Kapitel 15

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So schrecklich ich mich auch fühlte, und so grauenhaft ich aussehen musste, ich kehrte um. Den Stadtpark ließ ich im Eilschritt hinter mir und mied es, auf meinem Weg zum Waldgebiet in neugierige Gesichter zu schauen.

Vor der Schule parkten noch vergleichsweise viele Autos, die Bushaltestellen hingegen waren wie leergefegt.

Tobias saß bestimmt schon zu Hause am Esstisch. Britta servierte ihm vielleicht in diesem Moment den Hauptgang, oder Tobias hatte sich zu ihr in die Küche gesetzt, wo die beiden miteinander plauderten. Das tat Tobias oft, wenn seine Eltern nicht da waren, denn diese hielten nichts davon, sich mit den Angestellten an einen Tisch zu setzen.

Was Jasmin an diesem verregneten Nachmittag tat, das konnte mir ziemlich egal sein. Und doch machte ich mir meine Gedanken; Redete Jasmin mit ihren Eltern über unsere Auseinandersetzung? Redete sie mit ihren Freundinnen darüber? War es überhaupt noch relevant für sie? Wie ging es Jasmins Familie?

Fragen, an die ich teils aus Gewohnheit dachte. In zwei Wochen würde mir das wahrscheinlich nicht mehr passieren. Dann hatte sich alles eingependelt, als hätte diese Freundschaft niemals existiert und auf den Fluren würde man sich nicht mehr grüßen oder vom Unterricht erzählen, wie es seit Jahren unsere Gewohnheit gewesen war.

Ein LKW rauschte an mir vorbei. Einige schmutzige Regentropfen landeten auf meinen Jeans, aber ich ärgerte mich nicht darüber. Nachher müsste ich sowieso die Wäsche waschen und vielleicht könnte ich auf dem Rückweg von Tante Ellis Haus noch einkaufen gehen.

Der Waldweg war matschig. In Reifenspuren stand das Wasser knöcheltief. Würde es bald frieren, hätten wir hier eine einzige Eisbahn.

Zum Glück musste ich nicht lange laufen, bis das Haus von Tante Elli vor mir auftauchte. Der Efeu am Giebel tarnte das rote Gemäuer. Die Sprossenfenster ließen das Haus gemütlich und einladend aussehen. Ich freute mich schon fast darauf, endlich wieder hier zu sein. Seitdem ich meine Tante Elisabeth gekannt hatte, war dies mein Zufluchtsort gewesen. Bei Stress in der Schule, was bisher selten vorgekommen war, Streit mit Freunden oder dann, wenn ich nicht alleine hatte sein wollen.

Geschickt holte ich den Schlüssel aus meinem Schlüsselversteck und schloss die Haustür auf.

Die Schuhe trat ich auf der Fußmatte ab und ließ sie auch nach dem Ausziehen dort stehen. Die Jacke hängte ich übers Treppengeländer.

Früher hatte ich zuallererst in die Küche geschaut, um mir etwas Essbares zu suchen, doch heute war mir nicht danach. Ich ging lieber zum Bücherregal im Wohnzimmer, um mir zu überlegen, welche Bücher ich behalten wollte und welche mein Vater beim Ausräumen des Hauses mit zur Deponie nehmen konnte.

In meinem Magen lösten diese Gedanken ein flaues Gefühl aus. Unfassbar, dass man mit zwei großen Anhängerladungen schon ein ganzes Leben weg transportieren konnte. Alles ausräumen, bis nichts mehr an Elisabeth erinnern würde.

Zwei Bücher konnte ich auf den ersten Blick aus dem Regal nehmen. Das eine Buch war ein Psychothriller, in dem es um einen Mörder ging, der seine Morde künstlerisch darstellte. Über die Geschichte hatten Elisabeth und ich bis spät in die Nacht hinein diskutiert, uns Pro-und-Contra-Listen erstellt und die psychologischen Hintergründe so gut es ging beleuchtet.

Bei dem zweiten Buch handelte es sich um eine Ansammlung von Kurzgeschichten.

In dem Regal sah ich noch vieles, was mir gefiel. Statt etwas auszuräumen fertigte ich allerdings eine kleine Liste auf meinem Handy an. Dort konnte ich sogar alle Titel alphabetisch ordnen lassen.

Unter den Büchern, die ich behalten wollte, war auch eines, welches bloß die Optik eines Buches hatte. Ein richtiger Wälzer war das. Jedenfalls nur, wenn man nicht hineinschaute, und den kleinen Safe erkannte, der sich hinter dem wundervollen Cover eines Liebesromans versteckte.

Elena - Dem Bösen so nahWhere stories live. Discover now