Kapitel 66

317 28 5
                                    

Wir lösten uns aus der Umarmung.

»Du wirst mir niemals egal sein.«, sagte ich ernst.

Daniel guckte mich nicht an.

»Und du bist auch ganz bestimmt keine Last für mich. Du bist der beste Bruder, den man haben kann. Deine Musik ist fantastisch, ganz egal, was dein Vater dazu gesagt hat. Glaub an dich, und rede mit mir über sowas, okay?« Ich suchte seinen Blick.

Jetzt nickte er. »Okay«

Ich lächelte.

Daniel deutete mit dem Daumen hinter sich. »Reden wir nachher weiter? Ich will den neuen Song noch etwas verändern. Mir ist gerade eine Idee gekommen.«

»Na klar.«, sagte ich.

Mein Bruder verließ den Raum. Erst als ich seine Zimmertür hörte, fiel mir wieder ein, dass ich ursprünglich mit ihm über unsere Familie hatte sprechen wollen. Kurz zog ich in Erwägung, dieses Gespräch auf den Abend zu verschieben, aber ich konnte nicht länger warten. Diese Last war einfach zu schwer, um sie noch länger alleine zu tragen.

Also stürmte ich aus meinem Zimmer, um Daniel noch vor der Treppe abzufangen. Kaum hatte ich den Flur betreten, stürzte ich über den Staubsauger. Ich wich dem Wischmopp aus, der kurz vor der Küchentür stand, und knallte dabei mit Wucht gegen den Türrahmen. Augenblicklich breitete sich ein stechender Schmerz in meinem Knie aus. Fluchend rieb ich mir das Bein, bevor ich mit anfänglichem Humpeln auf Daniels Zimmertür zusteuerte.

»Jackie«

Wie eingefroren blieb ich stehen.

»Was ist mit deinem Bein geschehen?« Meine Mutter lief auf mich zu. Ihr Gesichtsausdruck war besorgt. Ich vergaß fast, was sie mir angetan hatte.

»Habe mir das Knie am Türrahmen gestoßen.«, antwortete ich zögerlich.

»Wie ist das passiert?«, fragte sie sofort.

»Keine Ahnung« Ich konnte ihr einfach nicht in die Augen schauen, »Du kennst mich doch. Ich will immer mit dem Kopf durch die Wand. Oder mit dem Knie.«

Meine Mutter lächelte mich an. »Dein Vater war auch so.«

Schlagartig verkrampfte ich mich. Jeder Atemzug fiel mir schwer. Ich spürte, wie mich Verrat und Enttäuschung übermannten, und ich konnte mich nicht wehren.

»Wie war es bei deiner Freundin?«, wollte sie wissen.

Daniels Zimmertür wurde einen Spaltbreit geöffnet. Er steckte seinen Kopf aus der Tür und sah mich forschend an.

Unsere Mutter blickte zwischen Daniel und mir hin und her. »Ist alles in Ordnung bei euch? Gab es Streit?«

Meine Hände begannen zu zittern.

»Jackie« Sie legte ihre Hand auf meine rechte Schulter, »Geht es dir gut?«

Sofort fuhr ich unter ihrer Berührung zusammen. Das Dröhnen in meinem Schädel ließ nicht nach. Ich konnte Jasmins blasses Gesicht sehen, Blut, den Mörder. In meinen Ohren hörte ich Tobias reden. Nick fasste nach meiner Hand und hielt diese fest umklammert. In seinem Blick lag etwas, was mir sagte: Es würde alles gut werden. Beruhige dich. Ich kümmere mich darum. Aber es war nicht alles wieder gut geworden. Ein Mensch war tot. Ein Mensch, der anderen Menschen wahrscheinlich das Gleiche bedeutet hatte, wie mir mein Bruder.

Sterne schwirrten vor meinen Augen. Mir wurde schwindelig. Unsere Mutter griff mir unter die Arme. Daniel öffnete uns die Tür. Viel mehr bekam ich nicht mit.

Irgendwann blinzelte ich. Ich lag in meinem Bett. Unsere Mutter und Daniel redeten leise miteinander. Sie mussten neben meinem Bett stehen. Langsam setzte ich mich auf.

Elena - Dem Bösen so nahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt