Kapitel 27

510 37 12
                                    

Ich konnte Nicks Atem hören, so dicht stand er hinter mir, und drängelte, damit er endlich an mir vorbei in Elenas Zimmer gehen konnte. Er duftete frisch, ähnlich sauberer Wäsche, wenn sie direkt aus dem Trockner kam. Zeitgleich war da auch ein rauchiger Geruch, der sofort Bilder in meinem Kopf hervorrief, die ich einmal im Fernsehen gesehen hatte; Jugendliche an Tankstellen, Kiffer, Obdachlose. Das Viertel, in dem Nick lebte, hatte viele Seiten, aber ganz bestimmt keine Positive.

»Das ist merkwürdig.«, sagte ich und schluckte schwer, als mein Blick auf die Fotos fiel, die mit bunten Klebestreifen an Elenas Kleiderschrank befestigt waren.

Mein Gewissen quälte mich. Wie gelähmt starrte ich die Fotos an.

Nick stand unentschlossen im Raum, bevor er sich dem großen Bücherregal zuwandte. Die meisten Einbände der Bücher waren düster gestaltet, glänzend oder matt, und zeigten deutlich, dass Elena Thriller liebte.

»Eure Freundin hat einen guten Geschmack.«, stellte Nick verblüfft fest. Er hielt mir eines der broschierten Bücher vor die Nase. »Meine Empfehlung für dich.«

»Du liest Bücher?« Ich runzelte skeptisch die Stirn.

»Psychothriller ...«, korrigierte Nick mich. »Es ist beeindruckend, wie sehr einen scheinbar kleine Ängste beeinflussen können.«

Ein Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen, als ich Nick das Buch aus der Hand nahm und das Cover betrachtete. Ein Mädchen mit langen Haaren war darauf zu sehen. Es sah aus, als würde sie in einem Regen aus Blut tanzen und vollkommen unbekümmert ihre Pirouetten drehen.

Tobias hob seinen Kopf. Aus dunklen Augen musterte er mich, und sorgte dafür, dass ich das Buch sofort auf Elenas Schreibtisch ablegte.

Bemüht zielstrebig lief ich zum Bett. Elenas Bettwäsche war in den verschiedensten, strahlendsten Orange- und Rottönen kariert, sodass die Dachschräge in ein rötliches Licht getaucht wurde. Der Gedanke daran, nach irgendetwas zu suchen, was uns in Hinsicht auf Elenas Entführung weiterhelfen konnte, schreckte mich ab. Ich traute mich nicht, in ihren privatesten Sachen zu schnüffeln.

Vorsichtig schielte ich zu Tobias. Er überflog mit seinen Augen die Unterlagen auf Elenas Schreibtisch, ohne Notiz von mir zu nehmen. Nachdenklich rieb er sich den Nacken, bis er sich um einen Millimeter bewegte und mich plötzlich ansah.

Ich zuckte zusammen, richtete meinen Blick sofort auf das Bücherregal vor dem Nick stand. Er berührte mit seinem Zeigefinger die Buchrücken, zog gelegentlich eines heraus, aber fündig schien auch er nicht zu werden.

»Wie sieht es bei dir aus?«, fragte ich leise, als ich mich neben Nick stellte.

Niedergeschlagen schob er eines der Bücher zurück ins Regal. »Ich weiß nicht einmal, wonach ich suche. Absolut keine Ahnung.«

»Gib dir mehr Mühe.« Tobias blätterte in einer Broschüre, »Ich werde nicht gehen, ehe ich irgendeinen kleinen Hinweis gefunden habe.«

»Das klingt verzweifelt.«, entgegnete Nick barsch.

Geräuschvoll atmete ich aus.

»Stell dir vor, ich bin verzweifelt.« Tobias lachte kurz, doch ihm fiel das Lachen schneller aus dem Gesicht als ich gucken konnte.

Die beiden starrten sich schweigend an, und ich betete innerlich, dass sie nicht aufeinander losgehen würden. Nick schien Tobias in jeglicher Hinsicht überlegen. Dass ich ihn nicht bremsen könnte, war mir längst klar. Bestimmt konnte er sich genau so gut prügeln wie die anderen Menschen in seinem Viertel.

Ich kaute auf meiner Unterlippe, während ich die Bücher in dem Regal betrachtete. Die dunklen Farbtöne der Einbände wirkten säuberlich sortiert. Nur eines der Bücher passte nicht ins Bild. Es war ein Buch in einem größeren Format mit einem Sandstrand auf dem Cover. Vielleicht hatte Elena dieses Buch geschenkt bekommen, denn so richtig in ihr Regal passte es nicht.

Elena - Dem Bösen so nahWhere stories live. Discover now