Fünfundvierzigstes Kapitel

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Freitag – 22. Oktober

Als wäre der Tag nicht schon beschissen genug, entdeckte ich auf dem Hof Kay, die gerade mit Johanna sprach. Ich hatte ganz vergessen, dass sie beim Turnier antrat. Das Mädchen entdeckte mich, nickte mir einmal zu und verschwand dann im Stall.

Ich glaube das war die netteste Begrüßung, die ich jemals von ihr erhalten hatte. Nachdenklich kippte ich das dreckige Wasser in das Waschbecken und sah zu, wie es ablief. Ich wusch mit klarem Wasser den Eimer aus und stellte ihn schließlich wieder in den Hauswirtschaftsraum. Ich beobachtete, wie zwei Essenstände vor dem Hof parkten.

Die meinten das ganze hier wohl ziemlich ernst. Theo kam herein und spülte ebenfalls seinen Eimer aus. Wir schwiegen einige Zeit und ich war gerade drauf und dran den Raum zu verlassen, als er das Wort ergriff.

>> Du spielst Geige? << fragte er interessiert. Er spielte wohl auf meinen Geigenkoffer an, den ich gestern mitgebracht hatte. Ich hatte ehrlich gesagt nicht Mal eine Ahnung wieso überhaupt. Die Zeit war eh zu begrenzt als das ich es schaffen würde jetzt Geige zu spielen.

>> Hmm << brummte ich nur zustimmend. Er fuhr sich durch die Haare und lief auf die Treppe zu, bevor er mir einen prüfenden Blick zu warf.

>> Kommst du? << hakte er nach. Ich runzelte die Stirn, folgte ihm aber dann die Treppe hinauf. Er bog in eine Tür ab und mir sprang ein Klavier entgegen. Es war aus schwarzem Holz und an den Wänden hingen unterschiedliche Notenblätter.

>> Hier habe ich damals die hälfte des Tages verbracht << lachte er leise und nahm eine Gitarre in die Hand, die an der Wand lehnte.

>> Ich wusste nicht das du spielst << meinte er beeindruckt.

>> Zuletzt mit dreizehn << bestätigte ich ihm und lief langsam einige Runden im Raum, um mir die Notenblätter genaustens anzusehen.

>> Das hat mich motiviert. Ich habe zuletzt gespielt, bevor ich studieren gegangen bin. Ich denke, ich werde die mit nach Hause nehmen << meinte er lächelnd und hob die Gitarre in die Luft. Ich nickte stumm, bevor er sich an das Klavier setzte.

>> Lieblingslied mit der Geige? << fragte er interessiert und drückte auf einigen Tasten herum.

>> Faded << meinte ich wie aus der Pistole geschossen. Das war eins der Lieder, das ich am schnellsten gelernt hatte. Theo fing an die ersten Töne des besagten Liedes zu spielen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und hörte aufmerksam zu. Ungefähr bei der hälfte verließ ich den Raum, kramte meine Geige hervor und kam zurück.

Ich atmete schwer. Das Gefühl, dass ich Theo dadurch noch mehr in mein Leben ließ, schien mich zu erdrücken. Er wusste so gut wie alles von mir, obwohl ich das nicht wollte. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe, bevor ich die Geige an mein Kinn setzte und mit einstieg.

Ich konnte Theos grinsen sehen, obwohl ich hinter ihm stand. Er bewegte langsam seinen Oberkörper zur Musik, fühlte die Töne und seine Finger wanderten wie von allein über die Tasten. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf das Lied und wiegte dabei sanft hin und her.

>> Du spielst unglaublich << hauchte er am Ende. Ich lächelte sanft und ließ die Geige sinken.

>> Du auch << gab ich zurück und wippte auf meinen Füßen nervös vor und zurück. Ich konnte noch so selbstbewusst sein. Vor jemanden Geige zu spielen, machte mich immer unheimlich nervös.

>> Ein schnelleres Lied? << fragte er interessiert. Ich dachte kurz nach, bis mir eins einfiel, auf das ich gerade ziemlich Lust hatte.

>> Wie wäre es mit Radioactive? Kannst du das? << hakte ich interessiert nach und setzte die Geige bereits an, während ich ihm ein herausforderndes Lächeln schenkte. Er ließ einmal seine Finger knacken und schnaufte auf.

>> Was für eine Frage << protestierte er, setzte die Finger an und wir fingen an zu spielen. Das Ganze war nicht so ruhig wie zuvor. Ich schwang den Bogen über die Saiten, meine Finger bewegten sich geschickt, ebenso wie Theos. Er flog über die Tastatur, bewegte seinen Oberkörper, bevor ich meine Augen schloss und mich erneut einfach der Musik hingab.

Nach dem Stück öffnete ich außer Atem die Augen. Wir harmonierten gut. Viel zu gut.

>> Das war klasse << lobte Johanna uns, die plötzlich im Türrahmen stand. Erschrocken fuhr ich zusammen und ich sah, dass auch Theo nicht mit ihr gerechnet hatte.

>> Könnt ihr noch mehr? Ich würde ja sagen, ihr solltet morgen während der Pausen zusammen auf dem Hof spielen. Ich richte euch eine kleine Plattform ein << meinte sie begeistert, klatschte einmal in die Hände und verschwand schon wieder. Ich wollte gerade einschreiten, da ich mich niemals trauen würde vor fremden Menschen zu spielen, aber da war sie schon weg.

>> Scheiße << murmelte ich frustriert und sah zu Theo.

>> Wenn du das nicht willst, dann sagen wir es ihr. Aber wovor hast du Angst, du bist hervorragend << lobte er mich erneut. Ich zuckte mit den Schultern.

>> Altes Trauma würde ich sagen << sprach ich ruhig und packte meine Geige wieder weg.

>> Wenigstens ein Lied Tabitha. Meinet wegen Faded, das kannst du doch im schlaf << bat er mich. Ich brachte den Koffer in mein Gästezimmer und atmete schwer aus.

>> Ich überlege es mir << seufzte ich nur halb überzeugt. Er ergriff mein Handgelenk und drehte mich zu sich.

>> Lass dir niemals einreden, dass du schlechter wärst als du eigentlich bist. Du kannst stolz auf dich sein und auf alles, was du bereits erreicht hast << sagte er. Unsere Gesichter waren sich wieder verdächtig nah. Seine Hände umgriffen mein Gesicht, streichelten mit dem Daumen über meine Wange.

Langsam neigte er sich hinunter und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Auf die Stirn.

>> Okay << meinte ich nur, damit ich mich von ihm lösen konnte. Für mich war das ein Versprechen, ein Zeichen, dass er mich beschützen würde. Das hatte er nicht zu tun, während Melinda zuhause saß. Hektisch stieg ich die Treppenstufen herunter und riss die Haustür auf, um hinauszugehen.

Die Sonne strahlte mir entgegen, es waren bestimmt dreiundzwanzig Grad. Nicht unüblich im Oktober für San Diego. Ich entdeckte zwei Männer, die gerade mit Kreide einen Kreis auf den Boden malte. Johanna stand daneben, wiegte Elodie, zeigte immer mal wieder auf den Boden und sprach dabei etwas.

Einer der beiden Männer hielt ein Tuch in Flieder Farbe hoch, in der der gesamte Hof bereits dekoriert war. Johanna nickte begeistert und ging dann zu mir herüber.

>> Dort bauen wir eine Holzerhöhung hin. Drum herum binden wir Fliederfarbendes Tuch und darauf kommt dann das Klavier von Theo und du kannst direkt daneben stehen << erklärte sie mir stolz. Das ging schnell, sie schien mehr als begeistert zu sein.

>> Das wird ganz großartig. Die Leute werden ausflippen << schnaufte sie außer Atem. So viel Stress nur ein paar Wochen nach der Geburt.

>> Oh ich weiß nicht so recht << meinte ich zweifelnd. Irritiert drehte sie den Kopf zu mir und legte denn einen Arm um mich.

>> Tabitha, sei nicht immer so streng zu dir selbst. Du hast mehr Talente als du denkst << sprach sie. Gerührt ließ ich mich sanft von ihr umarmen. Ich wünschte meine Mutter hätte das mal zu mir gesagt. Gerade als ich was erwidern wollte, kam Carla auf uns zu gerannt.

>> Mama! Schnell! << schrie sie aufgelöst. Ich spürte, wie bei Johanna alle Alarmglocken angingen und streckte automatisch die Arme aus, damit sie mir Elodie geben konnte. Ohne zu zögern, tat sie dies und rannte dann hinter Carla her.

Ich wippte das Baby sanft in meinen Armen und lief den beiden langsam hinterher. Gerade als ich um die Ecke bog, entdeckte ich Kay, die auf dem Rücken am Boden lag. Sie drückte ihre Hände ins Gesicht und raufte sich schließlich die Haare.

Sie war bei Bewusstsein. Gott sei Dank. Ich beschleunigte meine Schritte und lief durch das Holztor. Einer der Maler tippte bereits auf dem Handy herum und hielt es danach ans Ohr. Leo drückte sanft auf ihrem rechten Bein herum, sodass sie frustriert aufschrie.

Das sah alles andere als gut aus.

𝐄𝐱𝐩𝐞𝐜𝐭𝐚𝐭𝐢𝐨𝐧𝐬Where stories live. Discover now