Kapitel 10

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Es herrschte eine angenehme Stille zwischen Will und mir, als wir wieder nach unten flogen. Unten angekommen wandte ich mich ihn wieder zu. „Danke Will. Das war wirklich toll", bedankte ich mich und schenkte ihn ein Lächeln, was er erwiderte. „Habe ich gerne gemacht. Wenn du mal etwas brauchst oder einfach nur Langweile hast, kannst du dich immer an mich wenden". Ich nickte lächelnd und begann dabei so langsam bestimmt bescheuert auszusehen. Er hob noch einmal grinsend die Hand zum Abschied, schlug seine schönen Flügel auf und flog zu den Schlafsälen der anderen Luftigen. Ich erwiderte die Bewegung und stand einige Sekunden so da, während ich ihn nachschaute.

Jetzt war ich wieder alleine. Seufzend machte ich kehrt und betrat den Flur, der zu meinem Zimmer führte.

Gerade dann viel mir ein, dass ich eigentlich noch zu Leon wollte, um ihn wegen der komischen Narbe zu fragen. Ach, morgen war auch noch ein Tag.

Im Gegensatz zu den anderen Gängen im Berg war der, der zu meinem Zimmer führte, wie ausgestorben. Hier waren die Gästezimmer und demnach zu urteilen, bekamen die Luftigen nicht sehr viele Besucher. Munter summte ich die Melodie von einer Barbie Werbung, die ich einfach nicht aus meinem Kopf bekam und dachte darüber, was ich morgen machen könnte. Diese Erkenntnis ließ mich kurz innehalten. Morgen...

Die zwei Tage waren vorbei und morgen muss ich die Entscheidung treffen, was ich mache. War ich wirklich bereit, mein Leben, meine Familie einfach so im Stich zu lassen?

„Wo warst du?!" Brüllte eine laute Stimme mich plötzlich an. Ich zuckte heftig zusammen und verkrampfte mir dabei fast meinen Nacken. Der Flügel-Mann Ben kam wütend auf mich zu. Seine ganze Haltung war angespannt und auch seine Flügel waren ganz aufgeplustert, ein wenig wie ein wütendes Huhn. Ich kicherte leise, als ich mir vorstellte, wie er wohl mit einem Schnabel aussah. Für ihn war das wohl der letzte Tropfen, denn er griff aggressiv nach meinen Arm und schüttelte mich einmal durch.

„Hey!" Ich entriss meinen Arm aus seinen Klammergriff und strich über die schmerzende Stelle. Das würde noch ein blauer Fleck geben. Ben kümmerte das aber gar nicht und er brüllte einfach weiter. „Ich habe dir gesagt, du darfst den Berg nicht verlassen! Hast du irgendeine Ahnung, wie viel Ärger ich bekomme, wenn du einfach abhaust?!" Schnaubend trat ich noch einen Schritt zurück. Nicht weil ich Angst hatte, sondern weil ich nicht angespuckt werden wollte. 

„Ich bin überhaupt nicht abgehauen! Ich war die ganze Zeit im Berg." Das Temperament meiner Mutter kam langsam auch raus. Normalerweise war ich eine sehr ruhige Person und hob nur selten meine Stimme, aber der Typ machte es mir echt nicht einfach!

„Ach ja? Und wo warst du dann? Ich habe jede einzelne Höhle im Berg durchsucht!" „Dann hast du wohl nicht in jede Höhle gesucht, ich war nämlich bei den Kindern" zischte ich wütend. Plötzlich änderte sich sein ganzes Gesicht, seine Augen wurden so dunkel, dass sie fast schwarz wirkten und mit zusammengepressten Lippen trat er ganz nah an mich heran. Ich stieß gegen die Wand und riss meine Augen auf. Jetzt machte er mir angst.

„Was hattest du bei den Kindern zu suchen?" Knurrte er leise. Ich versuchte meine Hände gegen ihn zu stemmen, aber er bewegte sich kein Millimeter. „Will hat mich hingeführt und wir haben nur mit ihnen gequatscht, wirklich" langsam bekam ich wirklich Panik. Ich war es nicht gewöhnt, dass mir jemand so nahe kam oder mich so offen drohte. Meine Antwort schien ihn jedoch zu besänftigen und trat, Gott sei Dank wieder nach hinten. Ich stieß meinen Atem aus. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich die Luft angehalten hatte.

Ben ergriff wieder das Wort. „Ich habe mit Leon gesprochen und er hatte keine Ahnung von einer Narbe auf deinen Bauch". Ich nickte nur immer noch etwas außer Atem. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab, aber erst nachdem ich seinen Flügelschlag hörte, zwang ich mich zu bewegen. Ich landete mit einem Plumps in meinem weichen Bett, konnte aber nicht einschlafen.

LUFTIGEN - becoming a warriorWhere stories live. Discover now