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So zerissen Christian auch war, lenkte er letztendlich ein. Er antwortete Robert und sprach sich dafür aus, dass sie sich nochmal treffen sollten. Er wollte, dass Robert ihm ins Gesicht sagte, was seine Entscheidung war. Und so schmerzhaft dies auch werden könnte, so hatte er doch trotzdem die vage Hoffnung, dass Robert es sich nochmal überlegte.

Und als er diese Hoffnung verspürte, verstand er so langsam. So langsam musste er es sich einfach eingestehen, dass er keine normale Beziehung zu Robert hatte. Dass seine Gefühle für Robert nicht normal waren. Er wusste, dass seine Gefühle begannen, deutlich stärker zu werden. Und so richtig konnte er es sich nach wie vor nicht erklären. Aber wenigstens musste er es sich so langsam eingestehen. Auch wenn dadurch natürlich alles noch schmerzhafter werden könnte. Nein, er war sich sicher, werden würde. Es würde schmerzhaft werden. Denn egal was Robert ihm sagen würde, so wirklich etwas ändern würde es wahrscheinlich nicht.

Sie hatten beschlossen, dass Christian nach den Gesprächen an diesem Tag zu Robert nach Hause kommen sollte. Und dabei höllisch aufpassen müsste, damit ihn auch ja niemand sieht. Dies hatten sie an dem Abend beschlossen, bevor die Verhandlungen weitergingen. Denn in diesen gerieten beide gehörig aneinander. Und es wurde auch durchaus lauter und war nicht mehr ganz so diplomatisch. Von beiden Seiten wohlgemerkt. Dementsprechend war Christians Motivation an diesem Abend eher nicht so groß, nochmal mit Robert konfrontiert zu sein. Robert ging es da wahrscheinlich ähnlich. Und trotzdem begrüßte dieser Christian mit seinem typischen Lächeln, was er so oft an den Tag legte. Christian war da eher etwas zurückhaltend. Denn gleichzeitig war er auch unfassbar aufgeregt.

"Komm rein, Christian. Kennst dich ja schon etwas aus.", lachte Robert leicht.

"Und ich hoffe du nimmst das nicht zu persönlich, wie das heute in der Sitzung abgelaufen ist. Aber lass uns da lieber nicht drauf zurückkommen. Das ist ja nicht der Sinn, weshalb du hier bist."

"Ja, natürlich.", antwortete Christian nur kurz angebunden.

Robert bot ihm noch etwas zu trinken an, bevor sie sich an seinen Esstisch setzten. Die Situation kam Christian so absurd vor. Vor einigen Tagen saß er hier noch, weil Robert ihm freundlicherweise geholfen hatte. Und was seitdem Alles passiert ist!

Er schaute sich erneut um und konnte feststellen, dass es deutlich ordentlicher aussah, als vor knapp einer Woche. Hatte Robert sich extra wegen ihm noch Mühe gegeben? Nein, wahrscheinlich nicht. Warum sollte er auch? Und dann fiel sein Blick auf die Fotos, die an der Wand hingen. Beim letzten Mal hatte er gar nicht auf sie geachtet. Aber da hatte er auch kaum Zeit, um sich umzuschauen. Doch jetzt wartete er noch auf Robert, der noch in seiner Küche rum lief. Viele der Bilder zeigten einen jüngeren Mann zusammen mit Kindern. Es musste also Robert mit seinen Söhnen sein. Außerdem konnte er ein paar aktuellere Bilder sehen, die ihn unter anderem zur Wahl zum Parteivorsitzenden zeigten, ebenso wie solche, bei denen er auf anderen Veranstaltungen war. Und es hingen auch welche dort, die ihn mit seiner Frau zeigten. Eigentlich machten diese Bilder ziemlich klar, woraus Roberts Leben bestand. Der Politik und seiner Familie. Christian passte da nicht rein. Und trotzdem saß er jetzt hier.

Robert kam in den Raum und räusperte sich etwas.

"Sind das deine Söhne auf den Bildern?", fragte Christian.

"Ja genau, die Bilder sind schon etwas älter, aber ja das sind sie. Da war die Situation noch eine ganz andere."

"Man sieht die Ähnlichkeit", schmunzelte Christian etwas, um dann jedoch von der Ernsthaftigkeit der Situation wieder in die Realität zurück geholt zu werden.

"Naja, da sind wir ja eigentlich schon am Punkt angekommen.", seufzte Robert und starrte auf seine Hände, bevor er weiter redete.
"Als ich am Wochenende in Flensburg war, als ich bei meiner Frau war, da ist mir klar geworden, dass ich das Alles nicht auf das Spiel setzen möchte. Diese Momente mit meiner Familie, mit meiner Frau, die eigentlich immer das Wichtigste für mich waren. Ich kann das Alles nicht nochmal aufs Spiel setzen, auch wenn wir dafür eigentlich schon viel zu weit gegangen sind. Und auch sonst ist es viel zu riskant, wenn wir uns privat treffen. Wir mussten ja heute schon höllisch aufpassen, damit nicht nachher solche Schlagzeilen auftauchen, wie es bei Franca und dir der Fall war. Außerdem kann ich es auch ehrlich gesagt immer noch nicht verstehen, was in mir, in meinem Kopf überhaupt passiert ist, sodass...ja". Christian unterbrach ihn.

"Sodass wir uns geküsst haben? Sprich es doch einfach aus. Ändern können wir es jetzt eh nicht mehr. Und natürlich, wie könnte ich es verurteilen, dass du dich für deine Familie und deine Ehe entschieden hast? Ich kann da nicht mitreden, immerhin habe ich keine Kinder und bin auch nicht verheiratet. Und werde jetzt auch erstmal nicht heiraten. "

"Das tut mir wirklich Leid, Christian. Ich habe nicht gewollt, dass es so weit kommt. Ich wollte nicht, dass du dich trennst. Aber hätte es bei euch nicht auch noch eine Möglichkeit gegeben?"

"Du verstehst es nicht, Robert. Wie hätte ich mit Franca weiterleben sollen, wenn ich gleichzeitig Gefühle für jemand anderen entwickle? Wenn ich genau weiß, dass ich nicht nur für Frauen etwas empfinde, sondern auch für Männer? Verdammt, verstehst du es jetzt endlich?"

Überrumpelt starrte Robert Christian an. Er hatte ihm so eben erklärt, dass er irgendwie Gefühle für ihn hatte. Und dass er offensichtlich auch auf Männer stand. Robert öffnete seinen Mund, wusste jedoch nicht, was er sagen sollte. Und Christian starrte nur abwesend an ihm vorbei. Damit hatte Robert nicht gerechnet. Und dementsprechend konnte er nicht damit umgehen. Es war eigentlich selten, dass ihm die Worte fehlten, er konnte immer etwas sagen, aber in diesem Moment war sein Kopf leer. Und er spürte nur ein flaues Gefühl im Magen. Christian stand auf.

"Ich denke, ich sollte jetzt gehen." Er machte sich schon auf den Weg aus der Küche, bevor Robert ihn aufhielt.

"Nein Christian, geh nicht. Bitte." Er umfasste Christians Handgelenk, um sicher zu stellen, dass er nicht weglief. Christian spürte eine leichte Gänsehaut, als Robert ihn berührte. Und wie in Trance ließ er sich tatsächlich zurück ziehen. Sie standen sich mal wieder gegenüber. Noch heute morgen hatten sie heftig miteinander diskutiert und jetzt standen sie wieder so eng beieinander.

"Mir war das nicht bewusst, Christian. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, was ich sagen soll. Du machst es mir auch wirklich nicht einfach, eigentlich war mir bis heute so klar, dass ich meine Ehe nicht aufs Spiel setzen kann und darf. Aber... Was soll ich jetzt sagen? Ich versteh es doch selber nicht. Ich versteh nicht, was bei mir passiert. Und ich weiß auch nicht, was ich tun soll. Bitte sieh es mir nach, dass das Alles sehr viel für mich ist."

"Natürlich. Aber du machst es mir auch nicht einfach. Wirklich nicht.", flüsterte Christian beinahe. Es war Alles so schmerzhaft.

"Aber vielleicht hilft es dir, wenn ich sage, dass ich mir schon lange darüber klar war, dass ich bi bin. Aber ich möchte nicht, dass das raus kommt. Ich möchte mich nicht angreifbar machen."

"Und das bestätigt auch wieder nur, dass es eigentlich nicht geht. Und ganz davon abgesehen, politisch stehen wir beide so da, dass wir uns keine Fehler erlauben können. Und eigentlich sind wir doch auch von Grund auf verschieden, wie unsere Werte und die unserer Parteien zeigen. Ich glaube ich werde nie verstehen können, wie man den freien Markt so sehr anhimmeln kann, wie ihr das tut."

"Das hättest du dir jetzt auch sparen können." Christian lachte zumindest etwas, auch wenn er natürlich verstand, worauf Robert hinaus wollte.

"Natürlich hast du Recht, Robert. Aber trotzdem sind wir jetzt hier. Und das ja nicht grundlos. Aber du musst mir so langsam sagen, wie du dir vorstellst, wie es weiter geht. Es ist in erster Linie dein Leben, was du verteidigen willst. Ich hab meine Beziehung schon aufgegeben. Ich muss da nichts mehr verteidigen. Am ehesten noch meine Karriere, aber du verstehst schon, wie ich das meine. "

"Christian, ich kann nicht sagen, dass ich bei den Küssen nichts empfunden hätte. Natürlich habe ich das. Aber gleichzeitig weiß ich einfach nicht, was das ist. Und auch nachdem du mir das jetzt gesagt hast, weiß ich nicht wirklich weiter. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Ich weiß nicht, was ich spüre und was ich spüren sollte. Aber selbst wenn da etwas ist, Christian, wie sollten wir dann weiter machen? Du weißt genau, dass es so unfassbar viele Probleme gibt. "

Der ganze Lärm um uns Where stories live. Discover now