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Christian verfrachtete Robert auf das Sofa und zog ihn dort wieder an sich. Der ältere der beiden bekam sich noch nicht wirklich wieder ein. Christian dachte sich, dass es gut war, dass er gekommen ist. Sonst wäre Robert in dieser Situation ganz allein. Und das wollte er ja auch nicht. Er war eigentlich nur gekommen, weil Robert auf keine seiner Nachrichten reagiert hatte. Und weil er ihm nicht Bescheid gesagt hatte, wie es mit Andrea gelaufen war, obwohl es ja schon ziemlich spät geworden ist. Deshalb hatte er dann beschlossen, dass er zu Robert fahren musste. Er hatte dann vor dem Haus noch gecheckt, ob nicht noch irgendwo Andreas Auto stand. Es schien ihm nicht so, weshalb er dann auch klingelte. War vielleicht etwas riskant.

Und nun saß er mit Robert zusammen auf dem Sofa. Langsam aber sicher wurden die Tränen weniger und Robert ruhiger. Wahrscheinlich hatte er auch einfach keine Kraft mehr. Wie schrecklich musste das für ihn gewesen sein? In was für eine Lage hatten sie sich da nur gebracht? Und Christian hatte wirklich großen Anteil. Irgendwann murmelte Robert einige Worte so leise, dass Christian sie kaum verstand.

"Ich hatte es mir schlimm vorgestellt, aber es war schlimmer als jegliche Vorstellung. Ich bin ein schlechter Mensch. Nachdem, was ich ihr Alles angetan habe."

Beunruhigt schaute Christian zu ihm herüber. Er war sich nicht ganz klar darüber, ob er antworten und ihn damit unterbrechen sollte. Aber er tat es. Es fühlte sich zumindest richtig an.

"Nein, du bist kein schlechter Mensch. Du schaffst jeden Tag so viel und du machst in der Regel viele Menschen glücklich, nicht zuletzt mich. Und du hast auch Andrea über so viele Jahre glücklich gemacht. Und diese Entscheidung ist doch momentan einfach die richtige. Auch wenn es mir Leid tut, dass sie offensichtlich sehr schwer gerade ist."

"Christian, sie war da. Sie hat uns zusammen gesehen. Sie ist extra nach Dänemark gefahren, damit wir Zeit miteinander verbringen und uns wieder etwas annähern können. Und dann hat sie uns gesehen. Gott, ich schäme mich zutiefst, wenn ich darüber nachdenke, was sie wohl empfunden haben muss in diesem Moment."

"Wow, warte was? Sie hat uns am Wochenende gesehen? Aber das hätten wir doch mitbekommen müssen."

"Nein, wir waren wohl zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Und das hat Andrea gesehen. Und dann musste sie auch nur noch eins und eins zusammen zählen und sie wusste Bescheid. Ich wollte doch nicht, dass sie es so mitbekommen würde. Aber wahrscheinlich war ich auch naiv. Sie wusste ja immerhin, dass ich dort sein würde. Ich hätte besser nachdenken müssen."

Verzweifelt schüttelte Robert den Kopf. War es nicht wirklich naiv gewesen?

"Naja, aber du bist ja auch nicht mit der Intention mich dort zu treffen, dahin gefahren. Ich hab deine Pläne ja mehr oder weniger durchkreuzt. Also bin ich eher Schuld. Und das tut mir Leid. Hätte ich gewusst, dass sie dort sein könnte, dann wäre ich natürlich auch nicht gekommen. Aber wir konnten es ja beide nicht wissen. Und ändern können wir es leider auch nicht mehr."

Christian hatte natürlich Recht. Sie konnten nichts mehr daran ändern. Aber es war eine verdammt beschissene Situation. Und es tat ihm weh, Robert so verletzt zu sehen. Und er hatte in gewisser Weise dazu beigetragen.

"Sie wird nichts sagen. Ich verstehe es nicht. Sie hätte doch jeden Grund, uns jetzt ins Messer laufen zu lassen. Ich würde es sogar nachvollziehen können, würde sie alles öffentlich machen. Aber nein, sie war trotzdem noch so empathisch. Ich verstehe es einfach nicht. Womit habe ich das verdient? Sie muss mich doch hassen."

Christian musste leicht lächeln. Es erinnerte ihn etwas an seine eigene Trennung, die ja auch noch nicht allzu lange her war. Und auch Franca hatte so empathisch reagiert. Und ja, auch er hatte sich gefragt, wieso er das verdient hatte. Immerhin war Christian Schuld an ihrer Trennung gewesen. Aber er hatte verstanden, wieso Franca so reagiert hatte.

"Nein. Sie liebt dich. Deshalb könnte sie dir das nicht antun. Egal, was du getan hast. Was wir getan haben. Zwischen Franca und mir war es auch so. Ich habe es auch erst nicht verstanden, aber sie könnte dir das nicht antun."

Mit leeren Augen starrte Robert ihn an. Da lag der riesige Unterschied zwischen Robert und Andrea. Er liebte sie zwar, hatte sie aber trotzdem unfassbar verletzt. Und sie liebte ihn auch, würde ihn aber niemals so verletzen. Und deshalb fühlte sich Robert direkt nochmal schlechter. Seine Tränenflüssigkeit war wahrscheinlich aufgebraucht, weshalb er einfach nur noch still auf dem Sofa saß und vor sich hin starrte. Christian beunruhigte das wirklich. Aber er wollte Robert auch die Zeit geben, die er brauchte. Deshalb saß er einfach nur daneben und hielt Roberts Hand fest. Und hoffte einfach, dass seine Anwesenheit etwas positiv für Robert war.

Christian wusste nicht, wie lange sie dort so saßen. Er wusste nur, dass es irgendwann wirklich spät geworden war. Und er wusste auch nicht wirklich, was er tun sollte. Wann war er auch schonmal in so einer Situation gewesen? Nachdem Robert wirklich eine lange Zeit nicht gesprochen hatte, sprach er Christian dann doch leise an.

"Bleibst du heute hier? Sonst müsstest du wohl bald mal fahren."

"Möchtest du, dass ich hier bin? Immerhin war das eigentlich gar nicht der Plan und ich bin einfach hier aufgekreuzt. Wenn es dir besser damit geht, dass ich gehe, dann mache ich das natürlich."

"Nein. Bleib hier. Bitte."

Es war das letzte was Robert wollte, dass nun auch noch Christian ging. Das würde er an diesem Abend nicht verkraften, er brauchte jetzt einfach Halt. Und wer konnte ihm den besser geben, als Christian. Irgendwann stand Robert dann einfach auf, was Christian etwas aufschreckte. Er hatte gar nicht mehr damit gerechnet, dass sich Robert aus Eigeninitiative bewegen würde. Er war dann doch etwas froh, als wieder etwas Lebenskraft in Robert auftauchte. Er bewegte sich zwar nur ins Schlafzimmer, das war aber besser als nichts. Christian folgte ihm dann auch und war letztendlich vor Robert eingeschlafen. Das war zwar eigentlich nicht der Plan gewesen, aber auch er war ziemlich fertig von dem Tag.

Robert hingegen lag die ganze Nacht mehr oder weniger wach. Er hatte einfach Tausend Gedanken in seinem Kopf und er konnte so langsam auch endlich wieder normal denken. Naja, normal wahrscheinlich auch nicht. Aber er konnte immerhin wieder klare Gedanken fassen. Er fragte sich, ob es die richtige Entscheidung war, sich zu trennen. Aber als sein Blick dann auf Christian fiel, da war ihm sofort klar, dass es nicht falsch sein konnte. Zum Glück war er da, sonst hätte er wahrscheinlich wieder an Allem gezweifelt. Wer wollte es ihm auch verdenken, nachdem was an diesem Tag passiert war?

Er fragte sich auch, wie es mit ihrer gemeinsamen Familie weiter gehen sollte. Wie sollten sie es ihren Söhnen beibringen? Und wann? Gab es für so etwas überhaupt einen richtigen Zeitpunkt? Wenn ja, dann wäre er aber sicherlich noch nicht während den Koalitionsverhandlungen. Aber wahrscheinlich gab es eh keinen richtigen Zeitpunkt. Trotzdem würde er diese Gespräche am liebsten noch weit nach hinten verschieben. Wie könnte er seinen Söhnen wieder in die Augen schauen, wenn sie wussten, was er getan hatte. Sie mussten ihn doch auch dafür hassen. Und wahrscheinlich würden sie aus allen Wolken fallen, denn immerhin wussten sie, was für eine starke und tiefe Bindung Andrea und er hatten.

Nicht zuletzt fragte er sich, wie er die Koalitionsverhandlungen am nächsten Tag überleben sollte. Er musste so schrecklich aussehen, wie er sich fühlte. Gerade wenn er so wenig Schlaf hatte. Es würde auf jeden Fall schwierig werden. Hoffentlich würden sie einfach nicht über das Finanzministerium sprechen. Vielleicht hätte er sich einfach mal den Plan anschauen sollen, auf dem es mehr oder weniger einen Zeitplan gab, den die Generalsekretäre ihrer Parteien erstellt hatten. Naja, das half dann auch nichts mehr. Er musste einfach überleben und wahrscheinlich würde ihm da viel Koffein helfen. Und vielleicht würde ihn ja auch Christians Anblick wach halten. Er hoffte es einfach mal.

Der ganze Lärm um uns Where stories live. Discover now