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Nervös atmete Robert aus, als er vor der Tür seiner Wohnung stand. Vor dem Haus hatte er schon Andreas Auto gesehen. Sie war also schon da. Obwohl es gar nicht so spät geworden war, wie er es zunächst erwartet hätte. Robert hatte keine Ahnung, wie er das Ganze angehen sollte. Er wusste es immer noch nicht. Wie sollte man seiner langjährigen Ehefrau auch beibringen, dass es keine Zukunft mehr gab? Dass die gemeinsame Zeit im Prinzip jetzt vorbei war? Nie hätte Robert gedacht, dass er sich mal in so einer Situation befinden würde.

Irgendwann musste er allerdings die Türe öffnen und die Wohnung betreten. Er konnte sofort sehen, dass Andrea am großen Tisch in der Küche saß. Er begrüßte sie abwartend und sie schaute ihn nur eindringlich an. Nervös und verunsichert setzte er sich ihr gegenüber. Am liebsten wäre Robert sofort wieder gefahren.

"Robert, wann wolltest du es mir sagen?"

Verwirrt schaute er sie an. Was wusste sie? Und woher?

"Wie, was meinst du?"

Andrea seufzte auf. Sie erkannte Robert nicht mehr wieder. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass er ihr so etwas antun würde. Er war wirklich der Letzte, dem sie das zugetraut hätte.

"Das fragst du noch? Ich dachte eigentlich, nachdem was du letztes Mal erzählt hast, könnte es nicht mehr schlimmer kommen. Aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich habe jetzt zwei Tage gebraucht, um wieder halbwegs klar denken zu können. Deshalb bin ich auch erst heute hier. Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr es mich verletzt hat."

Robert schaute sie nach wie vor verwirrt an. Er wusste nicht, wie er sich das erklären sollte, was sie ihm da sagte. Doch auch diese Verwirrung sollte nun beseitigt werden.

"Ich war da, Robert. Ich bin am Samstag zu unserer Hütte gefahren, weil ich dachte, dass wir so vielleicht wieder etwas zueinander finden könnten. Dass wir mal wieder Zeit miteinander verbringen und reden könnten. Aber als ich gesehen habe, dass nicht nur dein Auto dort stand, da war eigentlich Alles klar. Und dann habe ich euch gesehen. Wie ihr zusammen an den Strand gelaufen seid. Du und der Lindner. "

Ihre Stimme versagte und auch Robert befand sich in Schockstarre. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Er hätte sie doch bemerken müssen!

"Und dann ist mir alles klar geworden. Wieso du so komisch geworden bist. Warum du plötzlich so viele Dinge über einen Haufen geworfen hast. Und ich verstehe es absolut nicht. Wie konntest du es wagen, ihn mit in unsere Hütte zu nehmen? An den Ort, wo wir immer gemeinsam Zeit verbracht haben. Und dann fragst du mich auch noch, ob es in Ordnung ist, dass du da hinfährst. Und dann auch noch Christian Lindner. Warum hast du es mir nicht gesagt?"

Robert musste schlucken, besonders als er merkte, wie sehr es Andrea mitnahm. Sie war doch immer diejenige gewesen, die alles so stark aufgenommen hatte. Und er musste schlucken, als er realisierte, was sie da eigentlich gesagt hatte. Er musste das wieder richtig stellen.

"Es tut mir Leid, Andrea. Es tut mir unfassbar Leid. Es war wirklich nie der Plan, dass Christian auch dorthin kommen würde. Ich wollte eigentlich alleine dort sein und über alles nachdenken. Aber dann gab es ein Problem, was wir dringend klären mussten und es gab keine Möglichkeit, es anders zu klären. Also ist Christian dorthin gefahren und ja. Dann ist eins zum anderen gekommen. Ich wollte nicht, dass du uns siehst. Nie im Leben hätte ich das gewollt. Aber ja, jetzt weißt du, um wen es die ganze Zeit ging. Und ja, es war wahrscheinlich falsch, dass er dort war. Mir tut es so Leid. Aber ich denke, jetzt können wir wenigstens Klarheit schaffen. So schwer es auch gerade ist."

Verzweifelt schaute Robert zu Andrea. Sie war unfassbar verletzt. Und es tat ihm weh, das so zu sehen.

"Dann erkläre es mir endlich. Was ist alles passiert? Ist jetzt endgültig Schluss? Warum hast du überhaupt mit ihn weiter gemacht, wenn du mir gesagt hast, dass es ein Fehler war? Und wieso Christian Lindner?"

Tränen liefen ihr über die Wangen. Am liebsten wäre Robert aufgestanden und hätte sie in den Arm genommen. Aber das wäre wohl nicht förderlich gewesen. Das einzige, was er jetzt machen konnte, war die ganze Situation zu erklären. Und so schwer es ihm fiel, er musste das jetzt endlich tun. Und er erklärte Alles, begann ganz am Anfang und endete damit, was am Wochenende passiert war. Es fiel ihm schwer, aber es war auch befreiend.

"Und dann ist auch mir klar geworden, dass es nicht mehr geht. Dass es nicht fair ist, was ich mache. Und dass es nachdem, was ich gemacht habe, keine Chance mehr für uns gibt. Ich habe es kaputt gemacht. Ich habe alles kaputt gemacht. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Und Christian und ich... "

Dort versiegte seine Stimme. Er brachte es nicht übers Herz, Andrea zu erklären, dass sie beide es versuchen wollten. Dass er ihnen eine Chance geben wollte. Die Chance, die es für ihre Ehe nicht mehr gab.

"Ihr werdet es versuchen, oder? Du bist glücklich mit ihm. Sonst hättest du das Alles nicht getan. Ich kenne dich Robert, besser als jeden anderen Menschen."

Wie konnte sie nur noch so voller Empathie sein? Das war genau das, was Robert immer so sehr an ihr geschätzt und geliebt hatte. Nun konnte auch er sich nicht mehr zusammen reißen. Seine Emotionen übermannten ihn. Er konnte nicht mehr klar denken, so stark waren all die Gefühle. Er nickte einfach nur und schaute beschämt zur Seite. Jede Sekunde, die er Andrea in die Augen sah, war eine zu viel. Er hatte sie nicht mehr verdient und schon gar nicht ihre Empathie.

"Lass uns nochmal reden, wenn wir beide etwas Abstand haben. Ich werde nichts sagen, so sehr du, ihr mich auch verletzt habt. Ich liebe dich Robert und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das jemals ändern wird. Wie könnte ich dir dann Schaden zufügen?"

"Danke, Andrea. Tak for alt, det betyder så meget for mig."
(Danke für Alles, es bedeutet mir so viel.)

Völlig fertig antwortete Robert auf Dänisch, die Sprache, die sie beide so sehr verband. Dänemark war ein riesengroßer Teil ihrer gemeinsamen Geschichte. Ihre gemeinsame Geschichte, die nun endete. Aber die niemals in ihnen enden würde. Robert konnte nicht beschreiben, wie schmerzhaft dieser Moment war. Wie schmerzhaft es war, als Andrea aufstand, sich die Tränen vom Gesicht wischte und langsam zur Tür herausging. Es zerbrach etwas in ihm, was bei Andrea wahrscheinlich nicht anders war. Er hatte sich selbst dafür entschieden, aber dieser Schritt riss ihm etwas aus seinem Herz. Einen großen Teil.

Selbst als Andrea schon lange die Wohnung verlassen hatte, saß er noch an dem Tisch und all die Tränen rannten über sein Gesicht. Er wusste, dass es die richtige Entscheidung war, aber in diesem Moment fühlte es sich einfach nur schrecklich an. Schrecklich und falsch. Denn natürlich liebte er Andrea noch. Auch nachdem was Alles passiert war. Aber gleichzeitig empfand er so viel für Christian, dass diese Liebe zu Andrea nicht mehr möglich war. Trotzdem konnte ihn das gerade nicht über diese Situation hinweg trösten.

Denn wann war man schonmal in der Situation, sich von seiner langjährigen, großen Liebe zu trennen? Robert war es in diesem Moment. Und er könnte sich nicht schlechter fühlen. Es war, als ob ein großer Teil seines Lebens plötzlich weg war. Einfach so. Und was war eigentlich mit ihren Söhnen? Ihnen mussten sie es auch erzählen. Und das am besten bald. Denn auch sie hatten es nicht verdient, weiter mit solch einer Lüge leben zu müssen.

Es musste mittlerweile schon spät geworden sein. Sie hatten wirklich lange geredet und dann hatte Robert nur noch starr auf einer Stelle gesessen und seinen Tränen freien Lauf gelassen. Er erschrak, als es plötzlich klingelte. Wie in Trance stand Robert auf, starrte nach vorne und öffnete mit letzter Kraft die Tür. Christian kam ihm entgegen und erschrak, als er Robert so sah.

Als Robert Christian jedoch sah, da überrollte ihn erneut eine Welle der Gefühle. Er konnte sich kaum noch auf seinen Beinen halten und fiel Christian in die Arme. Dieser schob ihn in die Wohnung und schloss dann die Tür hinter sich. Er hielt ihn fest in seinen Armen und auch ihm versetzte es merklich einen Stich, als er Robert so verletzt sah. Dieser Anblick war alles andere als schön. Es war schrecklich. Er wollte Robert nicht so leiden sehen. Doch das einzige, was er in dem Moment tun konnte, war ihn festzuhalten. Ihm Halt zu geben. Und Verständnis zu zeigen.

Der arme Robert... Das war wohl nicht ganz der Plan gewesen, aber zumindest ist Christian für ihn da.

Der ganze Lärm um uns Where stories live. Discover now