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"Das ist... wirklich viel." Marco musste selber erst einmal durchatmen. Das, was Christian so eben erzählt hatte, übertraf doch das, was er erwartet hatte. Und dieser schaute nun erstmals auf. Er konnte nicht erkennen was Marco dachte, aber er war immerhin noch nicht ausgerastet. Ein erstes gutes Zeichen.

Aber anstatt dass Marco weiter redete, verfiel er wieder in Schweigen. Wahrscheinlich suchte er nach den richtigen Worten. Christian spannte es jedoch unfassbar auf die Folter.

"Man jetzt sag doch wenigstens etwas. Du wolltest es doch wissen."

"Ja, natürlich. Ich weiß nur selber nicht so genau, was ich sagen soll. Ich hätte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass so viel passiert ist. Aber irgendwie ergibt es jetzt Sinn. Wieso du Habeck immer so angeguckt hat und wieso er so schnell sauer auf dich war. Aber, ich weiß nicht, ich denke es war nicht unbedingt schlau, dass du dich darauf eingelassen hast. Zumindest jetzt gerade, wo eh die ganze Aufmerksamkeit auf uns liegt. Und dann auch noch Habeck. Also das ist schon keine einfache Situation. "

Christian war klar, dass Marco Recht hatte. Aber er konnte es nicht verstehen. Niemand konnte es verstehen. Wie auch, wenn man nie in so einer Situation war?

"Ich weiß, Marco. Das war alles andere als schlau oder rational. Aber jetzt hat es sich so ergeben. Und ich weiß nicht, was ich machen soll."

"Naja, also das Schlauste wäre wahrscheinlich, dich von dieser ganzen Sache zu entfernen und nichts mehr privat mit dem zu tun zu haben." Marco sprach den Gedanken aus, über den Christian selber so oft nachgedacht hatte. Ja, das wäre schlau. Aber wenn er darüber nachdachte, dann zog sich sein Magen zusammen und er fühlte eine tiefe Bedrücktheit. Er wollte das einfach nicht. Er wollte nicht, dass dies die Lösung ist. Denn es war keine Lösung. Nicht für Christian.

"Ja, natürlich wäre das das Schlauste. Glaub mir, ich hab mir da nicht gerade wenig Gedanken drüber gemacht. Aber das ist keine Lösung, ich kann das nicht."

Marco schaute ihn etwas verwirrt an. Und Christian kämpfte mit seinen Gefühlen. Er wollte vor Marco nicht noch angreifbarer sein.

"Du empfindest also wirklich was für ihn, oder? Und das, obwohl er sich doch schon gegen dich entschieden hat."

Christian nickte bedrückt. Aber er hatte doch noch Hoffnung. Auch wenn er es ihnen jetzt selber erschwert hatte.

"Ja, was soll ich anderes sagen, außer die Wahrheit. Und auch wenn es dumm ist, ich will meine Hoffnung noch nicht aufgeben. Vielleicht ergibt sich ja doch eine Chance für uns."

Christian seufzte und etwas mitleidig schaute Marco ihn an. Auch wenn er es absolut nicht verstand, wie er sich auf Robert Habeck einlassen konnte. Und offensichtlich wirklich Gefühle für ihn entwickelt hatte. Er konnte es wirklich nicht verstehen und hielt es auch für wirklich unschlau, was Christian gemacht hatte. Aber trotzdem wollte und musste er hinter seinem Freund stehen. Auch wenn ihn das gerade etwas schwer fiel.

"Okay Christian, ehrlich gesagt kann ich es wirklich nicht nachvollziehen, aber natürlich unterstütze ich dich trotzdem. Und werde selbstverständlich niemandem etwas sagen. Aber trotzdem, du solltest dir dringend überlegen, wie das weiter gehen soll."

"Danke Marco."

Christian war etwas erleichtert. Auch wenn er genau merkte, dass Marco die ganze Sache nicht wirklich positiv aufnahm. Aber auch nicht so negativ, dass es irgendwie problematisch sein könnte. Zumindest hoffte er das.

"Bitte seid einfach so vorsichtig, dass es für uns Alle aber insbesondere für euch beide keine gravierenden Probleme geben wird. Nicht, dass nachher eure Karrieren kaputt gehen oder die Koalition vor die Wand gefahren wird. Das ist wahrscheinlich das Letzte, was ihr wollt. "

"Natürlich, das ist uns bewusst. Es könnte nicht mehr Druck auf uns lasten. Ich bin einfach froh, wenn die Koalitionsverhandlungen vorbei sind. Dann ist der ganz große Druck vielleicht erstmal weg."

Damit hatten sie das Thema erstmal beendet. Und Christian wollte auch nicht mehr darauf zurückkommen. Das war für ihn mal wieder sehr aufwühlend gewesen. Und er wollte eigentlich endlich mal etwas Abstand von dieser ganzen Situation gewinnen. Deshalb freute er sich ein wenig auf das Wochenende. Er musste nur noch den morgigen Tag überleben. Dann war sein Plan zumindest für einen Tag in seine Heimat nach Nordrhein-Westfalen zu fahren, um seine Eltern mal wieder zu sehen. Eine Freundin, mit der er die Zeit hätte verbringen können, war ja immerhin nicht mehr da. Und wie sollte er sich sonst ablenken? Abgesehen davon war allerdings am Samstag noch eine Sitzung des Parteivorstands, bei dem sie über den Fortschritt der Verhandlungen sprechen wollten. Also hatte er exakt einen freien Tag. Zumindest war das der Plan.

Marco und Christian unterhielten sich noch ein wenig über ihre bevorstehende Sitzung, bevor sich Christian ein Taxi rief, was ihn zu seinem Hotel fahren sollte. Als er in diesem saß, nahm er sein Handy heraus und öffnete den Chat mit Robert. Sollte er ihm noch schreiben? Immerhin könnte er ihn dann etwas beruhigen, denn er wusste ja, dass er mit Marco gesprochen hatte.

"Hab eben mit Marco gesprochen... Er wird nichts sagen und hat auch nicht sonderlich negativ reagiert. Natürlich war er nicht begeistert, aber das sollte schon in Ordnung sein. Aber du musst dir auf jeden Fall keine Gedanken machen."

Er starrte die Nachricht noch eine gewisse Zeit an, bevor er sie abschickte. Er hoffte, dass er Robert damit nicht nervte. Immerhin kam es ihm so vor, dass er nach wie vor sauer war. Und das absolut berechtigt. Aber es schmerzte Christian. Er wollte wieder unbefangen mit ihm reden können. Und er wollte nicht, dass er sauer auf ihn war. Er war so sehr in Gedanken versunken, dass er es kaum merkte, dass das Taxi vor dem Hotel hielt. Dann stieg er jedoch schnell aus und begab sich ins Innere des teuren Hotels. Als er gerade auf den Aufzug zusteuerte, hörte er ein leises Räuspern hinter sich, was ihm nur allzu bekannt vorkam.

"Franca, was machst du hier?", sprach er leise und schaute sich währenddessen um. Es waren keine anderen Menschen zu sehen. Aber was wollte Franca denn hier? Und seit wann saß sie schon in der Lobby?

"Können wir irgendwo reden, wo wir ungestört sind?", fragte sie. Er gab ihr zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte. Sie fuhren gemeinsam im Aufzug nach oben und dann in Christians Zimmer. Abwartend schaute Christian seine Ex-Freundin an. Was wollte sie so plötzlich von ihm? War etwas geschehen? Sein Kopf war voller Gedanken, die ihn immer ungeduldiger werden ließen.

"Wie lange warst du schon hier? Du hättest mir auch schreiben können, dann wäre ich schneller gekommen."

"Nein, alles gut. Warst du... Warst du bei ihm?", fragte sie mit einer zitternden Stimme.

Energisch schüttelte Christian den Kopf. Nein, er war nicht bei Robert. Er wünschte, es wäre anders. Aber nein, so war es nicht.

"Nein, ich war bei Marco, wir mussten etwas Wichtiges besprechen. Deshalb hat das Ganze auch etwas länger gedauert. Aber wieso habe ich die Ehre? Ist irgendwas passiert?"

Christian wusste nicht so Recht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Immerhin war zwischen ihnen beiden auch die Situation nicht gerade einfach. Und er merkte, dass es Franca nicht gut ging. Sie hatte nicht das Lächeln im Gesicht, was er immer so gerne gesehen hatte. Und auch ihre Augen leuchteten nicht. Das war sehr untypisch für sie.

"Christian, ich hab nachgedacht. Ich hab so viel nachgedacht, dass ich seitdem gefühlt nicht mehr geschlafen habe. Und ich glaube, dass wir einen Fehler gemacht haben. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob es richtig war, dass wir alles so schnell aufgegeben haben. Immerhin wollten wir heiraten. Sollten wir es nicht nochmal versuchen? So kannst du doch auch nicht glücklich werden, oder?"

Da hatte sie einen Punkt getroffen. Ja, so war er momentan nicht glücklich. Und als er Franca da so vor sich stehen sah, wusste er wieder ganz genau, wieso er sich in sie verliebt hatte. Wieso er ihr sogar einen Antrag gemacht hatte. Aber es noch einmal versuchen? Christian starrte sie an und konnte keine klaren Gedanken fassen.


Der ganze Lärm um uns Where stories live. Discover now