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Etwas verwirrt schaute Robert um sich, als er wach wurde. Er brauchte einen kurzen Moment, um sich zu orientieren. Er war nicht in Berlin, er war in Dänemark in seiner Hütte. Er lag nicht neben seiner Frau, nein, neben ihm lag ein friedlich schlafender Christian Lindner. Er erinnerte sich daran, was am gestrigen Tag alles geschehen war. Und als er sah, wie zufrieden Christian neben ihm aussah, da schlich sich auch ein Lächeln auf sein eigenes Gesicht.

Er schaute schnell auf die Uhr und stellte fest, dass es noch relativ früh war. Sie hatten also noch reichlich Zeit. Und Robert beschloss, dass er einfach noch etwas liegen bleiben konnte. Neben Christian. Er beobachtete ihn und stellte dabei fest, was Christians ruhige Atmung für eine beruhigende Wirkung ausstrahlte. Und wie gut Christian selbst beim Schlafen aussah, selbst wenn seine Haare in alle möglichen Richtungen abstanden. Und wie gut es sich anfühlte, einfach so neben ihm liegen zu können.

Auch wenn er gleichzeitig wusste, dass dies vielleicht das erste und letzte Mal sein könnte, in dem er diesen Moment erlebt. Vielleicht.

Da es nach wie vor noch ziemlich früh war, entschloss Robert mit seinem Fahrrad in den nächsten Ort zu fahren, um Frühstück für sie beide zu besorgen. Dann wäre der Morgen wahrscheinlich noch gelungener. Also machte er sich schnell fertig und schrieb Christian auf einen Zettel, wo er war. Immerhin wusste er nicht, wie lange er brauchen würde und wie lange Christian noch schlief. Deshalb versuchte er sich einfach zu beeilen.

Christian wurde tatsächlich wach, als Robert noch nicht wieder da war. Etwas panisch war er im ersten Moment schon, da er sich nicht ganz klar darüber war, wo er sich überhaupt befand. Dann fiel ihm jedoch wieder ein, was am letzten Tag passiert war und wieso er dort lag. Trotzdem fragte er sich, wo Robert war. Wieso war er alleine hier?

Nachdem er sich jedoch aufgerafft hatte und ins Wohnzimmer ging, konnte er auf dem Tisch Roberts Zettel sehen. Dann war er doch etwas beruhigt. Christian ging davon aus, dass es bestimmt noch dauern würde, bis Robert wieder da war. Deshalb begab er sich erstmal in das Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Vielleicht würde er dann seine Gedanken etwas ordnen können.

Tatsächlich stand er für seine Verhältnisse viel zu lange unter dem warmen Wasser und fragte sich, wie es heute weitergehen sollte. Immerhin waren sie gezwungen an diesem Tag darüber zu reden, wie sie beide weitermachen sollten. Und Christian graute es etwas davor. Er wollte nicht die Gewissheit haben, dass sie keine Zukunft hatten. Er wollte es nicht hören. Robert sollte es nicht aussprechen. Er wollte hier heute nicht wegfahren, mit der Gewissheit, dass diese Tage mit Robert einmalig waren.

Er merkte, dass er selber so viel geben würde, damit sie weiter zusammen sein konnten. Aber was war Robert bereit zu geben? Selbst wenn er es sich mit seiner Ehe nochmal überlegen würde, würde er dann seine Karriere aufs Spiel setzen? Konnte Christian dies überhaupt von ihm verlangen? Er wusste es nicht. Er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Und am liebsten wäre er einfach wieder zum letzten Tag zurück gesprungen. Und hätte diesen in Dauerschleife durchlebt.

Als Christian aus dem Bad rausging, konnte er Geräusche aus der Küche hören. Er ging leise dorthin und stellte sich in den Türrahmen. Robert hatte ihn noch nicht bemerkt, so sehr war er damit beschäftigt, ihr Frühstück vorzubereiten. Wahrscheinlich war auch er mit den Gedanken woanders. Christian musste Lächeln, als er Robert so konzentriert sah. Er schlich sich von hinten an ihn heran und legte seine Arme um Roberts Oberkörper. Dieser schreckte auf und funkelte Christian an.

"Ey, wie sehr willst du mich eigentlich erschrecken? Ich wollte noch keinen Herzinfarkt erleiden."

Christian lachte nur und auch Robert stieg mit ein. Die Stimmung war gelöst, auch wenn sie beide wussten, dass es nicht mehr lange so sein würde. Aber sie wollten es genießen, solange es ging.

"Kann ich dir helfen?"

"Nein, alles gut. Ich hab ja gestern gesehen, wie du dich beim Kochen angestellt hast. Also ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn du dich nachher mit einem Messer schneidest oder was auch immer anstellst."

Christian zuckte nur mit den Schultern. Da hatte Robert wahrscheinlich Recht. Kochen war wirklich nicht seine Stärke. Er wartete also, bis Robert fertig war und dann setzten sie sich wieder an den kleinen Tisch. Robert hatte sich wirklich Mühe gegeben, das musste Christian schon anerkennen. Und das hinterließ ein gutes Gefühl bei ihm. Sie ließen sich beide Zeit, bevor Robert endlich das Thema anschnitt, was sie am liebsten beide einfach nur verdrängt hätten.

"Christian, wie geht es nach heute weiter? Was sollen wir machen? Wie willst du, dass es weitergeht?"

Der Angesprochene musste erst einmal tief durchatmen. Ja, was wollte er. Eigentlich war es doch so klar.

"Wenn du mich fragst, was ich will, dann kann ich nichts anderes sagen, außer dass ich am liebsten genau da weitermachen würde, wo wir gestern aufgehört haben. Ich will mit dir zusammen sein und Zeit verbringen. Aber wie soll das funktionieren? Und passt das überhaupt in deine Vorstellungen? Immerhin habe ich dir schon vor ein paar Tagen gesagt, dass ich Gefühle für dich entwickelt habe. Aber ich glaube oder hatte zumindest das Gefühl, dass es bis dahin bei dir anders war. Und deine Entscheidung stand ja eigentlich."

Ja, Roberts Entscheidung stand. Bis gestern stand sie. Aber dann kam Christian. Er hatte erneut seine Frau betrogen. Und seine Entscheidung geriet heftig ins Wanken. Und eigentlich war klar, dass er so nicht weitermachen konnte.

"Ja, bis gestern stand die Entscheidung tatsächlich. Aber es ist nicht so, dass ich nicht an ihr gezweifelt hätte. Das habe ich, und zwar oft. Aber nach dem, was gestern passiert ist, wie kann ich da noch an dieser Entscheidung festhalten? Das kann ich auch Andrea ehrlich gesagt nicht mehr antun. Und uns antun. Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer mir der Gedanke fällt, mich von Andrea zu trennen. Immerhin waren wir immer unfassbar glücklich, über 20 Jahre lang, und wir haben vier tolle Kinder. Und sie war immer ein ganz großer Bestandteil meines Lebens. Es wäre also ein riesengroßer Einschnitt. Mir fällt es wirklich schwer, allein schon daran zu denken. Aber ich weiß, dass es nicht mehr richtig wäre, an unserer Ehe festzuhalten. Nur weiß ich nicht, wie ich es übers Herz bringen soll, mich tatsächlich von ihr zu trennen. "

Roberts Stimme war voll von Verzweiflung. Er wusste, dass er sich trennen musste. Das war einfach momentan die richtige Entscheidung. Ob sie es auf lange Sicht auch sein würde, das wusste er nicht. Aber es ging nicht mehr. Doch noch brachte er es nicht übers Herz, daran zu denken, wirklich die Entscheidung umzusetzen. Denn es war wirklich nicht banal, wie wichtig ihm seine Ehe war. Und das über so einen langen Zeitraum.

Christian verstand dies natürlich. Und er spürte, wie schwer es Robert fiel. Aber gleichzeitig fielen ihm Tausend Steine vom Herzen und er spürte eine große Erleichterung. Er musste es stark unterdrücken, dass er nicht anfing zu Grinsen. Das wäre in der Situation unangebracht.

Aber Robert hatte ihm gerade gesagt, dass er mit seiner Frau nicht weitermachen konnte. Und das hieß, dass er ihnen eine Chance geben könnte. Das hieß es doch? Christian glaubte in diesem Moment zumindest daran. Und er konnte sein Glück kaum fassen.

Vor kurzer Zeit hätte er nicht gedacht, dass sie beide jemals eine Chance hätten. Aus so vielen Gründen. Aber plötzlich schien diese Möglichkeit eine realistische zu sein. Auch wenn nach wie vor so viel dagegen sprach. Aber als Robert diese Worte aussprach, da verdrängte Christian alles andere. Denn damit war zumindest eine Hürde genommen.

Der ganze Lärm um uns Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt