Kapitel 64

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Ich konnte nicht anders als an all die Momente denken, wo ich mich selber gesehen hatte.

In Bildern, wo das Mädchen mit den braunen Haaren und braunen Augen älter geworden und aufgewachsen war. Dann an den Momenten vor den Spiegel, wo ich konzentriert meine Kleidung und mein Aussehen betrachtet hatte. Es war mir schwergefallen, an den Dingen vorbei zu sehen. Ich sah die Person hinter der Kleidung, der Frisur und der Schminke nicht. Wieso denn auch?

Ich hatte mich an mein Aussehen gewöhnt und wusste, dass es sich niemals ändern würde. Es hatte mich nicht gestört, so ein gewöhnliches Aussehen zu haben. Aber wie war mir die Veränderung dann nicht aufgefallen? Mein Haar war mit jedem Tag bei den Luftigen blasser geworden. Anfangs war es mir noch aufgefallen, doch irgendwann hatte ich einfach nicht mehr drauf geachtet. Meine Haut war heller geworden, doch das schrieb ich dem Training im Berg zu. Niemals hätte ich an einen anderen Grund gedacht.

Was war überhaupt der Grund für diese Veränderung? Warum hatten die Schatten überhaupt eine Zeichnung von mir an ihrer Wand, die schon Jahrzehnte alt schien? Fragend sah ich den Schatten an, der mich wieder so erwartungsvoll anstarrte. Da wurde es mir bewusst. Er wusste es bereits. Deswegen war keiner von ihnen besonders überrascht gewesen, als sie eine Frau mit Flügeln sahen. Die Schatten wussten, wer ich war, und deswegen hatten sie mir oder Ben noch nichts angetan. Sie hatten es sich irgendwie in den Kopf gesetzt, dass ich diese... Person an ihrer Wand war. Das erklärte aber immer noch nicht, was sie mit mir vorhatten.

„Warum?" Hauchte ich erstickt und räusperte mich sofort, denn ich wollte keinesfalls zugeben, wie sehr mich diese Zeichnung aus der Fassung brachte. Der Schatten lächelte und zeigte dabei seine weißen Zähne, die mit seiner grauen Haut übereinstimmten. „Ich wollte, dass du die Wahrheit kennst", sein Lächeln konnte mich nicht täuschen. Die Schatten waren Monster und diese Geschichte änderte nichts daran. Eigentlich war ich mir immer noch nicht sicher, ob die Schatten ihre Flügel von anderen Luftigen nahmen oder ob es bloß eine Gruselgeschichte war.

„Und was jetzt?" Das klang schon besser. Ben hatte neben mir noch nichts gesagt und obwohl ich mir verdammt viele Sorgen machte, wie viel er von dieser Geschichte glaubte, beschloss ich mich auf den Schatten zu konzentrieren. „Jetzt" begann, der Schatten erfreut, „beginnt dein neues Leben" mit fast glänzenden Augen schaute er mich an, doch ich konnte diesen aufgeregten Blick nicht erwidern. Wovon sprach er? Warum sollte diese Geschichte irgendwas ändern? „Mein neues Leben?" Soweit ich wusste, war das bereits vor einem Jahr begonnen, bei den Luftigen. „Du bist eine Tochter unseres Dorfes. Du gehörst hier her" er klang so sicher und überzeugt von dieser Aussage, dass ich für einen Moment nicht anders konnte, als ihn anzustarren.

Ich bekam aber nicht die Chance, meine Meinung zu äußern, denn Ben regte sich endlich. Mit einer flüssigen Bewegung griff er wieder nach meiner Hand und zog mich hinter ihn, während er sich beschützend zwischen mir und den Schatten stellte. „Sie ist ein Luftigen", sagte er eindrücklich. Wurde das jemals angezweifelt? Der Schatten verlor sein Lächeln nur ein kleines Stück, was mich sofort unruhig machte. „Das ist sie ganz sicher nicht mein Junge. Luftigen werden als solche geboren, aber Alice ist wie ein Mensch geboren" Ben schnaubte spottend. „Es tut nichts zur Sache, was sie war, jetzt ist sie ein Luftigen." Ich konnte keinen einzigen Zweifel heraushören, doch trotzdem besorgte es mir einen Schauer. Ben sprach so, als hätte er irgendwas zu beweisen, aber es war nur eine Geschichte und nur weil irgendein Schatten das an eine Wand klatscht, machte es das nicht zur Wahrheit.

„Ihre Mutter war ein Schatten, auch wenn sie sich gegen ihr Schicksal gewehrt hat. Ihr Blut ist wie unseres" bestimmend zeigte er auf die Zeichnung. „Das sollte zeigen, dass sie nicht in eure Clans gehört" aufgebracht machte Ben einen Schritt auf den Schatten zu. Sie waren beide ungefähr gleich groß, was den Starr-Wettbewerb noch schlimmer machte. Das freundliche Lächeln des Schattens war jetzt auch völlig verschwunden und er starrte Ben finster nieder. „Hast du auch nur irgendwas, um diese Theorie zu beweisen?" Das wollte ich eigentlich wissen, immerhin konnte der Schatten nicht verlangen, das ich es einfach glaubte ohne irgendwelche Beweise.

LUFTIGEN - becoming a warriorWhere stories live. Discover now