18. Vorbote des Wandels

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Saoirse bog ihr die Nase bei sich im Haus zurecht, während ihr Bruder unter der Decke lag und schlief. Endlich hatte er wieder Farbe.

»Jetzt schön ruhig sitzen bleiben.«

Sera krallte ihre Fingernägel in die Unterseite des Stuhls, biss die Zähne zusammen und erwartete den Schmerz mit geschlossenen Lidern. Eine warme Hand griff ihre Nase, die andere grub sich in ihre Haare im Nacken.

Dann knackte es laut und innig. Knorpel rieben auf Knorpel und Sera schmeckte das Eisen im Mund.

Im nächsten Augenblick betupfte ein nasser Lappen ihr Gesicht.

»Die Sonne im Haar, den Himmel im Aug: Ein Aureum fürwahr, hm? Wir sind fertig. Iss, schlaf ein bisschen und ich gucke, dass ich dir neue Kleidung zusammenbastle.« Zwei Hände bugsierten sie aufs Bett neben Lucien und stellten ihr eine warme, duftende Schale hin.

Was war dieses Gefühl, als Saoirse sich zu ihnen setzte und ihr über den Rücken strich? Was waren das für Worte, die nur die Druidin kannte?

Warum kam ihr das so bekannt vor?

Schlanke Finger strichen ihr durchs Haar. Warme, weiche Worte wehten im Abendwind. Eine Schulter für sie, die andere für Lucius mit seinen klaren Augen und seinem kleinen Pferdeschwanz. Ihr Spiegelbild und sie sahen hinauf und bestaunten das Funkeln der Sternbilder.

Der Silbermond damals leuchtete voll Liebe.

~✧~

Erst am späten Vormittag des übernächsten Tages verließ sie Saoirses Haus wieder – brachte mit ihr zusammen ihren Bruder zum Hospital, damit die Druidin wieder mehr als zwei Personen gleichzeitig helfen konnte. Sera zog es anschließend über die Savage zu Tjelvar, Bastien und dem benebelten Alistair, den Schaden dort zu begutachten. Wenigstens schien es, als hätte Stojan nicht noch mehr Gabenschlaf für Alistair oder gar Sera in den mervaillschen Vorräten gefunden.

Im Licht der Sonne blendeten die Ärmel ihrer grasgrünen, mit einer Wachsschicht überzogenen Jacke. Dieselbe, die auch ihre zimtfarbenen Hosen und die pastellgelbe Bluse umgab, die die Druidin auf Seras Größe angepasst hatte. Jetzt wandelte ein nach regennasser Erde duftender Baum mit einer wirr verknoteten Kordel am Gürtel zwischen den Steinhäusern Sales umher - vermutlich ein druidischer Talisman oder dergleichen.

Druidenqualität aus dem südlichen Duthchal-Wald, wie der Stoff bewies: Leicht wie Seide, weich wie Wolle und fein wie Thalast. Angeblich war das Material witterungsbeständig und ließ Wasser wie von Blättern abperlen, aber irgendwo musste auch druidische Kleidung ein Limit haben.

Seraphina genügte es vorerst, nicht mehr gegen das Gewicht ihres alten, blauen Kleids anzukämpfen und federnden Schritts über die Straße zu schlendern. Das Material passte sich perfekt an ihren Körper an, als glitt es über ihre Haut.

Doch auch den Tag darauf stockte sie noch vor dem Marktplatz. Der Abdruck des Richtsteins verharrte drohend in der Erde, während Stojan die Überreste des Galgens hatte entfernen lassen. Dafür hämmerten nun zwei Leute einen Pfahl in den Boden am Rande des Platzes.

Ob die Fläche vor einem Jahr auch schon so offen und weit dagelegen hatte, als der Krieg noch nur eine vage Befürchtung war?

Als noch Frieden herrschte.

Sie wandte sich um. Das Hospital jedenfalls war vor dem Krieg in einem besseren Zustand: Die Wände des Eingangsgebäudes waren von allen sechs in der schlechtesten Verfassung und an vielen Stellen schützten Holzbretter das Innere vor Wind und Wetter; ersetzten die Schieferplatten auf dem Dach.

Mit einem Beutel beladen trottete Janek gerade aus dem Empfangsgebäude. Als er sie sah, sprang er die letzten Stufen hinab und schlang die Arme um ihre Taille. »Jeanne! Geht's dir wieder besser?«

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