die Mundwinkel hoch und verlagerte sein Gewicht aufs andere Bein. »Die Wurzeln der Lilie reichen durch den gesamten Wald. Ich danke Euch für alles, Füchsin Jeanne.«

»Daran« – Wyatt schlenderte zu ihnen – »werden wir auch arbeiten müssen.« Der Herzog klopfte seinem neuen Schüler auf den Rücken. »Aber das wird noch.« Er präsentierte ihm die Begrüßung ein weiteres Mal und Seraphina spielte mit. »Ganz die Dame, die ich erwartet hatte. Unter dem Segen des Silbermondes sollt auch Ihr wandeln.«

Sie faltete die Hände. »Ihr werdet ihn mehr brauchen, Herzog. Auf dass Mervaille einen friedlichen Morgen erfahren darf.«

»Eure Mühen werden nicht vergebens sein.« Wyatt drehte sich zum angelegten Schiff um und hob zum letzten Gruße die Hand. Dann überquerten er, seine Leibgarde und Ctirad die Flussmündung und treidelten flussaufwärts.

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Dokumente stapelten sich auf Dokumenten. Der gesamte Besprechungstisch war übersät mit Arnaults Berichten über die Personalauswahl der Stadtwache und Alistairs Aufzeichnungen der Ernteeinträge vom jüngsten Fest und welche Lebensmittel oder Arzneien weiterhin von außerhalb importiert werden mussten.

ScherbenweltWhere stories live. Discover now