25. Eine neue Sonne geht auf

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Arnault arbeitete sorgfältig, das musste sie ihm lassen. Fehler in die von ihm erstellten Dienstpläne einzuschleusen, bedurfte Nachjustierung an mehr Stellen als sie vermutet hatte.

Aber Seraphina hatte Zeit: Von der Mittagsstunde bis zum Erwachen des Sternendrachens in der Abenddämmerung. Und so müde sie auch war, denken konnte sie wieder. Der Aufseher hätte darauf achten sollen, welchen seiner Gefangenen er wie viele Zugeständnisse machte.

»Der Weg ist frei, Hakim.« Sie öffnete dem Teufel buchstäblich Tür und Riegel. Hoffentlich endete das wirklich gut.

Hakim dachte nicht einmal zur Antwort. Er atmete tief durch und die Fesseln um seine Hand- wie Fußgelenke leuchteten. Erst dunkelrot, dann die gesamte Farbpalette an Gelbtönen. Schließlich brannten sie weiß und tropften wie Wasser zu Boden; bildeten glühende Pfützen, die sich in den Stein fraßen.

Augenblicklich erkalteten sie wieder unter zischendem Protest.

Der entehrte Teufel nahm die vierfingrigen Hände vor sich, als hätte er sie begutachten wollen. Ballte sie zu Fäusten, dass die Sehne unter dem schwarzen Knoten spannte, und ließ wieder locker. Er kreiste mit den Schultern, und die eingefrorenen Gelenke knackten.

Wie lange hatte er dort gesessen? Sechs Monate? Länger?

Ein Greis hätte schneller aufstehen können als Hakim. Schließlich torkelte er auf die Eisentür zu und legte seine Handflächen an sie. Auch dieses Eisen glühte sofort und seine Hände glitten wie durch weiche Butter. Der Teufel wartete nicht einmal, bis die Tür zu einer formlosen Pfütze degradiert war. Er strauchelte einfach durchs leuchtende Metall, als wäre es ein Vorhang aus Wasser.

Hatten die Moragi Sera nicht erzählt, er könnte nur Wasser kontrollieren?

Zähflüssige Tropfen perlten von seinen zerschundenen, noch immer bunten Kleidern und seiner Haut – erstarrten, ehe sie stumm mit dem Boden kollidierten. Hakim wankte noch zwei Schritte nach vorn, wo er mit einer Hand an der Wand zu ihrer Zelle kam.

Seraphina wartete mit rasendem Herzen hinter ihrer Holztür. Jemandem, der sich so leicht durch Metall schmolz, durfte sie unter keinen Umständen vertrauen!

Ihr Schloss zerfloss und nichts als blankes, unbeschädigtes Holz blieb zurück. Hakim öffnete die Tür und seine eisblauen Augen mit den feurigen Sprenkeln sahen grob in ihre Richtung.

Kaum zu glauben, dass ein Wesen, wenige Zentimeter kleiner als sie, so viel mächtiger war als sie.

»Lass uns gehen. Keine Kämpfe, keine Opfer.« Seraphina streckte ihre Hand nach seiner aus. Und zuckte zurück.

Vier Finger, die sich in Sekundenschnelle durch Metall brannten.

Sie schluckte. Welche Wahl hatte sie schon, wenn er sich orientieren sollte? Also packte sie seine Hand. Warm – nicht heiß.

Seraphina ging voraus. Erstickte jedes Knistern ihrer Bewegungen auf dem frostgefrorenen Untergrund. Verbarg jeden Quadratmillimeter ihrer Körper vor dem Steilhang.

Das Wasser aus den Steinzellen folgte ihnen ebenso versteckt. Wie ein Schwamm saugte Hakim jeden getauten Frost diesseits wie jenseits der Holzbarrikaden auf. Wie lange brauchte der Teufel, um die hüttengroße Wasserblase zu bilden? Sekunden, Minuten? Zu kurz.

»Dann los. Stufe für Stufe. Die nötige Sicht stelle ich dir zur Verfügung.« Die Felswand mit ihren fünf Steinstufen sollte alles sein, was er sah. Nicht dass er noch versuchte, jemanden in dieser Blase zu ertränken – falls das mit seinem Versprechen vereinbar war.

»Wie überaus gnädig von dir.« Hakim stellte sich dem Hang; stand genauso apathisch da wie Tjelvar es getan hatte. Binnen weniger Augenblicke formte das Wasser eine Treppe – sogar mit Geländer – zur ersten Steinstufe herauf. Einen Moment später gefror sie zu Eis.

ScherbenweltWhere stories live. Discover now