Dreißigstes Kapitel

914 44 0
                                    

Freitag - 08. Oktober

Ich befand mich gerade mit Vila in der Cafeteria, wo ich mir einen Donut kaufte. Aus irgendeinem Grund hatte ich da schon seit der letzten Vorlesung so Lust drauf, dass ich nun umso glücklicher war, als ich ihn endlich hatte und essen konnte.

Heute trug ich tatsächlich eine schwarze Feinstrumpfhose mit einem schwarzen Pulloverkleid, das zu meiner Verwunderung hoch geschnitten war. Dazu trug ich einen Gürtel um meine Taille und die High Heels von Theo, die bis jetzt ziemlich für Aufmerksamkeit und neidische Blicke gesorgt hatten.

Heute Morgen war ich nicht in der Laune meine Knutschflecke an die große Glocke zu hängen, weshalb es dieses Outfit geworden war. Die Müdigkeit übermannte mich immer noch, jedoch war sie wie weggeblasen, als ich Theo entdeckte. Er lief wie immer mit diesem anderen jungen Mann durch die Gegend und wenn man ihn so betrachtete, konnte man sich nicht ausmalen, was er gestern noch getrieben hatte.

Die große Brille auf seiner Nase und die leicht zerstreuten Haare ließen ihn wie ein unschuldiges Lamm wirken. Er trug wie immer eine schwarze Jeans mit einem Karohemd und dazu die braune Umhängetasche.

Sein Blick glitt durch die Cafeteria und fiel schließlich auf mich. Er setzte ein schiefes grinsen auf, was mich völlig um den Verstand brachte. Am liebsten würde ich jetzt hier auf der Stelle über ihn herfallen.

>> Tabitha du musst los << wies mich Vila auf die Uhrzeit hin. Sie hatte Recht. Ich wehrte mich noch ein wenig, bedankte mich dann aber bei ihr und machte mich auf den Weg zu meiner Mutter. Bis zu ihrer Wohnung konnte ich zu Fuß gehen, da sie nur einige Straßen vom Campus entfernt lag.

Nach zwanzig Minuten hatte ich den Wohnblock erreicht. Schwer atmend suchte ich nach dem richtigen Klingelschild und drückte schließlich den kleinen Knopf ein. Ganz ruhig bleiben, sie wird dich schon nicht umbringen oder zwingen wieder bei ihr zu wohnen.

Die Tür summte auf, sodass ich hineintreten konnte. Ich lief einfach die Treppen hinauf, bis ich eine Frau in einem Türrahmen entdeckte. Mum.

Sie hatte ebenso Kastanienbraune Haare wie ich, jedoch keine Petrolblauen Augen, sondern Grasgrüne. Die Haare reichten ihr bis zu ihrer Schulter und die beiden Strähnen zum Gesicht hatte sie mit einer kleinen Spange nach hinten geklemmt. Diese Frisur trug sie in Polen immer, wenn sie mich morgens zur Schule brachte oder am Kochen war. Mein Herz zog sich schmerzerfüllt zusammen.

Ihr Körper bestand größtenteils aus Knochen und kaum überschüssige Haut, sowie ihr Gesicht, das für ihr Alter viele Falten hatte und ebenfalls abgemagert aussah. Was Alkohol mit einem Menschen anstellte.

>> Oh Tabby mein Liebling ich freu mich so sehr dich zu sehen. Alles gute Nachträglich zu deinem Geburtstag << begrüßte sie mich freudig und breitete ihre Arme aus. Widerwillig ließ ich mich von ihr umarmen. Es fühlte sich nicht an wie früher. Ich berührte eine für mich vollkommen normale Frau. Keine Gefühle von Mutter Tochter Bündniss. Nichts.

>> Danke << erwiderte ich nur halb überzeugte und strich mein Pulloverkleid glatt, nachdem sie mich wieder los gelassen hatte.

>> Komm rein. Es ist noch alles etwas provisorisch, aber wenn ich meinen nächsten Lohn bekomme, kann ich mir die restlichen Möbel besorgen << erklärte sie voller Vorfreude. Ich sah mich um. Hing meine Tasche an einen Kleiderhaken neben der Tür und streifte meine High Heels ab, die ich unter die Jacken stellte.

>> Lass mich dich rumführen << sprach meine Mutter und klatschte einmal begeistert in die Hände. In meiner Strumpfhose schlurfte ich über den hellen Parkettboden im Flur. Zu meiner rechten zeigte sie mir das Badezimmer. Die gesamte Wohnung war sehr hell und ordentlich. Es roch nicht nach Rauch oder anderen unangenehmen Gerüchen. Lavendel. Es roch tatsächlich nach Lavendel.

𝐄𝐱𝐩𝐞𝐜𝐭𝐚𝐭𝐢𝐨𝐧𝐬Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt