35. „Du bist definitiv alles andere als ein x-beliebiges Mädchen."

10.4K 258 28
                                    

Es konnte doch nicht wahr sein, dass ich diese Definition absolut nicht verstand. Angestrengt starrte ich auf den Bildschirm meines Laptops, auf dem die Folien der heutigen Vorlesung zu sehen waren, als würden sie sich dadurch magisch in mein Gehirn einbrennen. Ich starrte die Folie bestimmt schon eine Viertelstunde an. Seitdem ich mich mit meinem Essen an einen Außentisch der Mensa gesetzt hatte, um Mittag zu essen — eigentlich. Der ursprüngliche Plan war es die Folien nebenbei durchzuarbeiten und zu wiederholen. Ich dachte doch tatsächlich das würde schnell gehen. Tja, da lag ich wohl meilenweit daneben. Statt einer einleuchtenden Erkenntnis bekam ich lediglich tiefe Furchen, die meine Stirn durchzogen.

Langsam, aber sicher, erwuchs ein regelrechter Hass gegen diese Vorlesung. War ich wirklich so dämlich? Oder war die Definition einfach unfassbar unverständlich und abstrakt?

„Na, wen sehen meine Augen denn da? Ist das wirklich Lou oder nur irgendeine Fata Morgana?"

Erschrocken zuckte ich zusammen, bevor ich mich über die Schulter drehte, um nachzusehen, wem dieser Humor angehörte. Auch, wenn ich es mir bereits denken konnte.

„Witzbold.", kommentierte ich Drews Grinsen, welches sich deutlich auf seinem Gesicht abzeichnete, während er so tat als würde er die Augen zusammenkneifen müssen, um mich zu erspähen.

An meinem Tisch angekommen, ließ sich Drew gegenüber von mir nieder und stellte zeitgleich sein vollgeladenes Tablett ab: „Explodiere nicht gleich vor Freude. Es ist auch schön dich zu sehen.", spitzbübisch ragten seine Mundwinkel nach oben, ehe er sich eine Weintraube in den Mund steckte.

„Tschuldigung.", atmete ich schwer aus: „Ich bin nur etwas gestresst."

„Unikram?", mutmaßte Drew.

Nickend bestätigte ich: „Unikram.", anschließend klappte ich meinen Laptop zu. Ich hatte beschlossen, dass ich mich für jetzt ausreichend gequält hatte. Später hätte ich noch genug Zeit, um masochistisch zu werden: „Aber egal. Sprechen wir nicht darüber. Geht schon wieder.", rang ich mir ein Lächeln ab. Ehrlicherweise kam mir Drews Anwesenheit gerade recht. So hatte ich einen Grund, um mit Lernen aufzuhören, der nicht unbedingt mit ‚aufgeben' gleichzusetzen war.

„Muss an meiner Anwesenheit liegen.", schlussfolgerte Drew.

Schmunzelnd antwortete ich: „Ganz bestimmt, du Stimmungskanone."

„Aber schön, dass ich dich mal wieder treffe. Wir haben uns eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen.", fuhr Drew fort.

„Es waren ja auch Feiertage. Keiner von uns beiden war an der Uni, da kann man sich schon mal nicht über den Weg laufen.", erwiderte ich belustigt.

„Da könntest du recht haben.", stimmte er mir keck zu, als hätte ich eine bahnbrechende Erkenntnis gehabt: „Und wie waren die Feiertage so? Was hast du gemacht? Du warst in der Heimat, oder?", Drew biss genüsslich in seinen Cheesburger.

Wusste er darüber Bescheid, dass Nate die Feiertage bei mir verbracht hatte? Hatte Nate ihm davon erzählt? Oder war es schlichtweg nicht zur Sprache gekommen? Sollte ich es Drew erzählen?

Wollte ich überhaupt, dass jemand von der Sache zwischen Nate und mir wusste? Abgesehen von Chiara natürlich. Irgendwie war es auch ganz schön, dass die Sache mit Nate eine Art Geheimnis war, die ihm und mir gehörte. Zumindest noch.
So war ich auch nicht gezwungen diese Anziehung näher zu definieren. Nate dementsprechend auch nicht.

Das Geheimnis schaffte einen Raum, der nur uns gehörte. Und das fühlte sich irgendwie... nun ja... richtig gut an.

Also beschloss ich das Geheimnis weiterhin zu bewahren: „Ja, genau. Ich war in Glennwood, bei meiner Familie. Es war ziemlich ruhig, aber vor der Prüfungsphase habe ich das auch gebraucht."

AttractionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt