Kapitel 37

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Nick und ich trafen uns nach dem Unterricht am vereinbarten Treffpunkt. Wir sprachen nicht miteinander, sondern liefen direkt los. Ich sorgte mich darum, ob es wirklich richtig gewesen war, Nick von meinem Vater zu erzählen. Doch letztlich war es nicht mehr rückgängig zu machen. Ganz egal, ob es nun eine gute Entscheidung gewesen war oder nicht. Ich hätte mich schlichtweg nicht von meinen Gefühlen leiten lassen dürfen. Sie brachten mich immer in unangenehme Situationen.

»Tobias hat mir geschrieben«, sagte Nick.

Ich schaute erstaunt zu ihm auf. »Und?«

»Er konnte Luise erreichen. Sie wird noch heute zum Haus ihrer Schwester kommen.«, antwortete er und steckte sein Handy wieder in die Jackentasche.

Der Wald erschien mir an diesem Tag ruhiger denn je. Nebenfelder hingen über dem See. Der Tau perlte von den Zweigen und Blättern der wenigen immergrünen Sträucher ab. Fäden von Spinnennetzen zogen sich von Ast zu Ast.

»Die Natur kann wirklich schön sein.« Nick schaute sich um und überraschte mich.

»Ja, klar.«, erwiderte ich sarkastisch.

Er sah mich mit hochgezogenen Brauen an. »Du glaubst mir nicht, dass ich die Natur schön finde?«

»Ich dachte, du findest Thriller, Horrorfilme und sowas in der Art toll.«, entgegnete ich lächelnd.

»Das Eine schließt das Andere doch nicht aus.«, sagte er. »Stell dir vor, im Jurassic Park war die Natur auch überwältigend und trotzdem wurden Menschen gefressen.«

»Das ist fiktiv.«

»Na und?« Nick sah mich von der Seite an, »Elenas Tante hat an einem idyllischen See gewohnt und wurde umgebracht. Da sind doch gewisse Ähnlichkeiten.«

Ich zupfte im Vorbeigehen an einem herunterhängenden Ast. Das Regenwasser prasselte von den restlichen Blättern hinab auf den feuchten Waldboden.

»Hoffentlich sagst du das nicht so zu Elena.«, murmelte ich.

»Um ehrlich zu sein, hoffe ich, dass sie überhaupt noch lebt.« Nick marschierte weiter, während ich fassungslos stehenblieb.

Schließlich hielt auch er inne und drehte sich zu mir um. »Was ist?«

Er hatte mir die Sprache verschlagen. Mein Gesichtsausdruck verfinsterte sich.

»Jackie«, sagte er, diesmal sanfter.

»Lass mich bloß in Ruhe ...« Meine Stimme hatte einen warnenden Unterton angenommen.

Nick machte einen Schritt auf mich zu. Sofort trat ich zurück. Abwehrend hob ich meine Hände. »Ich weiß, dass das alles hier kein Spaß für uns ist. Aber müssen wir wirklich dieses Gespräch führen? Müssen wir Vermutungen aufstellen, ob Elena noch am leben ist? Müssen wir uns streiten?«

»Nein«

»Wo ist dann das Problem? Wieso kannst du nicht einmal aufhören, mir deinen Pessimismus aufzudrängen? Vielleicht will ich ja daran glauben, dass es Elena gut geht!«, schrie ich aufgebracht.

Sein Gesicht wurde schmal. Er wirkte ärgerlich. Es machte mich fertig. Ich hätte Nick für seine ruppige Art schlagen können, aber zeitgleich wünschte ich, ich könnte ihn einfach in meine Arme schließen.

»Du hältst mich also für einen Pessimisten«, stellte Nick fest.

»Nein«

»Das hast du aber gesagt.« Er machte zwei Schritte auf mich zu. Jetzt standen wir einander wieder in gewohntem Abstand gegenüber.

Elena - Dem Bösen so nahWhere stories live. Discover now