11. Die Stille zwischen uns

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»Was ist für einen Friedenswahrer das Wichtigste?

Wissen.

Bei der Planung eines jeden Projekts müsst ihr die Standpunkte aller Konfliktparteien kennen, um deren (und euren) Handlungsspielraum und eventuelle Reaktionen vorauszuahnen. Einen Eiskristallbaum für die Schneereiter aufzustellen, mag zunächst eine einleuchtende Idee sein. Aber dann vergesst ihr, dass die Religion einiger Schneereiter vorsieht, Eiskristalle nur an Frostbäume zu hängen und ein anderer Brauch Eiskristalldekorationen zur Huldigung nur in bestimmten Formationen erlaubt.«

Den Tag darauf arbeiteten Alistair und Seraphina nicht mit auf den Feldern. Stattdessen begleiteten sie und zwei zögerliche Soldaten ihn zu den Weiden und Ställen auf der westlichen Seite der Stadt. Für ein Fest, bei dem die Druiden Leben gaben, brauchten sie zuvor etwas, dem sie es nahmen – und der Weizen hatte dafür nicht genügt.

Nicht im Mindesten, wenn sie Alistairs blasse Haut betrachtete.

Der Vertreter des Kleinen Volkes betrat den Stall an der Außenseite der Stadtmauer und Sera schlich ihm nach in eine der molligen Boxen. Der Geruch von Staub und Stroh überlagerte den Rauch der letzten Tage an ihrer Kleidung.

Vor ihnen lag eine Kuh ins Heu gekuschelt. Ihr Kalb sprang bei Alistairs Begrüßung auf und torkelte ihnen entgegen. Mehr als zwei Wochen Lebenszeit zählte es sicher noch nicht.

Und würde es auch nicht mehr, wie sie so mit schwitzigen Händen nach der Boxtür griff.

Alistair hielt ihm seine Hand hin, dass es an ihr schnupperte. Ein weiteres Staksen und das Kalb schmiegte sich an den Druiden. Der kniete nieder und kraulte es hinter den Ohren, bis es beinahe auf ihm saß, damit seine Finger dem Tier den ganzen Rücken hinunter durchs Fell fahren konnten.

Hinter ihnen schob Sera den Türriegel vor, trat einen Schritt zur Seite und verharrte mit klopfendem Herzen dort. Sie waren nicht gekommen, um einem Bauern nachträglich zur Geburt eines Kalbes zu gratulieren. Das zeigte das letzte violette Band – um Alistairs Handgelenk geknotet – überdeutlich.

Dieses löste der Druide nun und band es dem Kalb beiläufig um den Hals. Es schüttelte ein paar Male den Kopf, störte sich aber nicht weiter an der Schleife und hopste auf Sera zu.

Sie wich zur Seite. Niemals streichelte sie ein todgeweihtes Leben!

»Du könntest es wenigstens schnuppern lassen, Füchsin.« Alistair sah mit glänzenden Augen und flatternden Mundwinkeln zu ihr hoch.

»Kommt nicht infrage. Es ist schon schlimm genug, überhaupt hier sein zu müssen.« Und warum war die Box so klein, dass Sera nicht einmal zurückweichen konnte? Sie verschränkte die Arme vor der Brust und damit außer Reichweite des neugierigen Kalbs.

Der Druide seufzte. Sein Blick schweifte von ihr zur Mutterkuh, die entspannt gähnte. »Sieh es lieber so: Durch dieses Kalb brauchen wir nur noch vier der Ferkel vom letzten Wurf.«

Nur noch? Ihr krampfte die Luftröhre zusammen. »Habe ich mich verrechnet oder wie kommt es, dass uns fünf Jungtiere genügen sollen?«

Das Kalb muhte tief und brummend und rammte Sera den Kopf ins Bein.

»Ah, verdammtes ...!«, zischte sie. Und mit dem Ding hatte sie Mitleid?

Alistairs Kichern klang, als erbräche er sich jeden Moment. »Sie werden nicht die Einzigen sein, also brauchen wir nicht mehr.«

ScherbenweltWhere stories live. Discover now