34. Lucius der gefallene Stern

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Sie verstaute Alistairs Broschenkästchen und seine Dokumente in ihrer Umhängetasche. »Vielen Dank für deine Unterstützung. Ich bringe dir alles sicher und unbeschädigt wieder zurück.«

Doch er winkte nur ab. »Wenn man so alt ist wie ich, werden diese Broschen irgendwann bedeutungslos. Wissen kann man nicht mit Erfahrung aufrechnen. Allerdings« – Alistair lehnte hinter ihr an der Eingangstür – »ist meine Hilfe an eine Bedingung geknüpft: Die, dass du Arnault zurückgibst, was du ihm gestohlen hast.«

Einen Mörder von seiner Strafe befreien? Sie packte den weichen Lederriemen ihrer Tasche fester. »Arnault weiß, wer ich bin.«

»Ich weiß auch, wer du bist.« Der Druide zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Arnault ist nicht dumm und du solltest es genauso wenig sein – zumindest, wenn du meine Unterstützung haben willst.«

Langsam presste Sera die Luft heraus. »In Ordnung.« Irgendwann vielleicht.

Sie wandte sich zur Fläche unter den Bäumen, wo noch wenige Monate zuvor vollgesogene, bunte Pilze standen und wo Saoirse und die Panthera jetzt bei Janek und Killian saßen.

»Er hat es dir wirklich nicht gesagt, hm?«

Seraphina schloss die Augen. Ihr Bruder war ein Manipulator. Nicht weinen. »Noch nicht«, ließ sie ihre Gabe für sich sprechen und schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid.« Doch Alistairs Stimme hinter ihr verklang in einer Kälte, die nicht vom aufgewühlten Schnee herrührte.

Auf der anderen Seite der Lichtung hielt Saoirse den jungen Lehrling im Arm, während Quiva und Rory ihren Vater anstupsten und zum Spielen anzuregen versuchten.

»Saoirse?«

»Féileacán.« Die Druidin wand sich aus Janeks Umklammerung und stand auf. »Konnte Alistair dir helfen?«

»Ja, danke.« Während Janek nun schniefend den Kopf in Killian vergrub, ging Sera zum gefrorenen Teich mit seinem stillstehenden Miniaturwasserfall.

Tausend kleine Luftbläschen sprenkelten die Eiszapfen wie Sterne den Nachthimmel. Kälte brannte in ihren Augen und stach in ihre Lungen. »Mein Bruder ist ein Anhänger der Schwarzen Katze, nicht wahr?«

Ein Seufzen und neben ihr stiegen Wölkchen gen Himmel. »Du wirst eines Tages wie die Sonne sein, Féileacán. Réalta wird eines Tages wie der Erste Stern sein. Als Tagfalter bist du im Licht geboren, als Nachtfalter wird er dir den Rücken decken.«

»Das beantwortet meine Frage nicht.«

»Nein, aber das muss es auch nicht.«

Sie blickte Saoirse an.

Anspannung über den sonst so fröhlichen Zügen. Ewig alte Bernsteine, die sich wie Nadeln in ihre Augen bohrten.

»Gaben sind nicht das Entscheidende bei einer Person, sondern das hier.« Saoirse legte sich die Hand aufs Herz wie bei den Opfern für das Fest so viele Monate zuvor. »Und das ist bei Réalta an der richtigen Stelle.«

Ungesehene Tränen rannen Sera über die Wangen. Keine Verneinung war auch eine Bejahung.

Eine Erkenntnis, die ihr das Rückenmark hochschoss. Lucien hatte ihre Gefühle verdreht, sie glauben lassen, was nicht echt war und seine Gabe schamlos an ihr ausgenutzt!

Ihr Bruder hatte sie verraten.

Und sie hatte ihm vertraut.

Sera rannte. Weg hier! Weg von Saoirse. Weg von Alistair.

Ihr Märchenprinz von damals existierte nicht mehr. Lucius war tot.

»Féileacán, warte!«

Was sie leider auch musste – aber nicht wegen Saoirse. »Öffne die Lilie«, knurrte Sera die Druidin hinter ihr an.

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