33. Alistair der Friedenswahrer

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»Du bist noch wach?« Tjelvar schloss die Tür zu ihrem gemeinsamen Zimmer im Burgturm. »Es ist mitten in der Nacht.«

»Du bist doch auch noch wach. Hat der gute Generalherzog uns noch weitere freundlich gemeinte Befehle erteilt?« Sie rieb sich die Augen und unterdrückte ein Gähnen, um dann wieder über ihren ersten Ideen für den unliebsamen Stadtrat von Sale zu brüten.

»Nein.« Das Kaminfeuer ihr gegenüber schoss in die Höhe, dass es den Raum ausleuchtete und ihre sehnigen Hände wärmte. Sodann fiel Tjelvar neben ihr aufs Sofa vor dem Tischchen mit Seras Notizen. »Wyatt ist normalerweise ein sehr weltoffener Mensch, der sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lässt.«

»Das habe ich gemerkt.« Sera schrieb Alistairs Namen nieder und sank anschließend in die weichen Rückenpolster. Weil Lucien ihm die Gefühle verdreht hatte?

Wer sagte, dass er das nicht auch bei ihr schon getan hatte?

Mit den Fingern fuhr sie sich durchs sonnengoldene Haar. Löste Knoten um Knoten und starrte nur in die einlullenden, rauchigen Flammen.

Ihr Professor schielte zur Seite, fokussierte aber sogleich wieder das Feuer. »Seit dem Steinbruch beschäftigt dich etwas.«

Ach? Nur, dass er ihr wahrscheinlich nicht glauben würde, wenn sie ihm vom Krähenmann berichtete.

Doch Tjelvar schwieg und legte den Kopf in den Nacken. Atmete mit geschlossenen Lidern tief durch, als gönnte er sich jetzt zum ersten Mal an diesem Tag eine Pause.

»Die Gesetze der Gabenkunde besagen, dass alle Energie Teil eines Kreislaufs ist – sie wird nicht neu erschaffen und sie verschwindet nicht. Darum muss jeder Begabte Energie absorbieren, wenn er beim Freisetzen nicht unbegabt werden will.«

Er drehte sich halb zu ihr.

Dickes, welliges Haar verworr sich um ihre Finger. Mit den Füßen wippte sie einen unruhigeren Takt als das Feuer.

Schließlich sah sie ihm in die Augen.

Tjelvar wich aus. Knetete die Fingerknöchel und erwiderte schließlich ihren Blick. Nicht gleichgültig oder abweisend: Interessiert und wehmütig.

»Denkst du, es sollte so sein, dass Seher anderen die Sinne stehlen können? So, wie Druiden es mit der Lebensenergie tun?«

»Bei genauerer Überlegung liegt das nahe, ja. Alles, was möglich ist, passiert auch irgendwann.«

»Nur warum ist es keine gängige Praxis unter den Sehern? Keine Strafe wäre effektiver als diese – und irgendjemand muss das doch schon ausprobiert haben.« Sie nahm die Hände zurück und massierte die müden Augen.

Tjelvar neigte den Kopf und schien innerlich zu zählen. »Das Einzige, was mir einfiele, wäre die Füchsin.«

»Wie?« Sie starrte ihn an.

»Na ja, sie ist ein Geist des Wissens. Und nach den Gesetzen der Gabenkunde ...«

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Das Lilientor zu Alistairs Idyll entwand sich, noch ehe Sera der Mutterlilie gegenüberstand.

Saoirse wartete bereits auf sie – die Hände hinterm Rücken, ein Grinsen auf den Lippen und eine verspielte Melodie im Pfeifen. Hier, inmitten all des Schnees, wirkte ihre Haut fast schwarz. »Ich bin beeindruckt. Hast du Réalta so lange mit deinen Spezialangriffen attackiert, dass er jetzt denkt, er ist ein kleiner, glitschiger Frosch und sieht nur noch rot-grün?«

Sera runzelte die Stirn. »Nicht ganz. Ich habe mich unsichtbar gemacht und bin an ihm vorbeigeschlichen.« Wie kam jemand auf solche Ideen?

Aber zumindest hatte Wyatt jetzt wieder einen klaren Kopf und wirkte tatsächlich wie das Auge im Sturm.

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