31. Sonne, Mond und Sterne

55 4 39
                                    

Wie erwartet hatte Nolann keine Spur von Hakim gefunden. Stattdessen erduldete er die einstündige Tirade von Bastien, wie er den wichtigsten Gefangenen des ganzen Landes so fahrlässig verlieren konnte. Der Wortschwall endete erst, als dem Stadtgrafen die Luft ausging und er wieder auf seinen Stuhl vor der Landkarte sank.

Dennoch stimmten Tjelvar und Nolann Seraphina zu, dass der Wasserteufel bereits angegriffen hätte, hätte er es darauf abgesehen. Was immer er in Yulth wollte – er war weitergezogen.

Oder würde es zumindest, sobald er Alistairs Versteck verließ.

Im gemeinsamen Einvernehmen schrieb Bastien einen ruhigeren Brief nach Elk, wo König Philippe, sein zweiter Sohn und der Generalstab versuchten, die aufgeriebenen Truppen der Moragi im Norden zu vernichten. Die Schuld gänzlich auf Nolann abzuladen, war zwar nicht gerecht, aber Bastien hatte dafür in diplomatischsten Worten umschrieben, das Lehen jetzt unter befriedet zu haben. Nicht gelogen, doch auch nicht die ganze Wahrheit.

Die Antwort von König Philippe ließ auf sich warten.

Tage. Wochen. Inzwischen fast zwei Monate.

Also nutzten sie die Zeit anderweitig: Alistair – wohl durch das Ausbleiben einer Katastrophe beruhigt – nutzte die Pracht des Winters und veranstaltete Schneeballschlachten, Schneefigurenwettbewerbe und was ihm noch alles einfiel. ›Zum Wohle der Gemeinschaft‹, wie er stets betonte.

Seraphina indes hielt die schönsten Landschaften, Momente und den Wandel von Feinden zu Freunden fest: Nolann und Stojan, die ihre Mannschaften ins Schneeballfeld führten – sich hinter Schneewällen in Deckung warfen und um Sales Vorherrschaft kämpften – während Saoirse im Hintergrund Schiedsrichterin spielte. Janek, der Sieger des Kunstfigurenwettbewerbs, mit seiner Schneehasenfamilie. Olga, die Bastien beeindruckend filigrane Kerzenhalter geschmiedet hatte oder Lucien und Saoirse, die die Wunder des Duthchal-Waldes nachgebaut hatten – bis ihnen ein Rehkitz über die Kunstwerke trampelte.

An einem klaren Wintermorgen stand Sera am Fenster ihres Burgzimmers und blickte gähnend den Vert hinunter. Noch war dieser Tag von Alistairs wirren Einfällen verschont geblieben.

Bei der langen Sitzung letzten Abend in Bastiens Arbeitszimmer kam ihr das recht. Alistair, Stojan, Bastien und Nolann verhandelten inzwischen darüber, die Abschottung des Arbeitslagers am Steinbruch zu lockern und wer über welche Teile der Stadt nun eigentlich das Sagen hatte. Bei Bedarf moderierten Sera und Tjelvar, ansonsten schrieb sie Protokoll, wie sehr Nolann sich weigerte, den Steinbruch zu öffnen und dass Bastien witterte, worum es dem Kommandanten wirklich ging.

Da versprach ein entspannter Tag mit einem weit'ren Kunstbeitrag in ihrem Skizzenbuch seelheilendes Ersuch.

Federnden Schritts schlenderte Sera zum Schrank mit ihren Habseligkeiten und zog die Schublade mit ihren Zeichenutensilien aus. Ein Zettel blickte zurück. Ihr Skizzenblock fehlte.

»Finde die Schwarze Katze«

Sie ließ den Schubladenknauf los und starrte den Zettel an. Das war ein sehr schlechter Streich, oder?

Neben den Krähen war die Schwarze Katze das unheilvollste Omen, das es gab!

»Der Silbermond möge Euch hold sein, Füchsin Jeanne«, begrüßte Bastien sie zum Frühstück. Auch er hielt einen Zettel vor sich, den er während des Essens begutachtete. »Obwohl ich langsam glaube, letzte Nacht war der Mond doch dunkel. Irgendwer hat meine Schachfiguren entwendet und mir eine Botschaft hinterlassen. ›Ein Rückgrat stärker als Hartholz‹. War das wieder der Druide?«

»Sieht so aus.« Die rot-goldene Phönixbrosche auf Tjelvars Brust fehlte ebenfalls. »›Der Gärtner des Todes sät die Samen des Lebens‹ und ›Wo Wildheit das Grün erküsst, erst'res seinen Namen einbüßt, entsteht durch diesen Kuss ein Landszusammenschluss‹. Alistair hatte die Eignungstests in Xandria immer geliebt.«

ScherbenweltWhere stories live. Discover now