20. Glaubst du noch oder weißt du schon?

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Unsichtbar und lautlos vor einer den Tag begrüßenden Flöte schlenderte Seraphina das Hafenviertel entlang – ihre Fußspuren im Schlamm verbergend. Der Morgen war kalt und neblig und der Sturm verhieß wieder Regen im Laufe des Tages. Die Savage neben ihr war wild wie sie selbst vor so vielen Jahren und peitschte gegen die Docks – manchmal darüber. Die Fischerboote waren bereits zusätzlich vertäut, damit die Wellen sie nicht mitrissen.

Inzwischen routiniert hob sie den Riegel und stemmte sich gegen die Holztür; unterdrückte das Quietschen und hielt das Lagerhaus visuell verschlossen. Es gab gute Gründe, Seher zu fürchten.

Sera schlüpfte ins Innere und zielte auf dieselben Kisten wie immer. Drei geräucherte Würste und einen Beutel Trockenfleisch stopfte sie in ihre Tasche und verschloss alles wieder sorgsam. Dass die fehlenden Vorräte bis jetzt weder Stojan noch den Soldaten aufgefallen waren ...

Wahrscheinlich beschuldigten sie sich gegenseitig, sobald sie es bemerkten.

Im Herausgehen nahm sie noch einen Apfel, beseitigte alle Spuren und folgte der Straße zum Haupttor. Niemand hielt sie auf. Niemand sah sie neben der Patrouille spazieren. Niemand hörte das Knacken des Apfels, als sie hineinbiss und den süßen Saft genoss.

Die beiden Mervailler indes diskutierten darüber, ob moragsche Speisen – zubereitet von der zur Meisterköchin gekrönten Saoirse – nicht doch zu Hause Fuß fassen könnten.

Sera gluckste. Und das, obwohl Saoirses Rezepte aus dem bekämpften Duthchal-Wald stammten ...

Federnden Schrittes ließ sie die beiden in der Stadt zurück und bog hinterm Tor in den Wald ab. Wer hätte gedacht, dass sie noch einmal auf Diebstahl beging?

Ein Tropfen von Alistairs Blut im Kelch der Mutterlilie und die achtblättrig geflochtene Blüte im Hartholz öffnete sich.

Obwohl auch über Alistairs Versteck eine watteartige Nebelwolke lag, leuchteten die hockergroßen Pilze in sattem Grün, Rot oder Blau, als stünde sie in einer lumistrischen Sternenstadt mit ihren bunten Straßenlaternen.

»Ich habe neue Delikatessen für deine Panthera mitgebracht«, sprach sie Alistair an, der mit Janek oberhalb der Senke im Bachbett unterm Gebück stand. Dem Ort, an dem Iskras Gruppe sich durchgegraben und den auch die Panthera zur Flucht vor ihr genutzt hatten.

»Jeanne!« Der inzwischen wohlgenährte Lehrling ließ vom Spaten ab, mit dem er einen Stein unters Gebück bugsierte. Der Stein rollte zurück in den Krater, aus dem er kam. »Ups.«

Unterdessen stand der Druide knietief im sicher eisigen Wasser und rückte mit ganzem Körpereinsatz die größeren Steine im Bett zurecht. »Da werden sich Quiva und Rory bestimmt freuen. Wenn du willst, kannst du es ihnen gern selbst geben.«

»Heute muss ich leider noch weiter. Tjelvar und ich wollen die letzten Waffenverstecke finden, bevor der Regen wieder einsetzt, also heißt es – «

»Jede trockene Minute zu nutzen.« Alistair schmunzelte und hob die triefenden Arme. »Kenne ich. Ich muss das Loch noch stopfen, damit nicht noch einmal jemand versucht, hier einzufallen und der Bach nicht so viel Regenwasser vom Vert mitführt. Tja, Arbeit tut sich nicht allein.« Der Druide pfiff eine fröhliche Melodie und justierte seinen Stein neu.

Gut lügen konnte er allemal. Sera seufzte und legte den rauchig duftenden Beutel auf einem der Steine ab. »Wie geht es Killian?«

Janek zuckte zusammen und arbeitete, als wäre er allein – fokussierte nur noch seinen Stein.

Auch Alistair hielt inne. »Wie es jedem Vater gehen würde, wenn er ein Kind und seine Lebensgefährtin verliert. Quiva und Rory brauchen ihn, aber Trauer verschwindet nicht einfach.«

ScherbenweltWhere stories live. Discover now