Kapitel 8

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Der schwarze Geländewagen meines Vaters stand vor dem Fachwerkhaus meiner Tante Elisabeth. Ich hatte nicht damit gerechnet, und zögerte, während ich mich fragte, ob ich nicht lieber unbemerkt wieder verschwinden sollte. Das Letzte, was ich wollte, war ein anstrengendes Gespräch über meine Tante zu führen. Dafür war ich viel zu aufgewühlt nach dem distanzierten Abschied von Tobias. Einerseits tat er mir leid, andererseits war ich mir so sicher, Tobias musste sich endlich bei seiner Familie durchsetzen. Ich konnte nicht für immer schweigen, und so tun, als hätte ich keine Pläne nach unserem Schulabschluss, weil ihn diese Thematik belastete. Schließlich kam mein bester Freund in jedem meiner Träume vor; Studium, Freizeit, Beruf. Überall sah ich uns beide, wie wir eine Präsentation vorbereiteten oder uns über meinen Essay unterhielten, wie wir in einem Café saßen oder Tobias mir von der Buchhaltung erzählte. Und dass, obwohl ich wusste, ich würde ihn an die Firma und seine Eltern verlieren.

Ich guckte an dem Auto und dem Haus vorbei, bis ich den kleinen See sehen konnte. Die Sonne ging hinter den hohen Bäumen unter, weshalb sich der Himmel in ein mattes orange verfärbt hatte. Der Mond war bereits aufgegangen. Von der Hauptstraße aus hatte ich ihn noch sehen können. Jetzt versperrten mir die vielen, kahlen Baumkronen die Sicht.

Mein Atem dampfte. Die Kälte an diesem Abend machte sich deutlich durch den dünnen Stoff meiner Jeans bemerkbar. Ich steuerte auf die dunkelgrüne Haustür zu, wie ich es so oft nach der Schule getan hatte. Die Endgültigkeit dieser Situation wurde mir erst jetzt so richtig bewusst, und obwohl ich nicht sonderlich zimperlich war, stiegen mir bittere Tränen in die Augen.

Nichts würde wieder so sein, wie es einmal gewesen war. Es würde kein Pfannkuchenessen mehr mit meiner Tante geben, und auch über die Krimis und meine Vermutungen musste ich nun alleine grübeln. Elisabeth war fort. Sie würde nie wieder in ihr Haus zurückkehren, in dem ihre Möbel und ihre geliebten Uhren standen und vergeblich auf sie warteten, bis mein Vater keine andere Wahl mehr haben würde, und sämtliche Erinnerungen zur Mülldeponie bringen musste.

Ich schluckte schwer.

»Papa?«, rief ich, aber meiner Kehle entfloh bloß ein schreckliches Krächzen.

Dann hörte ich, wie sich zwei Menschen miteinander unterhielten. Die Stimmen kamen näher, und die Türklinke bewegte sich. Mit geweiteten Augen trat ich einen Schritt zurück. Mir rutschte das Herz in die Hose, als mein Vater aus dem Haus trat und mich entdeckte.

»Ich dachte, du arbeitest heute lange.«, sagte ich heiser, um die Stille zu brechen.

»Das dachte ich auch.« Mein Vater rieb sich den Nacken, »Ich hatte einen wichtigen Anruf in der Kanzlei. Elena, das ist Krista.«

Er trat beiseite, und ich konnte eine ältere Frau hinter ihm stehen sehen.

Krista hatte graues Haar, welches sie sich mit einer schwarzen Spange hochgesteckt hatte. Sie strich ihre Strickjacke glatt und hielt mir ihre Hand hin. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Dein Vater hat schon von dir erzählt.«

Mir blieb der Mund offen stehen.

»Danke?« Mehr als ein Flüstern brachte ich nicht zustande, während ich den Händedruck für so wenige Sekunden wie möglich erwiderte.

Mein Vater schmunzelte. »Kann ich euch kurz alleine lassen? Ich muss meinen Kollegen anrufen, damit er mich in der Verhandlung morgen früh vertritt.«

Krista nickte sofort, aber ich hielt meinen Vater am Arm zurück. Wie konnte er mich mit dieser fremden Frau alleine lassen? Ich wusste weder wer sie war, noch konnte ich mir vorstellen, mit ihr in das Haus von Tante Elli zu gehen.

»Elena, ich habe einen Kuchen gekauft, den wir nachher zu Hause essen können. Aber jetzt muss ich wirklich in der Kanzlei anrufen, damit sich mein Kollege noch vorbereiten und mich morgen erfolgreich vertreten kann.« Er blickte auf seine silberne Armbanduhr.

Elena - Dem Bösen so nahWhere stories live. Discover now