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Frustriert lief Robert Richtung Annalenas Haus. Er war immerhin noch in Potsdam und sie wohnte nur um die Ecke. Er brauchte jemanden, mit dem er reden konnte. Nachdem, was Christian ihm da an den Kopf geworfen hatte. Er konnte es noch nicht wirklich fassen. Warum musste es immer so schnell zwischen ihnen eskalieren? Manchmal, da verstand er Christian einfach nicht. Waren sie vielleicht doch unterschiedlicher, als sie gedacht hatten?

Er musste kurz durchatmen, bevor er auf die Klingel drückte. Er hoffte einfach, dass sie da war und kurz Zeit für ihn hatte. Sonst wüsste Robert auch wirklich nicht weiter. Und nach einigen Sekunden konnte er eine verblüffte Annalena vor ihm stehen sehen.

"Robert, was machst du denn hier? Habe ich irgendwas verpasst? Hatten wir nicht heute Mittag alles geklärt?"

"Doch doch, ich wusste einfach nur gerade nicht, zu wem ich soll. Wir hatten Streit und ich brauche dringend jemanden, mit dem ich reden kann. Aber ist es gerade unpassend? Dann fahre ich wieder."

Annalena war nach wie vor verwundert. Mit Robert hatte sie jetzt so gar nicht gerechnet. Und was war da nur schon wieder bei ihm und Christian passiert?

"Nein, alles gut. Daniel und die Mädchen sind gerade eh noch unterwegs, also hab ich alle Zeit der Welt. Also komm rein. Das hört sich ja gar nicht gut an."

Sie setzen sich in das Wohnzimmer, in dem beide schon so einige Stunden zusammen verbracht hatten. Robert war oft hier gewesen, denn er verstand sich auch wirklich gut mit Daniel, Annalenas Mann.

"Es ist so, heute Morgen bin ich im Reichstag zu Christian ins Büro gegangen und dann kam Marco, der gesehen hat wie wir uns geküsst haben, weil wir vergessen hatten, die Tür abzuschließen. Natürlich total dumm von uns. Darüber ist dann ein Streit herein gebrochen, weil ich der Meinung bin, dass wir vorsichtiger sein müssen und uns nicht mehr in unseren Büros treffen sollten. Das sieht er ganz anders und dann war ich jetzt gerade nochmal bei ihm, damit wir uns aussprechen. Dann habe ich vorgeschlagen, dass wir demnächst mal zwei Tage wegfahren könnten, um ihn ein wenig zu besänftigen. Dann ist er fast ausgerastet und hat mir vorgeworfen keine Lösung finden zu wollen, was absoluter Quatsch ist. Und wäre das nicht alles schon genug, hat er das dann auch noch darauf geschoben, weil ich Grüner bin. Ich verstehe es nicht."

Verwirrt schaute Annalena ihn an. Robert wirkte wirklich etwas verzweifelt. Und sie konnte es nachvollziehen. Das, was Christian gesagt hatte, hörte sich wirklich nicht logisch an.

"Okay wow, das hört sich alles andere als gut an. Und das geht natürlich gar nicht, dass er dir so etwas vorwirft. Aber ich verstehe es schon, wenn du das nicht möchtest, dass ihr euch noch in den Büros trefft. Ich bin ja auch nach wie vor der Ansicht, dass ihr verdammt aufpassen müsst. Vielleicht musst du ihm das nochmal so deutlich machen, was sonst passieren würde. Auch wenn er das wahrscheinlich selber weiß."

"Ja natürlich weiß er das. Und deshalb verstehe ich auch wirklich nicht, wie er meine Meinung dazu nicht versteht. Ich verstehe den Mann wirklich nicht."

"Aber kann es sein, dass er vielleicht ganz generell Schwierigkeiten mit eurem Umgang mit der Beziehung hat? Also, dass ihr euch so sehr zurück halten müsst. Weil dann müsst ihr wirklich eine Lösung finden. Sonst wird Christian das sicherlich nicht mehr allzu lange mitmachen können."

"Ja, ich merke das ja. Aber ich habe doch auch keine Lösung dafür. Es gibt doch ehrlich gesagt keine Lösung. Wenn man das ganze durchspielt, würde unsere Beziehung irgendwie öffentlich, dann endet es doch damit, dass wir der Koalition schaden, unseren Parteien schaden und unsere Karrieren aufgeben müssen. Und ich bezweifel stark, dass wir das aushalten könnten. Ich könnte es nicht. Deshalb verstehe ich Christian nicht. Er weiß doch genau, was auf dem Spiel steht. Und er muss sich entscheiden, was er will."

"Vielleicht musst du dich auch entscheiden, was du willst...", überlegte Annalena nachdenklich. Irritiert schaute Robert zu ihr.

"Wie meinst du das?"

"Naja, es ist doch bei dir genauso die Frage, was du machen würdest, wenn es hart auf hart kommt. Und daraus musst du dann doch deine Schlüsse ziehen, wie ihr jetzt weiter machen könnt. Wenn du es dir für dich klar machst, dass es für dich keine Option gibt, wenn es an die Öffentlichkeit kommt, dann müsst ihr auch dementsprechend handeln. Und dann musst du auch dementsprechend Entscheidungen treffen, unabhängig davon, was Christian sagt. Auch wenn das dann vielleicht Konsequenzen hätte. Also ich denke du solltest dir wirklich darüber klar werden, was du riskieren willst, wie weit du gehen willst, welche Konsequenzen du tragen kannst und was das dann bedeutet."

Robert schaute sie nachdenklich an. Annalena hatte Recht. Er musste endlich seine Gedanken ausformulieren und sich klar machen, wie es aus seiner Sicht weiter gehen konnte. Sonst könnten Christian und er doch nicht glücklich werden.

"Danke Annalena. Du hast absolut Recht. Wir sehen uns Morgen und dann jammer ich dich definitiv nicht voll, versprochen."

Robert war schon aufgestanden und auf dem Weg zur Tür, als Annalena ihm noch hinterhef rief.

"Natürlich, es ist alles in Ordnung, dafür halte ich dann doch gerne mal her. Und Robert, ich hoffe trotzdem wirklich, dass ihr beide glücklich werdet."

Es schwirrten Tausend Gedanken in seinem Kopf, als Robert zurück Richtung Berlin fuhr. Sie drehten sich um Christian, um ihre Beziehung, ihre Zukunft und die Gedanken drehten sich immer schneller und schneller in einem Kreis. Ein Gedanke folgte auf den nächsten und alle endeten immer wieder gleich. Er liebt Christian. Dem war er sich bewusst. Und er würde so viel für ihn und ihre Beziehung tun. Aber er könnte es niemals verantworten, dass sie ihre Karrieren an den Nagel hängen müssten. Das würde er nicht schaffen. Und er war sich noch deutlich sicherer, dass es Christian noch weniger schaffen würde. Denn Christians Leben bestand doch hauptsächlich aus der Politik. Er war immerhin schon als Jugendlicher in seine Partei eingetreten, war so jung schon Abgeordneter im Landtag gewesen und hatte praktisch kein Leben ohne die Politik erlebt. Auch wenn er zwar in anderen Bereichen gearbeitet hatte, kannte er doch gar kein anderes Leben. Robert hingegen war so viele Jahre glücklich gewesen, auch ohne die Politik. Aber da hatte er auch eine glückliche Familie und insbesondere Andrea. Und einen Beruf, den er ebenfalls geliebt hat. Doch auch für ihn gab es keinen Weg mehr zurück in dieses Leben. Denn das gab es nur mit Andrea. Und momentan hatte er nicht die Vorstellung, in absehbarer Zeit mit der Politik aufhören zu wollen. Denn immerhin war er gerade erst Minister geworden. Und der Traum eines Tages Bundeskanzler zu werden, schlummerte doch noch immer irgendwo ganz tief in seinen Gedanken. Auch wenn er natürlich momentan keine Rolle spielte. Aber er wollte das Alles nicht aufgeben. Und er konnte auch nicht verantworten, dass Christian das aufgeben würde. Denn er wollte niemals der Grund dafür sein, dass Christian das wichtigste Element in seinem Leben aufgeben musste oder gar wollte.

Das alles wurde Robert so langsam klar. Es gab keine gemeinsame Lösung, wenn ihre Beziehung an die Öffentlichkeit kommen sollte. Dann mussten sie alles aufgeben. Und versuchen, ihr politisches Dasein zu retten. Denn sonst würden sie sich beide das niemals gegenseitig verzeihen können. Da war sich Robert ziemlich sicher. Sie könnten nicht ihre Identität zerstören, um zusammen sein zu können. Das war für Robert keine Option. Aber was hieß das für das Hier und Jetzt? Was hieß das für ihre Beziehung? Wie konnten sie weitermachen? Gab es überhaupt ein Weitermachen?

Der Abend ging in die Nacht über und Robert hing vor einigen Blättern Papier. Er musste seine Gedanken ordnen und sortieren und das konnte er am besten, indem er sie aufschrieb. Und so saß er Stunden an seinem kleinen Schreibtisch und machte kein Auge zu. Die Gedanken hielten ihn davon ab. Christian und ihre Zukunft hielten ihn wach.

Der ganze Lärm um uns Where stories live. Discover now