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Am späten Nachmittag gingen dann die Parteivorsitzenden nach draußen vor das Gebäude. Es wurde langsam dunkel, aber trotzdem konnten sie von weiten schon die ganzen Kameras und Journalisten sehen. Sie positionieren sich mittig vor ihnen und tatsächlich standen Robert und Christian nebeneinander. Nacheinander erzählten sie ein wenig von ihren Fortschritten und deuteten an, dass sie sich auf der Zielgeraden befanden. Immer wieder wurden irgendwelche Zwischenfragen gestellt, auf die sie nicht eingehen wollten. Dadurch zog sich das Ganze ziemlich in die Länge. Erschöpft und geschlossen gingen sie anschließend wieder in das große Gebäude und wollten noch einmal kurz besprechen, wie sie weiter mit den Medien umgehen sollten.

"Wir müssen auf jeden Fall weiter daran festhalten, dass in der Öffentlichkeit nicht über die Ministerien gesprochen wird.", stellte Christian nochmal heraus. Personaldiskussionen wollten sie definitiv nicht haben.

Alle anderen stimmten ihm auch zu.
Robert warf noch ein:

"Richtig. Apropos Ministerien, ab Morgen können wir dann aber wenigstens intern starten, uns darüber auszutauschen. Trotzdem bitte auch keine Informationen innerhalb der Fraktionen und Parteien weitergeben."

Nachdem sie sich darauf geeinigt haben, verließen sie das Gebäude. Robert begab sich an diesem Abend nicht direkt zu seiner Wohnung. Er wollte noch etwas an der frischen Luft sein, auch wenn es schon dunkel und auch durchaus kalt war. Dementsprechend warm hatte er sich angezogen und zog seinen Schal halb vors Gesicht, damit er nicht unbedingt erkannt wurde.

Zunächst lief er ein wenig durch das nahe gelegene Regierungsviertel. Es war tatsächlich menschenleer. Wahrscheinlich auch eine Auswirkung der Corona Pandemie. Normalerweise war hier immer etwas los, auch wenn es spät Abends war. Fasziniert schaute er auf das große Reichstagsgebäude. Zum ersten Mal seit der Wahl realisierte er, dass er bald ein Teil dieses hohen Hauses sein würde. In welcher Funktion, in welchem Ministerium auch immer. Er spürte eine unheimliche Dankbarkeit, dass er dieses Privileg haben dürfte, in dem Herzen der Deutschen Demokratie einen Platz einnehmen zu dürfen.

Er lief ein Stück weiter an der Spree entlang und kam auch am Paul-Löbe Haus vorbei. Irgendwo in diesem großen Haus hatte Christian sein Büro. Er fragte sich, wir es wohl dort aussah. Er fragte sich, ob Christian Bilder an den Wänden hängen hatte und ob Pflanzen in dem Raum standen. Er fragte sich banale Dinge, die jedoch einiges über einen Menschen aussagten. Vor allem, wenn man sich noch nicht so gut kannte. Vielleicht würde er ja eines Tages mal einen Blick in sein Büro werfen können. Wobei er wahrscheinlich eher das Ministerium sehen würde, was Christian übernehmen wird. Denn dass er eins übernehmen wird, das war so gut wie klar.

Robert stand noch eine ganze Weile vor dem Paul-Löbe Haus, in welchem noch einige Lichter brannten. Irgendwie faszinierte ihn auch das. Langsam lief er dann jedoch die Spree weiter entlang und starrte immer wieder auf das Wasser. Das Wasser, was ihn so sehr an seine Heimat erinnerte. Und damit wanderten seine Gedanken auch automatisch zu seiner Frau. Konnte er so weiter machen? Immer wieder Christian sehen, mit ihm reden, und gleichzeitig genau wissen, dass seine Frau auf ihn wartete, obwohl er sie schon einmal so verletzt hatte. Konnte das überhaupt gut gehen?

Sie gingen auf jeden Fall ein hohes Risiko ein, wenn sie sich weiter trafen. Und er hinterging jedes Mal wieder seine Frau. Wie sinnvoll war es, mit ihr noch so weiter zu machen? War es ein Fehler, dass er ihre Beziehung nicht beendet hatte? Denn fair ihr gegenüber war es allemal nicht. Und Christian gegenüber auch nicht.

Es fühlte sich nach wie vor irreal an, was Christian ihm am letzten Abend erzählt hatte. Was er ihm gebeichtet hatte. Wie sollte er nur mit dieser ganzen Situation umgehen? Und seit wann lösten eigentlich Männer solche Emotionen in ihm aus? Nicht, dass es ihn großartig stören würde, aber verwundert war er trotzdem. Er hatte noch nie zuvor feststellen können, dass er etwas für einen Mann empfand. Umso verwirrender war die Situation. Und immer wieder wanderten seine Gedanken zu Andrea. Was sollte er nur mit ihr machen?

Irgendwann zitterte Robert vor Kälte und beschloss, dass er nach Hause gehen müsste. Dabei unterschätzte er, wie weit er eigentlich gelaufen war. Und so gut kannte er sich in Berlin bei Dunkelheit auch nicht aus. Deshalb schaltete er schnell sein Handy ein und stellte fest, dass er ziemlich nah an Christians Hotel vorbei kommen würde. Zufall? Schnell wischte er den Gedanken weg und machte sich so schnell wie möglich auf den Weg nach Hause. Besser gesagt in seine Wohnung. Was war eigentlich noch sein Zuhause?

Völlig durchfroren kam er dann nach einiger Zeit an und es war schon wirklich spät. Er ging noch schnell duschen und fragte sich mal wieder, was Christian wohl in diesem Moment machte. Dann begab er sich jedoch schnell in sein Bett und freute sich mehr oder weniger darauf, am nächsten Tag heftig mit Christian und den anderen diskutieren zu müssen.

Christian hingegen verbrachte den Abend mit Marco und Volker zusammen an der Hotelbar seines Hotels. Sie hatten beschlossen, dass sie es sich mal verdient hatten, gemeinsam etwas zu trinken. Vor Christian stand ein ziemlich teurer Rotwein. Und ehrlich gesagt schmeckte er deutlich besser, als der, den er gestern mit Robert getrunken hatte. Er war wahrscheinlich einfach anderes gewöhnt.

Aber ehrlich gesagt hätte er jetzt lieber mit Robert dort gesessen, auch wenn dies unmöglich war. Und natürlich war es auch angenehm, sich mal wieder abseits der Politik mit Marco und Volker als Freunde auszutauschen. Trotzdem merkten die beiden, dass Christian nicht vollständig bei der Sache war. Marco schob es einfach auf die Trennung von Franca. War ja durchaus verständlich, dass er deshalb nicht ganz bei der Sache war. Volker hingegen hatte noch keine Ahnung. Die beiden redeten über alles mögliche und Christian saß mehr oder weniger anwesend daneben.

Christian überlegte, wie er am nächsten Tag weitermachen sollte. Morgen würden sie ziemlich sicher in den Verhandlungen auch auf das Finanzministerium zu sprechen kommen. Und es war klar, dass sowohl er als auch Robert Ansprüche darauf hatten. Und so sehr er Robert mochte, niemals würde er freiwillig das Finanzministerium an ihn abtreten. Immerhin hatte er vor 4 Jahren schon darauf verzichten müssen, als die Jamaika Verhandlungen geplatzt sind. Beziehungsweise als er die Verhandlungen höchstpersönlich beendet hatte. Und seit diesen vier Jahren hatte er alles dafür getan, dass seine Partei so gestärkt aus dieser Bundestagswahl gehen konnte, dass sie wieder Anspruch auf dieses Ministerium erheben konnte. Natürlich nicht nur auf dieses Ministerium. Sie wollten ganz grundsätzlich die Regierung mitgestalten. Aber für Christian persönlich wäre das Amt des Finanzministers ein riesiger Erfolg. Und da lässt er sich auch nicht von einem gewissen Robert Habeck abhalten.

Gleichzeitig war es komisch so über Robert zu denken. In diesem Konkurrenzkampf. Denn das, was er empfand, widersprach dem, was er dachte. Er wollte nicht so hart gegenüber Robert sein. Und es ist klar, dass es viele Stunden an Diskussionen, die wahrscheinlich nicht nur diplomatisch sein werden, kosten wird. Und er wusste nicht wirklich, wie sie beide mit dieser Situation umgehen sollten. Nicht, dass ihre Situation nicht sowieso schon schwierig genug war.

Christian seufzte laut auf und vergaß, dass Marco und Volker neben ihm saßen. Diese schauten ihn verwirrt an.

"Christian, was ist denn heute los mit dir? Du bist die ganze Zeit doch schon komplett wanders", stellte dann auch Volker fest. Marco schaute nur zur Seite, denn er wusste ja zumindest mehr oder weniger, was bei Christian los war.

"Ja, ich weiß. Ich bin nicht so ganz bei der Sache. Ich denke, ich sollte auch gleich mal gehen. Morgen wird anstrengend genug. Lasst euch den Rest des Abends aber nicht von mir versauen."

So stand er auf und begab sich zu seinem Zimmer. Als er sich umzog, da fiel sein Blick erneut auf seine Uhr. Die, die heute Morgen noch in Roberts Hände gelegen hatte. Und Roberts Hände, die solch eine Gänsehaut bei ihm ausgelöst hatten. Obwohl die Berührung ja nur minimal war. Er fragte sich, was der nächste Tag wohl für ihn bereit hielt. So schlief er dann ein.

Der ganze Lärm um uns Where stories live. Discover now