Kapitel 43

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Jede Person. Ob nun mit oder ohne Flügel hatte seine Ängste. Als Mensch hatte ich viele gehabt, die auch nicht unüblich waren. Ich hatte zum Beispiel Angst davor, alleine oder nicht gut genug zu sein und nicht dazu zu gehören. Meine Ängste haben früher meinen Alltag bestimmt. Ich wachte auf und vermisste es, mit jemanden zu frühstücken. Ich ging zur Arbeit und wollte doch alles richtig machen. Ich sah meine Eltern und wurde vorgeworfen, nicht normal zu sein. Diese Dinge haben einfach dazu gehört, wie es bei jeden Menschen ist.

Als Luftigen dachte ich, diese Ängste legen sich. Immerhin war ich nicht mehr alleine und gehörte dazu. Doch natürlich kamen neue Ängste. Die Angst, von einem Schatten umgebracht oder von Luftigen angegriffen zu werden und ironischerweise die Angst von den Menschen entdeckt zu werden. Ein Mensch würde mich zwar nicht brutal abschlachten, aber ich könnte meine gesamte Rasse gefährden, sollten die Menschen wissen, dass es uns gibt.

Das Gefährlichste war ihre Eigenschaft, Informationen zu speichern und es mit den anderen sieben Milliarden Menschen zu teilen. Doch was mir wirklich angst machte, war, dass wenn mich ein Mensch sehen würde, wäre ich gezwungen, ihn zum Stillschweigen zu bringen. Und das meinte ich nicht auf die unschuldige Weise. Ich müsste diese Person das Leben nehmen und konnte mir dabei nicht einmal erlauben zu zögern.

Dieser Gedanke steckte in meinen Kopf fest, als ich angespannt die Quelle meiner Angst dabei zusah, wie sie durch den Wald lief. Es war ein Mann rund die fünfzig, der mit einer Waffe den Wald durchquerte. Er stellte technisch gesehen für mich keine Gefahr dar. Er schien ein einfacher Wanderer zu sein, der es nicht geschafft hatte, vor den Regen ins Trockene zu kommen. Wenn es nötig sein würde, obwohl er viel größer und muskulöser als ich war, konnte ich ihn einfach überwältigen.

Das musste aber nur geschehen, wenn er mich hinter diesen Strauch entdeckte. Ich konnte nur hoffen, dass er nicht in meine Richtung sehen würde, denn die Blätter verdeckten mich nur teilweise und meine Flügel waren auch viel zu hell, um übersehen zu werden. Ich sollte sie mir vielleicht mal färben. Es wurde langsam echt nervig, wie ich wegen der hellen Farbe so schnell entdeckt wurde.

Ich könnte versuchen, einfach nach hinten zu laufen und mich irgendwo zu verstecken, um von der Stelle die anderen Luftigen zu warnen, doch der Mensch war nur einige Meter von mir entfernt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er mich sehen würde, sobald ich mich bewegen würde, war viel zu groß, um es zu riskieren. Das Einzige, was ich machen konnte, war so leise und bewegungslos zu bleiben, wie es mir möglich war.

Der Mensch war jetzt direkt vor mir und hätte ich meinen Dolch noch, könnte ich ihn so einfach töten, dass ich mich einmal wirklich dafür bewegen müsste. Mein Dolch!  Von hier konnte ich den toten Hasen noch sehen, in den mein Dolch steckte. Leider konnte der Mensch das auch, denn er hielt inne. Er war mir jetzt so nah, dass ich sein Gesicht sehen konnte. Er war älter als ich gedacht hatte und tiefe Falten durchzogen sein sonnengebräuntes Gesicht. Dieser Mann hatte ein langes Leben hinter sich. Hatte bestimmt eine Frau, Kinder und schon Enkelkinder. Wenn ich diesen Menschen also töten würde, täte ich nicht nur einen einzigen etwas Schreckliches an.

Das Glück schien aber nicht auf meiner Seite zu sein, denn der Mann lief auf den toten Hasen zu und hockte sich daneben. Ich war in diesen Moment unendlich dankbar, dass mein Dolch keine auffälligen Verzierungen hatte, wie es manche Luftigen bevorzugten. Als ich den Dolch vor einem Jahr in einen Wald fand, war ich einfach nur froh gewesen, überhaupt eine Waffe zu haben.

Den gleichen Gedanken schien der Mann auch zu haben, als er den Dolch aus dem Tier zog und mit einer Hand an den Körper legte, um zu prüfen, wie lange er schon tot war. Verdammte Scheiße. Jetzt wusste der Mensch, dass hier in der Nähe jemand war und dabei auch noch mit Dolchen jagte, was für Menschen nicht gerade üblich war. Obwohl er mir den Rücken zugekehrt hatte und ich die Chance hatte, unbemerkt abzuhauen, sträubte sich alles in mir, meinen Dolch dort zu lassen.

LUFTIGEN - becoming a warriorTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon