Kapitel 71

409 32 3
                                    

Die Mensa erstreckte sich dunkel vor mir. Alle Lichter waren ausgeschaltet und die Stühle waren hochgestellt. In großen Lettern prangte »Winterball« auf der Glasscheibe des Kiosks, hinter der man in den Unterrichtspausen reihenweise Gebäck und frische Croissants sehen konnte. Über den beiden doppelflügligen Glastüren zur Mensa, die immer offen standen, leuchteten hellgrüne Notlichter. Ich schaute nach rechts, und konnte gerade noch sehen, wie Elena hinter einem Gruppentisch in Richtung Sporthalle verschwand. Ich hatte ihr gesagt, sie solle zu Tobias gehen.

Erschöpft hob ich einen Stuhl vom Tisch. Ich zog ihn langsam zurück. Wie in Trance blickte ich mich um. Alles war so friedlich hier. Ich hasste es. Draußen war es zu laut, um meine Gedanken hören zu können, und hier drinnen war es zu leise, sodass sie mich einfach übermannten. Hinzu kam diese schreckliche Einsamkeit, die selbst den Obduktionsbericht in den Hintergrund rücken ließ. Das Gefühl, nie wieder etwas vergleichbar schönes wie damals mit Nick fühlen zu können, fraß mich auf. Ich klammerte mich an der Lehne des Stuhls fest und guckte zur Glastür, die hinaus auf den Pausenhof führte. Für einen Moment überlegte ich, ob ich einfach abhauen sollte. Doch dann sah ich, wie sich etwas vor der verglasten Fensterfront bewegte. Es war eine mir nur allzu bekannte Silhouette mit breiten Schultern und zerzaustem Haar.

Er hatte nur Augen für dich.

Mich durchfuhr eine Welle an Wut. Sie ließ mein Blut kochen und ich spürte, wie meine Fingerspitzen zu kribbeln begannen. Blitzartig stieß ich mich von dem Stuhl ab, der krachend gegen den Tisch knallte. Ich lief schnurstracks auf die Glasfront zu. Dabei durchströmte mich ein Zorn, den ich noch nie zuvor gespürt hatte.

Kraftvoll drückte ich mich mit meinem gesamten Gewicht gegen die Tür. Sie schwang auf. Schnee wehte mir ins Gesicht. Meine Sicht verschwamm für einen Moment. Dann drehte sich die Person vor mir um. Ich erkannte die schwarze Winterjacke mit dem Kunstfell an der Kapuze und ich erkannte diese wundervollen Augen, von denen ich ganz genau wusste, wie wundervoll grün sie glänzen konnten.

»Jackie«, sagte er beinahe lautlos. Seine Augenbrauen waren leicht zusammengezogen, sodass die Furchen in seiner Stirn tiefer wirkten. Schorf hatte sich auf den Wunden in seinem Gesicht gebildet. Sein Jochbein war grünblau unterlaufen.

Mir wurde kalt und heiß zugleich. Ich blinzelte. »Was machst du hier?«

Das Ziehen in meiner Brust wurde stärker. Der Wut wich ein stechender Schmerz, und ich glaubte nicht daran, dass sich dieses Gefühl jemals wieder einstellen könnte. Dafür war es viel zu stark, und ich zu schwach.

»Ich bin wegen dir hergekommen.« Nicks Augen waren von tiefen Schatten unterlegt. Er trug ein schwarzes Hemd unter seiner Winterjacke, eine Jeans und Sneakers.

»Warum sagst du so etwas?«, stieß ich wutentbrannt hervor.

Er zuckte zusammen.

Ich machte einen großen Schritt auf ihn zu. Meine Zähne presste ich dabei fest aufeinander.

»Hör mir wenigstens zwei Minuten zu.« Nick atmete tief ein, »Ich will mich entschuldigen.«

»Wofür?«, zischte ich.

»Für alles.«, erwiderte er ruhig.

Mein Blick haftete auf seinen Augen. »Ich glaube dir kein Wort.«, sagte ich mit eiserner Miene, obwohl er mich innerlich total durcheinander brachte.

»Soll ich wieder gehen?« Er blieb unentschlossen vor mir stehen.

Nein, geh nicht. »Du kannst tun, was immer du willst.«

»Ich weiß« Seine Stimme war rauer als sonst, »Dann kann ich dir ja auch sagen, dass es mir unendlich leid tut.«

»Nick-« Mehr brachte ich nicht über die Lippen. Ich wollte den Abstand zwischen uns bewahren, auch, wenn ich bereits spürte, wie die Mauern zu bröckeln begannen.

Elena - Dem Bösen so nahHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin