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Christian wusste nicht, wie schlau seine Idee war. Er musste irgendwie zu Robert. Aber wo war er überhaupt? War er alleine? War seine Frau bei ihm? Wollte Robert ihn überhaupt sehen?

Er antwortete Robert.

"Ja, es ist tatsächlich dringend. Ich hab versprochen, dass ich das am Wochenende klären werde. Nur weiß ich nicht, wie wir das realisieren sollen. Und ich will dich auch nicht stören."

"Okay, nein, du würdest nicht stören. Ich bin alleine hier und wollte eigentlich nur mal aus Berlin raus. Wenn du das auf dich nehmen willst, dann kann ich dir schicken, wo ich bin. Ich weiß nicht, ob das nötig ist, aber es wäre eine Möglichkeit."

Kurz darauf schickte er ihm seinen Standort. Tatsächlich befand er sich in Dänemark. Verzweifelt starrte Christian auf diese Karte. Er müsste tatsächlich 7 Stunden fahren. Das war viel. Und das alles nur für Robert und diese Situation. Aber eigentlich stand sein Beschluss zu diesem Zeitpunkt schon längst fest. Wie könnte er diese Möglichkeit nicht nutzen. Wenn er endlich die Chance bekam, sich ordentlich zu entschuldigen. Und mit Robert zu reden. Denn irgendwie vermisste er es.

Christian entschied, am nächsten Morgen sehr früh los zu fahren. Dann wäre er nicht allzu spät dort. Und Robert schien auch einverstanden zu sein. Er sagte zumindest nichts Gegenteiliges. Und nach wie vor wusste Christian nicht, wie schlau diese Entscheidung war. Aber er würde das jetzt durchziehen. Auch wenn er schon am Abend, bevor er losfuhr, absolut nervös war. Dafür ließ er dann auch das geplante Treffen mit seinen Eltern am Wochenende ausfallen. Das konnte warten.

Robert fragte sich, was er da eigentlich getan hatte. Er hatte Christian tatsächlich seinen Standort geschickt. Es hatte sich wichtig angehört. Und irgendwie wollte auch er endlich die Situation geklärt wissen. Doch gleichzeitig wusste er, dass es eine fatale Entscheidung war, oder zumindest werden könnte, wenn Christian in wenigen Stunden tatsächlich hier bei ihm sein würde. Aber er konnte Christian diese Möglichkeit auch nicht verwehren. Er konnte und wollte nicht.

Also wippte er nervös mit seinem Bein auf und ab, als er auf der Terrasse der kleinen Hütte saß. Vor ihm konnte er die Dünen erkennen und dahinter lag das Meer. Wäre er nicht viel zu nervös, dann wäre er sicherlich schon dorthin gegangen. Aber er wollte lieber nicht weggehen. Wer weiß, ob Christian tatsächlich kommen würde.

Glücklicherweise schien die Sonne, wodurch Robert zumindest etwas warm blieb. Irgendwann muss er etwas weggenickt sein, denn als er das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es schon Mittags. Wenn Christian tatsächlich käme, dann wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis er vor ihm stehen würde. Aber noch zweifelte Robert daran. Immerhin hatte Christian ihm auch seit dem letzten Abend nicht mehr geschrieben. Er hatte nur angekündigt, dass er, sofern er kommt, früh losfahren würde. Seitdem kam nichts mehr von ihm.

Doch irgendwann durchbrach Motorengeräusch die Stille, die dort in der abgelegenen Natur herrschte. Robert stand auf und begab sich auf die andere Seite der Hütte. Tatsächlich sah er Christian dort. Ein leichtes Lächeln breitete sich auf Roberts Gesicht aus, als er sah, wie Christian durchatmen musste. Er war also genauso angespannt. Ohne den Blick von Robert zu nehmen, öffnete Christian die Tür und stieg aus seinem Auto heraus. Sie schauten sich einfach nur an und die Stille tat ihr übriges. Robert lief ein kleiner Schauer über den Rücken. Dann brach er die Stille, ohne jedoch ihren Augenkontakt zu lösen.

"Du bist tatsächlich gekommen. Ehrlich gesagt hatte ich meine Zweifel, aber die brauche ich ja offensichtlich nicht zu haben."

Seine Aussage war durchaus mehrdeutig. Denn die Zweifel bezogen sich natürlich nicht nur darauf, ob Christian nun kam oder nicht.

"Ja, es hat zwar länger gedauert als erwartet, aber bei diesem Anblick hat es sich gelohnt."

Christian starrte ihm weiter in die Augen. Und auch er war sich klar darüber, dass man seine Aussagen auf verschiedene Arten verstehen konnte.
Endlich ging Christian auf Robert zu. Er stand noch immer angelehnt an der Hütte und wartete, was passierte. Aber als er Christian so auf ihn zukommen sah, fühlte er eine innere Freude und Wärme in sich, sodass er Christian gar nicht ausweichen wollte. Und es auch nicht tat. Mit verschränkten Armen und einem Grinsen im Gesicht wartete er, was passierte. Und er vergaß Alles, was in den letzten Tagen passiert war. All die Zweifel und Gedanken, die er sich gemacht hatte.

Christian merkte dies und er konnte sich einfach nicht davon abhalten. Er umfasste Roberts Gesicht und legte seine Lippen sanft auf die seines Gegenübers. Ihm war klar, dass das eine ganz schlechte Entscheidung sein könnte. Aber in dem Moment, in dem er Robert dort so stehen sah, in dem er die Dünen hinter sich sah und das leise Rauschen des Meeres hörte, da konnte er nicht anders.

Und Robert schien es ähnlich zu gehen. Er ignorierte alles andere und wollte in diesem Moment nur Christians Wärme spüren. Seine weichen Lippen, die so gut auf seine eigenen passten. Die ihm ein unbeschreibliches Gefühl gaben. Ihr Kuss wurde immer intensiver und sie dachten gar nicht daran, sich zu lösen. In ihrem Kuss lag Alles, was sie in den letzten Tagen und Wochen nicht ausgesprochen hatten. Was sie sich nicht eingestehen wollten. Was sie immer wieder verdrängt hatten. Und was sie auch nicht riskieren wollten.

Hier waren sie plötzlich in einer anderen Welt. Hier waren sie Christian und Robert, nicht Lindner und Habeck. Nicht FDP und Grünen Chef. Nicht Noch-Verlobter in der Öffentlichkeit und Ehemann. Nein, hier waren sie einfach genau das, was ihre Herzen ihnen sagten. Alles andere war in diesem kurzen Moment nicht von Bedeutung. All ihre Sorgen waren weggewischt.

Irgendwann mussten sich die beiden allerdings lösen und schauten sich einfach in die Augen. Sie mussten nichts sagen und doch war klar, was der jeweils andere dachte. Sie waren einfach für einen Moment glücklich. Weil sie es beide wollten.

Robert fasste nach Christians Hand und zog ihn schweigend mit sich. Er zog ihn mit zu der Terrasse, auf der er vor einigen Minuten noch alleine gesessen hatte. Auf der Bank hatte er noch eine Decke liegen, die er sich nahm. Anschließend bedeutete er Christian, dass dieser sich dort hinsetzen konnte. Er selber setzte sich dicht neben ihm und breitete die Decke über ihnen aus. Denn so warm ihnen eben geworden war, die Außentemperatur konnten sie doch nicht ändern.

Schweigend saßen sie dort und ließen die Situation einfach auf sich wirken.

"Das war schön, Christian."

Er hätte es nicht aussprechen müssen. Denn beide waren sich dessen bewusst.

"Ja, das war es."

Irgendwann stand Robert auf und besorgte ihnen einen Kaffee. So konnten sie dann noch etwas länger draußen sitzen bleiben. Die Sonne stand noch am Himmel, doch langsam begann sie sich von ihnen zu entfernen. Es war ja immerhin auch November und die Tage waren kurz. Aber noch genossen die beiden es, die Sonnenstrahlen auf ihre Gesichter fallen zu lassen.

"Möchtest du, dass wir noch ein Stück ans Meer gehen? Ich war selber noch nicht dort, seitdem ich gestern angekommen sind. Außerdem lebt hier kein Mensch und an den Strand verirrt sich auch niemand. Wir sind also alleine."

Christian nickte ihm zu und er folgte Robert. Sie mussten wirklich keine 5 Minuten gehen und schon sahen sie das Meer vor sich. Beeindruckt schaute Christian sich um. Sie waren hier wirklich an einem schönen Fleck Erde. Einem sehr schönen. Und wie Robert gesagt hatte, sie waren ganz alleine.

"An deiner Stelle würde ich hier gar nicht mehr wegfahren oder weg wollen.", lachte Christian.

"Ja, es fällt mir auch jedes Mal schwer. Aber so hat man wenigstens immer wieder etwas, worauf man sich freuen kann. Und wenn es so wie heute ist..."

Robert starrte auf das Meer und spürte Christians Wärme direkt neben sich.

"Wenn es so wie heute ist, dann genießt man es natürlich besonders. Vielleicht sollten wir heute einfach mal über nichts anderes nachdenken, außer das Hier und Jetzt."

Robert schmiss an diesem Nachmittag all seine Vorsätze über Bord, die er sich in den letzten Tagen und Wochen gemacht hatte. Aber es war ihm egal. Es zählten in diesem Moment, an diesem Nachmittag, einfach nur Christian und Robert.

Erneut zog Robert Christian zu sich. Und da standen sie am Strand Dänemarks, in der Nachmittags Sonne, in der Kälte des Winters, und konnten endlich ihre Zuneigung zeigen. Auch wenn ihnen beiden bewusst war, dass dies noch Gesprächsbedarf aufbringen würde. Und dass dies rational keine gute Idee war, was sie dort taten. Aber an diesem Nachmittag, in dieser gefühlt ganz anderen Welt, gewannen endlich ihre Emotionen und Gefühle die Oberhand.

Jetzt schon definitiv eins meiner Lieblingskapiteln :) Was eine Wendung bei den beiden, ich hoffe es macht das vorherige Drama wieder etwas gut. Und ich hoffe natürlich, es gefällt euch so wie mir ;)

Der ganze Lärm um uns Where stories live. Discover now